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Das Mädchen im Käfig

von Ulli Dillis

 I. B. gewidmet

1. Kapitel, in dem ein Käfig seinen Inhalt preisgibt, eine Sultansmutter eine Ansprache hält, und nur ein kleines Essen stattfindet.

Es war ein sonniger Frühlingsmorgen, als vor dem Sultanspalast zu Konstantinopel plötzlich lautes Pferdegetrappel zu vernehmen war. Und schon bog das lärmende Fuhrwerk um die Ecke, und mit einem lauten „Brrr" brachte der Kutscher das Gefährt zum Stehen.

Nun konnte man erkennen, daß der Wagen eine seltsame Last trug, einen tonnenförmigen Gegenstand, einen Schritt im Durchmesser und vielleicht doppelt so hoch. Um diesen merkwürdigen Gegenstand war ein hellblaues Tuch aus Seide geschlungen, das in der frühen Sonne schimmerte. Aus dem Palasttor schritten vier kräftige Mohren bedächtig auf das Fuhrwerk zu, und, als sie durch das Tuch hindurch Eisenstäbe zu fassen bekamen, konnte man erkennen, daß es sich bei dem Gegenstand um einen Käfig handelte, nicht jedoch, was sich darin abspielte.

Die Eunuchen, um selbige handelte es sich nämlich bei den Mohren, hoben den Käfig an, zogen ihn über den Wagen und trugen ihn an den Wachen vorbei ins Innere des Palastes. Hier ging es durch enge, dunkle und verschlungene Wege, treppauf und treppab, bis das Quartett einen großen Saal im Serail erreichte, den Wohnsaal des Sultans.

Dort hing von der Decke eine schwere Kette herab.

Drei Mohren hoben nun den Käfig empor, der vierte nahm die Kette und befestigte sie rasch an einem Ring, der oben an dem Käfig angebracht war. Die Männer ließen nun den Käfig los, der nun frei in der Luft schwebte und sich leicht hin und her bewegte.

Eine Tür schwang auf und herein schritt die Mutter des Sultans, in kostbarste Gewänder gekleidet und nach orientalischer Sitte über und über mit Gold behängt.

Die Eunuchen nahmen eine demütige Haltung an, senkten die Häupter und schlichen aus dem Saal, während die Mutter des Sultans sich dem Käfig näherte, dessen Eintreffen sie offenbar erwartet hatte. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das Seidentuch zu Boden, und zum Vorschein kam ein nur spärlich mit schwarzer Seide bekleidetes Mädchen.

Seine Fußgelenke waren durch ein Lederband zusammengeknotet und mit einer Käfigstange verbunden. Die Hände waren, ebenfalls mit einem verknoteten Lederband, hinter dem Rücken gefesselt. Das Mädchen sah sich erstaunt um, drehte den Kopf mal hierhin und dahin und sah endlich die Mutter des Sultans an.

Die Mutter des Sultans zog sich einen Diwan an den Käfig heran und sprach ins Käfiginnere:

„Allah sei mit dir, meine künftige Sklavin. Du wirst es hier haben wie im Paradies. Die Geschichtenerzähler werden dir Geschichten erzählen, die Speisenbringer werden dir die feinsten und erlesensten Speisen bringen, Musikanten werden dich erfreuen und kühle Getränke erfrischen – kurz, es wird dir an nichts fehlen, nur – bei diesen Worten zog sie leicht an dem um die Handgelenke des Mädchens geschlungenen Band und ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht – nur deine Freiheit, die ist dir genommen."

Das Mädchen sah der Mutter des Sultans tief in die Augen und sprach: „Ach, Verehrteste, um meine Freiheit ist es mir nicht schad. Wer frei ist, ist nicht frei. Sind denn die Speisenbringer frei ? Nein, sie haben Speisen zu bringen. Und die Geschichtenerzähler ? Sie müssen Geschichten erzählen. Ich jedoch, ehrwürdige Mutter des Sultans, ich werde Ihre Bänder, Ihre Ketten und Fesseln tragen mit Leichtigkeit, denn ich werde nicht nur nichts tun müssen, ich werde, wie Sie mir versichert haben, gar nichts tun können. Ich werde Ihre Gefangene sein und ich werde es gerne sein."

Die Mutter des Sultans erwiderte daraufhin: „Du bist sehr klug, liebe künftige Sklavin, ja es freut mich, wie klug du dich ins Unvermeidliche fügst. Den Tag wirst du oft hier im Käfig verbringen, denn hier hast du Unterhaltung und hier wirst du verwöhnt.

Die Nacht jedoch, die Nacht, die hast du für dich. Das einzige, was ich von dir, künftige Sklavin, verlange, ist,"

„Ja", fiel ihr das Mädchen ins Wort, „ja ich weiß, meine Freiheit auch dann. Aber auch des Nachts, wenn ich allein bin mit mir und meinen Träumen, da dürft Ihr handeln, wie es einer Herrin geziemt."

„Da bin ich beruhigt," sagte nun die Sultansmutter, „ich fürchtete schon, du sträubtest dich, wenn dich die anderen Sklavinnen an dein Lager anketten".

„Nein", lächelte das Mädchen und rieb seine Beine gegeneinander, soweit es das Lederband zuließ, „nein, denn es ist schön, an ein Lager gekettet zu sein. Sie müssen wissen: die Ketten helfen, nicht alleine zu sein, denn sie erinnern an den, der sie anlegte oder anlegen ließ".

Zufrieden lächelte die Mutter des Sultans und sprach: „So, liebe künftige Sklavin, jetzt werde ich Dich aber nicht weiter stören."

Sie ergriff eine Handglocke und läutete. Es erschien ein kleiner Mohr, dem die Mutter des Sultans befahl: „Hol den Speisenbringer!". Der Mohr verschwand und kurze Zeit später stand ein zweiter, größerer im Saal, vor sich ein riesiges Tablett mit allen Köstlichkeiten des Orients.

Die Sultansmutter winkte sich ihn heran und sagte: „Speisenbringer, du siehst hier in diesem Käfig meine künftige Sklavin. Du wirst sie noch öfter hierin sehen. Du bist zwar ein Tölpel und im Kopfe etwas beschränkt, doch selbst du wirst erkennen, daß ihre Hände es nicht vermögen, die Speisen zum Munde zu führen. Du wirst ihr das Essen und das Trinken in den Mund reichen, und ihr Wunsch ist dir Befehl."

Der Speisenbringer trat an den Käfig und sprach zum Mädchen mit gedämpfter Stimme: „Was wünscht die Ehrwürdige Künftige Sklavin der Mutter des Sultans ?"

„Ach, nur ein paar Süßigkeiten und etwas Tee" rief das Mädchen fröhlich ob der prompten Bedienung. Der Speisenbringer wählte ein süßes Stück und schob es dem Mädchen in den weitgeöffneten Mund. Daraufhin nahm er ein Gläschen Tee vom Tablett. Das Mädchen streckte sich, soweit es die Fesseln und der Käfig zuließen und ließ sich Schlückchen für Schlückchen einflößen.

Später, als das Mädchen genug gegessen und getrunken hatte, verließ der Speisenbringer mit seinem riesigen Tablett unter vielen Bücklingen den Saal. 

Da sich die Mutter des Sultans während der Bedienung durch den Speisenbringer unbemerkt entfernt hatte, war das Mädchen nunmehr allein in seinem Käfig und konnte sich eine Zeitlang in dem Wohnsaal umsehen, der durch die Pracht seiner Teppiche bestach - fast blendete der edle Schimmer der Seidenteppiche.

2. Kapitel, in dem ein Mädchen zur Sklavin wird

Doch auf einmal hörte das Mädchen die Tür wieder schlagen und sah die Mutter des Sultans eintreten und auf den Käfig zusteuern, zwei glänzende Eisenketten in der Hand, eine länger und eine kürzer. Sie setzte sich auf einen Diwan, legte die Ketten in ihren Schoß und hub an, eine Ansprache zu halten. Das Mädchen jedoch fiel ihr sogleich ins Wort und sprach: "O Mutter des Sultans, Ihr braucht mir nichts zu erklären. Da Ihr mich bereits vom Verlust meiner Freiheit unterrichtet habt, war es mir das einzige Rätsel, durch welche Dinge Sie sie mir rauben. Und", das Mädchen lächelte sie an, "ich sehe hier keinerlei Verwendung für zwei Eisenketten als die," - das Mädchen sprach mit gespieltem Ernst - "mich in die Abgründe der Sklaverei zu stoßen." Das Mädchen legte den Kopf schief und sagte leise: "Es sind schöne Ketten, die mich nun begleiten werden." "Schön und stark", sagte die Sultansmutter, "und jetzt wirst du den Schmied besuchen, der ist auch stark."

Sie stand auf und löste das Lederband, das die Füße des Mädchens zusammengehalten hatte. Sie förderte einen Schlüssel aus den Tiefen ihrer Pluderhose hervor und öffnete damit die Käfigtür. Das Mädchen schob seine Beine durch die Tür und sprang, gestützt von der Mutter des Sultans, das letzte Stück herab. Jene versicherte sich, daß die Hände des Mädchens immer noch fest zusammengebunden waren, und sprach kurz: "Folg mir !". Man durchmaß viele Räume des Palastes, gemessenen Schrittes, die Sultansmutter die Eisenketten schlenkernd vornweg und das Mädchen, mit den gefesselten Händen auf dem Rücken, dahinter. Schließlich erreichte man eine zerkratzte eisenbeschlagene Holztür, hinter der unschwer Hammerlärm zu vernehmen war. Die Mutter des Sultans öffnete die Tür, und der Lärm erstarb sofort. Der Schmied, ein vierschrötiger Mann mit einem braunen Lederschurz, hielt in der Linken ein Stück Eisen und in der rechten einen riesigen Hammer, mit dem er gerade eben noch auf das Eisenstück eingedroschen hatte.

Die Mutter des Sultans rief: "Schmied, die Deichsel hat Zeit, dem Mädchen hier müssen die Sklavenketten angelegt werden !". Sprachs, schob das Mädchen durch die Tür, legte die Ketten auf den Amboß und verschwand.

Der Schmied musterte das Mädchen, hieß es, sich auf einen Schemel vor dem Amboß niederzusetzen und sprach nur, indem er des Mädchens Füße auf den Amboß zog: "Na, schöne Dame !"

Er griff sich die längere Eisenkette, schlang die Kette um das linke Fußgelenk des Mädchens, dann langte er in einen speckigen Holzkasten und holte ein besonderes Kettenglied (das sich, wie sich gleich herausstellen sollte, mit Hilfe eines eigens dafür angefertigten Werkzeugs unverbrüchlich zuschmieden ließ) hervor, und schloß damit vorläufig die Kette.

Ebenso verfuhr er mit dem rechten Fußgelenk, zog das Werkzeug zum Zusammenschieden herauf, und mit Hilfe dieses Werkzeugs und ein paar kräftigen Hammerschlägen waren die Füße des Mädchens im Abstand von zwei Spannen durch die Kette fest und entgültig verbunden.

Nun löste er das Lederband, das noch immer die Hände auf den Rücken fesselte, Knoten für Knoten, und ließ das Mädchen sich die Handgelenke reiben und die Arme ausstrecken.

Als sich das Mädchen genügend ausgestreckt hatte, legte es seine Hände auf den Amboß, der Schmied griff sich die zweite kürzere Kette, die Verschließglieder und das Werkzeug, und schmiedete die Kette am linken und am rechten Handgelenk ebenso unverbrüchlich zu, als er es mit den Füßen getan hatte.

So waren nun auch die Hände, eine Spanne auseinander, verbunden, und des Schmiedes Werk war getan. Er warf das Werkzeug in einen Kasten zurück, stellte den Hammer in die Ecke und putzte sich mit einen Tuch, dessen einstmals blaue Farbe sich unter den Öl- und Schmutzflecken kaum mehr erahnen ließ, die riesigen Pranken ab.

Schon stand die Mutter des Sultans wieder in der Tür, warf sich in Pose und begann, wie sie es so gerne tat, eine Ansprache:

"Liebe Sklavin, die Ketten an Händen und Füßen sollen dich ständig daran gemahnen, daß du fremdem Willen ausgeliefert bist. Es soll dir aber sonst an nichts, aber auch an gar nichts fehlen. Du wirst bald feststellen, daß dich die Fußkette, die du beim Sitzen oder Liegen kaum wahrnehmen wirst, beim Gehen doch gewaltig hindern wird. Deswegen tragen alle Sklavinnen Glöckchen, und die Sänftenträger sind angehalten, auf den Klang einer Glocke herbeizueilen und die Sklavin, die sie gerufen hatte, zu befördern wie geheißen."

Dann rief sie in Richtung des Schmieds: "Ein Sänftenglöckchen !" und, nachdem ihr der Schmied ein kleines Glöckchen überreicht hatte, gab sie es dem Mädchen, das sofort das Glöckchen erklingen ließ. Sofort stürzten zwei kräftige Mohren mit einer Sänfte die nächstgelegene Treppe herunter und blieben vor der Tür des Schmiedes stehen. "Prompte Bedienung !", lachte die frischgebackene Sklavin und klatschte in die Hände, daß ihre Handkette klirrte.

Zur Mutter des Sultans sagte sie jedoch: "Sultansmutter, Ihr habt ein gar treffliches Transportwesen, doch fehlt mir jedes Wissen, wohin die Sänftenträger mich tragen könnten. Wie Ihr wißt, saß ich bisher nur im Wohnsaal im Käfig. Wollt Ihr mir die Gelegenheit geben, mich im Palast ein wenig umzusehen ?" "Gewiß!", antwortete die Mutter des Sultans, und begann, froh einen Zuhörer gefunden zu haben,  weitschweifig mit der Geschichte des Hauses. 

Von Süleyman dem Prächtigen war die Rede und von Palastintrigen, von einem Sultan, der Wein und Weiber den Regierungsgeschäften vorzog, und von einer Haremsdame, die den eigenen Sohn vor dem Sultan versteckt hielt. Während des Redeschwalls zog die Gesellschaft, die Sultansmutter an der Spitze und die Sklavin in ihrer Sänfte hinterher, durch Säle und Schatzkammern, die ausstellten, was in Jahrhunderten geschaffen, erworben, gerafft und geraubt worden war, Porzellan aus aller Herren Länder und Edelsteine so groß wie Kinderköpfe - selbst Barthaare des Propheten wurden irgendwo aufbewahrt.

Endlich jedoch war die Führung beendet, und die Mutter des Sultans wies die Sänftenträger an, die Sklavin zum Badehaus zu tragen. Dem Befehl wurde unverzüglich Folge geleistet, und binnen kurzer Zeit fand sich die Sklavin  vor einer mit geschnitzten Ornamenten reichgeschmückten Türe wieder. 

3. Kapitel, in dem sich die  Edelsteine vorstellen

Die Sklavin öffnete die Türe und trat mit vorsichtigen Schritten - Fuß vor Fuß, da ihr die Fußketten noch ungewohnt waren,  unverhofft in einen Innenhof, in deren Mitte eine griechische Säule aufragte, die ein unseliges Geschick in Haupteshöhe schräg abgetrennt hatte. Um diese Säule rankte sich ein Gewächs mit großen trompetetenförmigen Blüten, die einen merkwürdig süßen, betörendenden Duft aussandten. Die neue Sklavin hielt in ihren Schrittchen inne und sah sich in dem Innenhof um.

Zur Rechten und zur Linken waren kreisrunde Vertiefungen eingelassen, drei an jeder Seite, und ihr gegenüber, von der griechischen Säule etwas verdeckt, war ein kleiner Wasserfall zu erkennen, der aus einer grünbemoosten Grotte zu Boden plätscherte. In jedem dieser Wasserbecken, die wohl nicht besonders tief gründeten, waren, saß ein Mädchen. Gleich zu ihrer Rechten planschte eine Schwarzhaarige mit kurzem Haar, dahinter eine schlanke mit langen schwarzen Haaren und noch dahinter eine blasse Rothaarige. Zu ihrer linken sah sie ein großes braunhaariges Mädchen baden, hinter ihr eine Blonde mit auffallend heller Haut, und schließlich ein kleines schwarzhäutiges Mädchen mit gekräuselten Haaren. Alle warfen sich Scherzworte zu und genossen so offensichtlich ihr Bad.

Die neue Sklavin bemerkte, daß alle Mädchen an ihren Händen Sklavenketten gleich ihren eigenen trugen; und doch waren sie ungleich ihr selbst die Ketten wohl schon dermaßen gewohnt, daß sie die durch das Eisen unerbittlich miteinander verbundenen Hände beim Gestikulieren bewegten, als hätten die Hände eine andere Freiheit nie gekannt.

Als sie so stand und in dem Rund umherblickte, wurde die Sklavin mit den langen schwarzen Haaren ihrer gewahr, nickte ihr zu, verließ ihr Becken - die neue Sklavin bemerkte, daß auch deren Füße mit Sklavenketten ihren eigenen gleichend verbunden waren, und die Sklavin mit den langen Haaren gleichwohl gemächlich dahinschritt, als sei sie nie etwas anderes gewohnt  -  und spülte sich die langen Haare unter dem aus der Grotte herabplätschernden Wasserfall ab.

Nun ging die Sklavin mit den langen Haaren ging auf die neue Sklavin zu, rief ihre Mitsklavinnen herbei und sprach, als alle ihre Badebecken verlassen und sich versammelt hatten: "Willkommen bei uns, neue Sklavin ! Wie du siehst, sind wir alle Sklavinnen wie du. Deshalb hatten wir unsere Namen abzulegen. Doch heißen wir nicht nach Nummern, denn wir sind keine elenden Strafgefangenen, sondern stolze Sklavinnen im Palast des Sultans. Wir heißen nach Edelsteinen !"

Sie wies mit ihren zusammengeketteten Händen auf die Sklavin mit den kurzen schwarzen Haaren und stellte sie vor: "Das ist Saphir !" Daraufhin wie sie auf die dralle blonde Sklavin: "Das ist Amethyst !". Nun war die große braune an der Reihe: "Das ist Smaragd !". Sie wandte den Kopf zu der blassen blonden Sklavin und sprach "Das ist Granat !". Schlußendlich wandte sie sich dem kleinen schwarzen Mädchen zu und stellte es vor: "Das ist unsere kleine Lapislazuli !" Als die neue Sklavin sie fragend ansah, lachte sie und sagte "Natürlich willst du auch wissen, wer ich bin! Ich bin Rubin! Hast du deinen Namen schon bekommen? " 

"Nein", sprach die Neue leise,  "ich bin das Mädchen aus dem Käfig".  "In einen Käfig steckt man dich? Dann kann ja aus dir noch was werden !", lachte Rubin mit den langen Haaren, streckte ihr jedoch sogleich ihre Hände entgegen, zog die Neue hinter die Reihe der Sklavinnen und flüsterte ihr zu: "Wir Sklavinnen haben uns alle in freiem Willen versklavt, doch leben wir hier ein äußerst freies,  ja ein zu freies Leben."

Angesichts der Sklavenketten, die vibrierten, wenn Rubin sprach,  war die neue Sklavin ob dieser Rede etwas verwundert, doch Rubin mit den langen Haaren raunte ihr weiter zu: "Die Ketten sind wunderschön, so sie recht neu angelegt sind und uns hemmen im Greifen und im Gehen. Doch als Gewohnheit nach Tagen und Wochen, und bei uns sind sie wahrlich schon Gewohnheit, sind sie ein Teil von uns - und" - sie legte ihren Kopf in den Nacken "wir dürsten nach mehr - nach wirklich fremdem Willen, der uns bestimmt. Ein Aufenthalt in einem Käfig, wovon du sprachst, wäre jeder von uns Glück und Erfüllung. Ein eiserner Käfig ist ein wunderbares Ding: der Käfig hält das Vöglein gefangen und schützt es zur selben Zeit."

Die Neue legte ihre Hände in die von Rubin. Rubin, die das Zauberstückchen kannte, zwei Paare von geketteten Händen miteinander zu verbinden (indem sie nämlich die fremde Verbindungskette mit der Rechten packte, sie von hinten unter der Handfessel der eigenen linken Hand hindurchführte und schließlich über diese Linke schob), blinzelte der Neuen zu, vollführte dieses Kunststückchen in Blitzgeschwindigkeit und sprach zu ihr, die nun mit ihr zusammenkettet war: "Laßt uns in unserer Verbundenheit nun gemeinsam baden !" Beide ließen sich nun in das nächstgelegene Becken gleiten, bald tauchte Rubin unter und zog mit ihren Ketten die Neue mit, und bald hielt diese entgegen und tat desgleichen, und so war binnen Kürze ein herrlich Necken, Scherzen und Prusten im Gange, das die anderen Sklavinnen von Herzen schürten, indem sie eiskaltes Wasser vom Wasserfall auf die beiden spritzten, sobald immer sie aus den aufgewühlten Fluten auftauchten.

Plötzlich jedoch erklang von Ferne ein Gong, und alle erstarrten in ihren Bewegungen. Rubin befreite die Neue ebenso schnell von sich, wie sie sie mit sich verbunden hatte, und sprach: "Das ist der Gong der Sultansmutter! Wir werden dir trockene Gewänder anlegen, und du wirst dich bei ihr im Wohnsaal einfinden !" So geschah es, und kurze Zeit später - die neue Sklavin hatte keine Lust auf Sänftenträger - trippelte sie in den Wohnsaal, wo sie die Sultansmutter ihrer harrend (und vielleicht noch mehr der Möglichkeit, eine Rede halten zu können) vorfand.

4. Kapitel, in dem die Sklavin vor Versuchungen geschützt wird

Die Mutter des Sultans stand, die Hände in die Hüften gestemmt, im Wohnsaal und hub sofort an, zu sprechen: "Liebe Sklavin, es ist guter Brauch hier im Palaste, sich eines Tages in der Woche von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang der Nahrung zu enthalten und absolutes Schweigen zu bewahren. Um die Sklavinnen vor den Versuchungen fernzuhalten, tragen sie an diesem Tage kunstvoll gefertigte Masken aus feinstem Leder, die sie am Essen und Sprechen hindern. Ich werde dich zum Schuster geleiten, auf daß er auch dir eine dieser Masken anfertige. Daraufhin wirst du dein Schlafgemach beziehen; die Sänftenträger wissen Bescheid."

Und die Sultansmutter führte das Mädchen  zu einer hölzernen lederbespannten Türe, unweit der des Schmiedes, öffnete sie und schob die Sklavin hinein. Sie befand sich nun in einem Raume, dessen Zweck sich unschwer erschloß. Auf Tischen und Werkbänken, am Boden und in den Schränken lagen ungezählte Stücke aus Leder herum, grobe Streifen aus dickem Rindsleder, Flicken aus Schweins- bis hin zu kleinen Stückchen aus feinstem Lammleder. Auf den Werkbänken lagen Ahlen verschiedenster Stärken, Schusterhämmer, Ösen und Nieten.

In der Mitte der Werkstatt verband eine dicke eiserne Stange Boden und Decke. Die Stange war durchbrochen durch einige schmale und hohe Schlitze in verschiedenen Höhen. Durch die drei untersten Schlitze waren lederne Gurte mit Schnallen gezogen, und die kurze Kette, die in Höhe des Halses angeschmiedet war und an der ein ledernes Halsband befestigt war, räumte auch den letzten Zweifel an der Bestimmung dieser Stange beiseite.

Jetzt bemerkte die Sklavin auch den Schuster, der auf seinem Drehschemel vor einer der Werkbänke saß; er trug eine speckige ledernen Schürze, aus deren Taschen verschiedene Schusterwerkzeuge hervorlugten. Der Schuster stand von seinem Schemel auf und knurrte: "Darf ich Sie zur Anprobe bitten, verehrte Sklavin ?" Er deutete auf die Stange, und das Mädchen stellte sich so eng an diese, wie es nur konnte.

Der Schuster nahm einen Gurt aus einem Schrank und schnallte die Sklavin an ihrem Bauch an die Stange fest. Nun kniete er sich auf den Boden, ergriff den Gurt aus dem untersten Schlitz, führte ihn zwischen den Füßen der Sklavin  nach vorne, schlang die eine Hälfte um das linke, die andere um das rechten Bein nach hinten, zog das Ende durch die Schnalle und befestigte es. Mit dem  zweituntersten Gurt wurden in nämlicher Weise mit ihre Knien, und mit dem dritten mit ihren Schenkeln verfahren.

Der Schuster holte sich einen weiteren Gurt, zog die Ellenbogen der Sklavin hinter die Stange, legte diesen Gurt um die Oberarme und zog vorsichtig zu, bis sich die Handkette spannte. Zu guter Letzt wurde der Sklavin das Halsband angelegt, die sich nunmehr keinen Fingerbreit mehr rühren konnte, und der Schuster begann frohgemut an seiner Werkbank sein Schaffen. Er hämmerte, knipste, schnitt das Leder und schlug Ösen, und, obgleich die Sklavin nicht begriff, was genau er da schuf, war sie doch tief beeindruckt von dem Eifer des Schusters.

Schließlich, die Hände waren ihr schon etwas erlahmt, trat er auf sie zu, lockerte den Gurt, der ihre Ellenbogen zusammenband, etwas, hieß sie ihren Mund zu öffnen und zeigte ihr sein Werk. Ein Netz aus Riemchen feinstem Lammleders war kunstvoll zu einer Maske verfertigt, die er ihr sofort anzulegen begann.

Die Maske umschloß ihren zarten Kopf vollkommen, und als der Schuster einen Riemen im Nacken enger und enger zog, spannten sich die feinen Riemchen und drückten einen kleinen Knebel in ihren Mund, zu klein, um das Schlucken zu verhindern, doch zu groß, um Versuchungen wie Essen oder Sprechen nachgeben zu können. Der Schuster schien recht zufrieden mit seinem Werk, doch als er genauer den Sitz seiner Riemchen prüfte, war ihm dieses zu straff und jenes zu locker, und so holte er ein Stück Schusterkreide aus seiner Schürze, markierte alles, was ihm mißfiel, nahm der Sklavin die Maske wieder ab, setzte sich an die Werkbank, beugte sich über sein Werk und schnipselte und knipste, und, als er endlich der Meinung war, nichts mehr verbessern zu können, wurde die Anprobe wiederholt.

Jetzt aber war der Schuster wirklich zufrieden, schloß den Riemen im Nacken mit einem winzigen Schlüsselchen ab und knurrte, indem er den Ellenbogengurt wieder fester anzog: "Verehrteste Sklavin, eine geschlagene Stunde werden Sie dieses Meisterwerk zur Probe nun tragen. Bereitet es Ihren keine Beschwerden, so können Sie es getrost und unbesorgt auch tragen von Sonnenauf- bis -untergang an den Tagen, an denen es Ihnen auferlegt ist!"

Und tatsächlich, als nach einer geschlagenen Stunde der Schuster die Sklavin von seinem Werk befreite, war diese des Lobes voll und versprach ihm, wann immer sie Schusterwerk benötigte, keinem anderen den Vorzug zu geben.

Dies war Balsam auf die oft mit Füßen getretene Ehre des Schusters, der knurrte: "Ihr wißt die Leistung des Handwerks wahrlich zu würdigen! Habt Dank! Diese Maske ist nun Euer !" Er löste die Riemen der Sklavin, die sie eng an die Stange gebunden hatten, überreichte ihr mit feierlicher Miene sein Werk, indem er sich feierlich vor der Sklavin verneigte.

Das Mädchen verbeugte sich ebenfalls, verließ kettchenklirrend die Werkstatt, ließ sich sofort mit einer Sänfte in sein Schlafgemach bringen, aus dem eine ältere dicke Aufwärterin heraushuschte, als es die Türe öffnete, und setzte sich, nachdem es die Türe hinter sich zugezogen hatte, nun selbst die Riemchenmaske auf. Es war wahrlich ein Meisterwerk, das seinen Träger eng umschloß und ihm das trutzige Gefühl gab, nun wie ein Ritter gewappnet zu sein gegen alle Fährnisse der Welt. In der ledernen Haube begann die Sklavin nun, ihr Schlafgemach zu betrachten.

Ihr Lager war groß, recht schlicht gezimmert und nach drei Seiten offen. Nur am Kopfende bildete eine kunstreiche Einlegearbeit aus weißen, braunen und schwarzen Hölzern einen Abschluß, und, als die Sklavin die Arbeit näher betrachtete, sah sie ein Mosaik, das eigentlich aus auseinandergezogen Halbkreisen bestand, außen noch recht grob und nach innen immer feiner werdend, dem fernen Betrachter jedoch wie ein von der Mitte ausgehender Strahlenkranz erschien, und sie bemerkte plötzlich, daß den Mittelpunkt all dieser Kreise - oder das Innere des Strahlenkranzes - ein in das Holz eingelassener eiserner Ring bildete. Sie hatte noch den Klang der Worte der Sultansmutter im Ohr, die zu ihr gesprochen hatte: "Ich fürchtete schon, du sträubtest dich, wenn dich die anderen Sklavinnen an dein Lager anketten", und ein feines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Nein, sie würde sich nicht sträuben, wenn Rubin, Amethyst, Saphir, Smaragd, Granat oder die kleine Lapislazuli sie von sich selbst befreiten.

Herren müssen ihre Tatkraft beweisen, haben ihre Träume fortzuwerfen und sich den Kopf über wichtige und unwichtige Dinge, gefährliche Gegner und widrige Umstände zu zerbrechen, auf den Tisch zu schlagen und Diener anzuherrschen, doch die angekettete Sklavin ist allein bei sich und ihren Träumen... 

Sie hatte bei diesen Gedanken die Augen geschlossen, doch nun gewann ihre Neugier wieder die Oberhand, und so fuhr sie fort, ihr Gemach weiter zu untersuchen. Neben dem Lager stand ein ebenfalls mit Einlegearbeiten reichgeschmücktes Tischlein, wohl von demselben Künstler geschaffen, der auch das Kopfende ausgeführt hatte, mit einem Schublädchen für ihre unverzichtbaren Dinge. Oben auf dem Tischlein jedoch stand ein emaillenes Kesselchen, und als sie, die Neugier ließ sich ja nicht bezwingen, das Deckelchen dieses Kesselchens öffnete, lagen darin eine Unzahl großer und kleiner, frischglänzender und mit der Patina des Alters versehene Schlösser und Schlüssel.

Als sie in das Kesselchen blickte und sich vorzustellen versuchte, welche Schlösser sie künftig zum Verharren im Lager oder zum Stehen an einer grobgemauerten Wand, zum Kauern in einem - diese Vorstellung bereitete ihr einen sehnsüchtigen Grusel - dunklen Verliese, oder, dies erschien ihr nicht minder angenehm, zur Zurschaustellung in aller Öffentlichkeit zwingen würden, ertönte wieder der Klang des Gongs; die Sklavin riß sich von ihren Träumen los und schlug den Weg zum Wohnsaal des Sultans ein.

5. Kapitel, in dem gefeiert wird, und endlich die neue Sklavin zur Ruhe kommt

Dort war an dem großen Tisch bereits zum abendlichen Mahl gedeckt, und nach und nach fanden sich all ihre Mitsklavinnen ein. Jede erkannte den ihr zugewiesenen Platz, denn neben jedem Gedeck stand ein kunstvoll gestecktes farbiges Tuch, rot für Rubin, hellblau für Amethyst, rotbraun für Granat, tiefblau für Saphir, grünblau für Smaragd, hellblau für Lapislazuli, und nahm ihn ein.
Die Neue wartete, bis auch die Sultansmutter eingetroffen war und sich majestätisch auf ihrem Platze an der Stirnseite - ein schwarzes Tuch stand dort - niedergelassen hatte. Nun blieb nur noch ein Platz leer, den ein weißes Tuch schmückte. Die Mutter des Sultansmutter deutete mit einer gravitätischen Handbewegung an, die Neue sollte diesen Platz besetzen, und so setzte sie sich dort nieder.

Der Tisch war vollgestellt mit Silberplatten, auf denen die köstlichsten Vorspeisen dem Verzehr harrten, gefüllte Weinblätter, in Olivenöl gebratene Tomaten, Rüben, Zucchini, gefüllte Peperoni, grüne und schwarze Oliven in allen Größen, und die angerichteten Auberginen, von denen die Sage ging, ein Imam sei von ihnen überaus hingerissen gewesen und ihnen deshalb den Namen gab: "Der Imam war verzückt." Auch wartete dunkelroter Wein in mehreren Flaschen sehnsüchtig darauf, in die neben jedem Platze bereitgestellten kristallenen Gläser geleert zu werden.

Die Mutter des Sultans begann sich von den Vorspeisen auf ihren Teller zu häufen und sich Wein einzuschenken, und auf dieses Zeichen hin griffen die Sklavinnen ebenfalls zu. Die Neue war noch etwas ungeschickt im Umgang mit den Sklavenketten an ihren Händen und so geschah es nicht nur einmal, daß diese Ketten in die Vorspeisen gerieten und diese gehörig durcheinander brachten. Doch ihre Nachbarinnen, Rubin und Saphir, lächelten jedesmal milde und säuberten ihre Kette mit ihren roten und blauen Tüchern nach jedem Ungeschick.

Nachdem die Tischgesellschaft sich genug gelabt hatte, wurden die Reste abgetragen, und der Speisenbringer erschien mit einem fahrbaren Wägelchen, auf dem in einer großen Platte dampfende Lammspieße lagen, die über dem Feuer gebraten worden waren. Er schob das Wägelchen zur Tischgesellschaft hin, übergoß die Spieße mit einer Flüssigkeit, die er in einer silbernen Kanne mitgebracht hatte, und zündete sie an. Der Feuerschein zauberte Fratzen aus den Schatten der Sklavinnen, und besonders der Schatten der Sultansmutter zuckte mal hierhin und mal dahin wie ein gefährliches Ungeheuer, und als das Feuer erloschen war,  gaben alle durch "Ah" und "Oh" ihrer Begeisterung Ausdruck. Nur der Mutter des Sultans war die Erleichterung darüber anzumerken, daß der für seine Tolpatschigkeit bekannte Speisenbringer dies Kunststück ohne Pannen zuwege gebracht hatte. Der Speisenbringer verteilte die Spieße, nicht ohne jedesmal ein "Vorsicht, heiß!" von sich zu geben, und das Mahl nahm seinen Fortgang.

Der Speisenbringer hielt sich im Hintergrund, bis auch die Letzte ihr Mahl beendet oder ermattet ihren Teller zur Seite geschoben hatte, trug ab und schob sein Wägelchen hinaus. Nach kurzer Zeit erschienen er und sein Wägelchen wieder, das diesmal über und über mit süßen und bunten Naschereien bedeckt war, die er nach Zuruf an die Tafelrunde verteilte.

Kurze Zeit später war eine lebhafte Unterhaltung zugange, da das Mahl sehr gut gemundet und wohl auch der Wein die Zungen gelöst hatte. Viele Trinksprüche wurden auf die neue Sklavin, das Mädchen im Käfig, ausgebracht und alle Sklavinnen wollten von ihr allerlei erfahren, und diese von den anderen.

Zu fortgeschrittener Stunde gab die Mutter des Sultans Palastgeschichten zum Besten, über des Speisenbringers Gewohnheit, die Speisenplatte auf einem runden Sitzschemel abzustellen und über deren Umkippen zu staunen, als seien höhere Mächte am Werke, über die die wundersame Verwandlung von Raki zu Wasser in der Küche - "in geschlossenen Flaschen!" wie sie hinzusetzte, und über vieles mehr.

Als genug geplaudert, gescherzt und gelacht worden war, stand die Mutter des Sultans auf, schnippte klingend an ihr leeres Glas - alle Gespräche verstarben -  und sprach in die Runde: "Unsere Neue braucht nun Ruhe!" "Sie wandte sich an Rubin und sagte: "Mach das Mädchen bettfertig wie geheißen!"

Rubin führte die neue Sklavin in ein Badegemach, auf daß sie sich zur Nacht bereite. Als dies geschehen war, schritten beide in das Schlafgemach der Neuen, die es sich sofort auf ihrem Lager bequem machte. Rubin öffnete das Kesselchen, das auf dem Tisch neben dem Lager stand,  und holte ein altes rundes eisernes Schloß hervor, und, nachdem sie nach kurzem Kramen auch den dazu passenden Schlüssel ausfindig gemacht hatte, zog sie die Handkette der Neuen zu dem Ring, der in das Kopfende eingelassen war, schloß die Kette fest an diesen eisernen Ring,  deckte die Ruhende zu, nicht ohne mit einem Augenzwinkern ihr noch ein kleines feinbesticktes Tüchlein zuzustecken.

Sie holte eine Kordel, die von einem kleinen Loch in der Decke herabhing und bislang durch das Kopfende verborgen gewesen war, hervor und sprach: "Wenn du dich unpäßlich fühlst, scheue dich nicht, die Kordel zu ziehen und uns damit zu läuten!" Die Neue fragte erstaunt zurück: "Werdet ihr nicht angekettet?" "Nein," erwiderte Rubin, "das geschieht leider nur dir. Die Sultansmutter wird zu dir besonders streng und unerbittlich sein, das sprach sie nicht nur einmal. Dich hat sie wohl ins Herz geschlossen."

Rubin strich der Neuen zärtlich über ihre Wangen, küßte sie auf die Stirn und zog sich leise zurück. Das Mädchen fühlte sich unendlich wohl, so schwerelos von sich gelöst, doch die Erlebnisse an diesem langen Tage spukten noch lange in ihrem Kopfe herum, und doch, bevor der Speisenbringer, der Geschichtenerzähler, der Schuster, der Schmied, die Sänftenträger, die Eunuchen und der kleine Mohr an der Abendtafel teilnehmen und ihre Schatten über die Wände tanzen lassen konnten, war es bereits eingeschlafen.

6. Kapitel, in dem eine alte Geschichte erzählt wird

Am nächsten Morgen erwachte die neue Sklavin vom Schlaf erfrischt, als auch schon die blonde Amethyst ihr Schlafgemach betrat, ein winziges silbernes Tablett in der Linken, auf dem sich ein kleines Tulpenglas mit Tee und der eiserne Schlüssel befand, den Rubin in der Nacht zuvor mitgenommen hatte. Amethyst stellte das Tablett neben das Kesselchen auf den Nachttisch , gab der Neuen einen tüchtigen Gutenmorgenkuß auf die Wange und öffnete mit ihrem Schlüssel das Schloß, das die Schlafende an ihre Bettstatt gekettet hatte. Die Neue streckte ihre Arme aus, setzte sich auf die Kante ihres Bettes, und Amethyst gab ihr das Teeglas, das sie Schlückchen für Schlückchen leerte. Dermaßen gestärkt folgte sie Amethyst in das Badegemach, in dem sich alle anderen Sklavinnen bereits den Schlaf aus den Augen wuschen und sich für den Tag bereiteten.

Zur frühen Nachmittagsstunde war wieder der Gong der Sultansmutter zu hören, und gehorsam machte sich die Neue auf zum Wohnsaal. Dort stand die Mutter des Sultans neben der weitgeöffneten Tür des Käfigs und flötete: "Mein Vögelchen ist genug geflogen, nun geht es wieder in den Käfig!". Sie hieß die neue Sklavin sich auf den Boden des Saales zu setzen und die Hände auf den Rücken zu legen. Dies erwies sich der Sklavenketten wegen als nicht einfach, doch als die Neue Fuß für Fuß über die Handkette gestiegen und schließlich ihr Hinterteil überwunden hatte, lagen ihre Hände auf dem Rücken wie befohlen.

Die Mutter des Sultans nahm einen ledernes Band aus dem Käfig - das nämliche, das die Sklavin bereits getragen hatte, als sie angeliefert worden war - , schob ihr die Handkette an den Gelenken ein wenig hoch und fesselte mit dem Lederband ihre Hände hinter dem Rücken zusammen. Nun ergriff sie eine riesige Handglocke, einer Schiffsglocke nicht unähnlich und ließ sie einen Schlag tun. Die Türe knallte kurz darauf auf, und ein - wie es schien - zumindest an den Schultern ebenso breiter wie hoher Eunuch stampfte herein. Die Sultansmutter befahl dem Schrank, die Sklavin in den Käfig zu heben, er hob sie so leicht hinan, als sei sie ein seidenes Kissen, stapfte wieder hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Die Sklavin versuchte, es sich so bequem zu machen, wie es in einem engen Käfig mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen nur irgend möglich war. Schließlich wurden ihre Füße fest an eine Käfigstange gebunden, dann hatte die Mutter des Sultans ihr Vögelchen im Käfig wieder und wars zufrieden.

Fast, denn zumindest eine kurze Rede mußte noch gehalten werden. Sie war doch nicht so kurz und lautete, zusammengefaßt: "Mein Vögelchen, heute ist Geschichtentag!"

Nun läutete die Mutter des Sultans wieder, diesmal mit ihrem kleinsten Glöcklein, und befahl dem kleinen Mohr, der sofort zur Stelle war, den Geschichtenerzähler zu holen.

Nach geraumer Zeit öffnete sich langsam die Saaltür und ein buckliges Männchen schlurfte heran. Es trug schiefgetretene Pantoffeln und einen Rock von nicht mehr definierbarer Farbe. Auf der Nasenspitze saß eine horngeränderte Brille, die seinen Augen etwas glotzend Kuhäugiges verlieh.

Die Mutter des Sultans sprach zum Mädchen: „Dies ist der beste und berühmteste Geschichtenerzähler aller Geschichtenerzähler des Sultans !" und zum Geschichtenerzähler gewandt, „Du siehst, meine Sklavin ist in diesem Käfig und an ihn gebunden, sie kann sich kaum bewegen und möchte sich etwas zerstreuen."

Der Geschichtenerzähler ruckelte sich einen Diwan an den Käfig und setzte sich. Das Mädchen sah den Geschichtenerzähler an und fragte: „Wieviele Geschichtenerzähler hat denn der Sultan ?" „Nur mich", antwortete der Alte darauf stolz, räusperte sich und hub an zu erzählen:

"Eine sehr alte Geschichte werde ich von mir geben, verehrte Sklavin der Mutter des Sultans, die Geschichte von Perseus und Andromeda.

Perseus war Sohn des Göttervaters Zeus und der Danae, und vollbrachte bereits in jungen Jahren große Taten. Er empfing von den Graien, den Töchtern des Phorkys, zwei silberne Schwingen, die es ihm vermochten, hoch in den Lüften zu schweben, hieb der schrecklichen Gorgone, Medusa, ihr vielzüngiges Natternhaupt ab und ließ schließlich den Atlas, der ihm die Gastfreundschaft versagte, versteinern.

Als dieser nach allen Richtungen ins Unermeßliche gewachsen war und das gesamte Firmament mit all seinen Gestirnen sich auf ihn legte, war die Nacht sternenklar und so windstill, als hätte Äolus, der Herr über alle Winde, sein Gesinde eingesperrt im allertiefsten Kerker.

Und als der Morgenstern strahlend hell am Firmament erschien, band sich Perseus wieder die Flügel um, schnallte sich sein Schwert an, stieg auf und glitt auf seinen Schwingen durch die Morgenluft dahin.

Über zahlreichen Länder und Gegenden weit unten schwebte er hinweg und über das kaum gekräuselte Meer, bis er die Küste Äthiopiens entdeckte, des Landes des Cepheus.

Wie ein großer Vogel ließ er sich in weiten Bögen tiefer tragen, als er plötzlich an den schroffen Klippen eine Statue aus weißem Marmor erblickte - die Statue einer Jungfrau, wie er sie schöner noch nicht gesehen hatte.

Er lenkte seinen Flug der Statue entgegen - er hatte sie schon bald erreicht -, da bewegte ein Lufthauch ihr Haupthaar, und Perseus erkannte: nicht eine Statue, eine lebendige Jungfrau stand an den Klippen. Ihre Arme waren ihr auf dem Rücken mit starken Ketten an den Felsen geschmiedet, und ihre Augen waren tränenübergossen. Perseus starrte die gefesselte Schöne an, und, ohne es zu wollen, durchdrang Liebesglut sein Herz und seine Seele. Er war so hingerissen von dieser schönen Gestalt, daß er es kurz sogar vergaß, seine Schwingen zu rühren und um ein Haar wie ein Stein zu Boden gefallen wäre.

Durch kurz vor dem Wasser flatterte er heftig mit seinen Flügeln, landete etwas unsanft in einer riesigen Gischt, stapfte an Land zu der Schönen, sog die frische Meeresluft in seine Lungen und sprach sie an: «Nicht diese Ketten verdienst du, sondern die, mit deren Hilfe sich Liebende in ihrem Begehren verbinden ! Verrate mir bitte deinen Namen und deine Herkunft und, warum du Fesseln trägst !» Jene schwieg zuerst, da sie es als Jungfrau nicht wagte, mit einem fremden Mann zu sprechen. Sie hätte sich die Hände schamhaft vors Antlitz gehalten, wären ihre Arme frei, und sie nicht angekettet gewesen. Die Augen jedoch - dazu war sie noch imstande - flossen über von herabstürzenden Tränen.

Als er immer inständiger in sie drang, sprach sie - sie wollte ja den Eindruck vermeiden, als hätte eigenes Verschulden sie in diese Lage gebracht - zu ihm, nannte ihren Namen, Andromeda, und berichtete, sie sei die Tochter der Cassiopeia und des Cepheus, der Königin und des Königs von Äthiopien, und, wie stolz ihre Mutter auf ihre makellose Schönheit gewesen sei und, damit prahlend, schöner zu sein als die Töchter des Meergottes Nereus, die Nereiden erzürnt hätte, die wiederum ihren Vater Nereus soweit gebracht hätten, sein gräßlichstes und gefährlichstes Meeresungeheuer auszusenden, um ihrem Volk Untergang und Verderben zu bringen, und ein Orakelspruch weissagte, nur der Opfertod einer königlichen Jungfrau könne das Ungeheuer davon abhalten, sein grausiges Werk zu verrichten. Und als die Jungfrau noch in ihrer Erzählung war, brauste das Meer auf, eine riesige Welle spülte sich über den Strand und ein schrecklich anzusehendes Untier näherte sich rasch den Klippen.

Die Jungfrau schrie auf, alles Mitleid der Welt verdienend, doch Perseus sprach mit fester Stimme zu ihr: «Androma, wisse, wen Du vor dir hast. Ich bin Perseus, der Sohn des Zeus und der Danae, die der Göttervater einst als Goldregen befruchtete in ihrem Verlies. Derjenige Perseus bin ich, der die Medusa mit ihren Haaren aus Giftschlangen überwand, derjenige Perseus, der es wagte, auf Schwingen sich durch die Lüfte tragen zu lassen und der den Atlas versteinerte. Deine Eltern würden mich wohl jedem Schwiegersohn vorziehen. Du mußt mir - ich werde mir noch viele Verdienste erwerben - geloben, die Meine zu werden, und ich werde Dich retten aus dieser Gefahr.»

In dieser Lage war es nicht angebracht, lange zu feilschen, und - der ungestüme und mutige Perseus gefiel der Königstochter ja außerordentlich - so gab sie ihm das Jawort. Keine Zeit war mehr zu verlieren: das Ungeheuer pflügte mit unheimlicher Kraft durchs Wasser und war nur noch einen Steinwurf weit vom Ufer entfernt, als Perseus - die Morgensonne hatte die Schwingen getrocknet - sich vom Boden abstieß und dem Untier entgegenflog.

Kaum war der Schatten des Perseus auf dem Meere zu sehen, schnappte das Monstrum danach und fletschte seine gräßlichen langen und spitzen Zähne. Perseus stürzte sich von oben herab auf das Ungeheuer, wie der Adler sich auf die Giftschlange stürzt und ihr seine Krallen in die Flanken schlägt, um sich vor den tödlichen Zähnen zu schützen, zog sein Schwert, stieß zu und glaubte, das gräßliche Wesen mit der Waffe zu durchbohren - doch es war, als versuchte er, ein Loch in einen Regenbogen zu schlagen.

Das Untier glitt unverletzt zur Seite, und Perseus mußte erkennen: das unheimliche Wesen war, von Haß, Neid und Mißgunst geboren, nicht von dieser Welt aus Fleisch und Blut. Der Kampf war schon verloren, ehe er begonnen hatte. Perseus, von Grauen geschüttelt, flog an Land, stellte sich vor seine Geliebte, zog sein Schwert mit der Linken und hoffte bei sich nur, als Mann aufrecht im Kampfe zu sterben und durch sein Opfer Andromeda zu retten.

Doch als er als letzten Abschiedsgruß die Rechte seiner Liebsten entgegenstreckte und ihr die Brust berührte, erhob sich schauerliches Geheul aus dem Maule des Ungeheuers, denn selbstlose Liebe war das Ende seines Seinszweckes und so sein Verderben. Es erhob sich einen letzten wilden Schrei ausstoßend aus dem Wasser, schlug wieder hart auf der Gischt auf und zerfloß in tausende und abertausende Klümpchen, die das Meer bald unter sich begrub.

 

 

 


Perseus jedoch wandte, als die Gefahr sich so unverhofft in Nichts aufgelöst hatte, sich seiner Geliebte zu und trocknete ihr die Tränen mit seiner Zunge. Das Schwert schlug, mit kräftigen Hieben geführt, die Kette aus dem Felsen, und Perseus führte die nun unendlich frohe und glückliche Andromeda in ihren Fesseln den langen Weg heim zu ihrem Königshof.

Viele lange, frohe und erlebnisreiche Jahre verlebten sie zusammen, und als die Zeit kam, dem Irdischen Lebewohl zu sagen, fanden Perseus und Andromeda sich, für immer vereint und glücklich, als leuchtende Sternbilder am Himmelsfirmament wieder, aneinander gebunden in alle Ewigkeit, und künden jedem, der zu ihnen aufschaut, von der Kraft der Liebe."

Als der Geschichtenerzähler geendet hatte, schwieg das Mädchen lange, lächelte ihn schließlich an und sprach: "Ich würde Ihnen ja gerne tosend Beifall klatschen, mein Lieber, aber wie Sie sehen, hindert mich ein ledernes Band. Auch mit den Füßen kann ich nicht vor Begeisterung trampeln, Sie sehen das ja auch. Lassen Sie mich Ihnen meine Wertschätzung anders ausdrücken." Und das Mädchen beugte sich langsam nach vorne, bis die Stirn die Knie berührten und verharrte in dieser Stellung. Der Geschichtenerzähler war darob sehr gerührt, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, verbeugte sich nun selbst und schlurfte aus dem Saal.

7. Kapitel, in dem eine Sklavin ihren Kopf durchsetzt.

Es war noch Nacht, als das Mädchen erwachte, da man von fern die Müezzins rufen hörte. Als es sich im Bett umdrehte und die Kette, die seine Hände mit der Wand verband, klirrte, wurde es gewahr, wie eine der Sklavinnen die Türe öffnete, das Schlafgemach betrat, ihm die Wange streichelte und mit einem Schlüsselchen sowohl das Schloß an der Wand als auch das bei seinen Händen öffnete, die Schlösser zu sich nahm, und so leise, wie sie gekommen war, das Zimmer wieder verließ und hinter sich die Türe schloß.

Als das Mädchen,  noch schlaftrunken, bemerkte, daß die Kette, die es an der Wand festgehalten hatte, noch neben ihm lag, kam ihm ein Gedanke, die es sofort als zu phantastisch verwarf. Doch es loszulassen, diesen Gefallen tat der Gedanke ihm nicht.
Schließlich setzte sich das Mädchen auf die Bettkante und sprach zu sich selbst:

"Die Ketten an Händen und Füßen sollen mich also immerzu daran erinnern, fremdem Willen unterworfen zu sein? Was soll mich denn daran hindern, mich selbst ständig daran zu erinnern, einen eigenen Willen zu besitzen und meinem eigenen Willen unterworfen zu sein?

Und als es von ferne das Hämmern und Klopfen des Schmiedes vernahm, war urplötzlich der Entschluß gefaßt. Leise, ganz leise schob das Mädchen die Kette, die neben ihm im Bette lag und noch immer die Wärme seines eigenen Körpers verströmte, zu einem Häuflein zusammen, packte das Häuflein mit beiden Händen und schlich sich aus dem Schlafgemach. Der Palast lag noch in tiefem Schlummer, und das Mädchen durchquerte mit vorsichtigen Schritten ein dämmriges Gemach nach dem anderen, immer dem Klopfen des Schmiedes entgegen.

Als es vor dessen hölzernen Türe stand, pochte es in seiner Brust fast noch lauter als das Pochen des Schmiedes, doch nach einer Weile nahm es sich ein Herz, drückte die Tür auf und betrat die Schmiede.

Wie jüngst erstarb plötzlich jeglicher Lärm, der Schmied stellte das eiserne Gitter, das zu fertigen er im Begriff stand, beiseite und blickte das Mädchen fragend an. Das Mädchen sprach keinen Ton, sondern legte die Kette, die es in seinen Händen trug, auf den Amboß und seine Hände dazu.

Schweigend holte der Schmied sein Werkzeug und ein Schließglied aus dem hölzernen Kasten, zog die Hände das Mädchens auseinander, griff sich die Mitte der Kette, die die Hände verband, und schmiedete die neue Kette daran. Das Mädchen ergriff das freie Ende der neuen Kette mit beiden Händen und deutete mit den Daumen auf seinen Hals. "Wart einen Moment!", brachte der Schmied heraus, kramte in seiner Werkstatt umher und warf schließlich ein ledernes Kissen auf den Haufen von Eisenspänen, der sich wohl über mehrere Schmiedgenerationen hinweg vor dem Amboß breitgemacht hatte. Das Mädchen kniete sich auf das lederne Kissen, drehte den Kopf zur Seite, legte ihn auf den Amboß und schloß die Augen.

Der Schmied holte von neuem ein Schließglied aus dem Holzkasten, schlang dem Mädchen die neue Kette eng um den Hals, verschloß sie und schmiedete sie zu.

Nachdem seine Arbeit vollendet und dem Mädchen der Hals mit den Händen verbunden war, drückte sich das Mädchen am Amboß hoch, hauchte ein Dankeschön und ging im Dämmerlicht mit kleinen Schritten und so leise, wie es gekommen war, Gemach für Gemach zurück, legte sich schließlich auf sein Lager, zog sich die Decke über den Kopf und schlief glücklich und zufrieden ein.

8. Kapitel, in dem eine Sklavin bestraft wird und dadurch nur stärker wird

Als sich das Mädchen später zur Käfigstunde - so nannte es für sich die Zeit, die es tagtäglich bei der Mutter des Sultans erschien, um sich in den Käfig sperren und unterhalten zu lassen - mit einer Sänfte zum Wohnsaal des Sultans bringen ließ und dort sich anschickte, mit ihrer neuen Kette zum Käfig zu gelangen, war die Mutter des Sultans baß vor Erstaunen, gebot Einhalt und sprach: "Ich bewundere Euren Mut, erstaunliche Sklavin, Euren Willen durchzusetzen, doch, wie Ihr verstehen werdet, kann ich eigenmächtiges Handeln in meinem Palast keinesfalls dulden! Ein Rechtsgelehrter weilt in meinen Gemächern, er wird Euch aufklären über die Palastordnung und über die Strafe, die Euch zuteil werden wird." 

Sie läutete und wies den kleinen Mohren, der daraufhin erschien, an, den Rechtsgelehrten in den Wohnsaal zu bitten. Und tatsächlich trat wenig später ein Herr im Gehrock in den Saal, eine große eckige Büchertasche in der einen und einen Spazierstock mit silbernem Knauf in der anderen Hand. Er stellte die Büchertasche auf den großen Tisch in der Ecke, und als die Sultansmutter ihn über die Untat des Mädchens ins Benehmen setzte, hub er an zu sprechen: "Verehrte Sklavin, Ihr habt gegen die Palastordnung verstoßen, die eigenmächtiges Handeln den Sklaven ausdrücklich verbietet. Doch", er wandte sich zur Sultansmutter und der Knauf seines Stockes pochte im Takt auf dem Tisch, "Mutter des Sultans, Ihr setzt die Sklaven nicht in Kenntnis dieser Ordnung, wie es denn Ihre Pflicht wäre. Schon seit langem, Verehrteste, bot ich mich an, eben dieser Pflicht genüge zu tun - ein angemessenes Honorar vorausgesetzt -, doch ist nichts geschehen".

Jetzt wandte er sich wieder an die Sklavin und sprach zu ihr: "Nehmt mich zu Eurem Rechtsbeistand,  und - ein angemessenes Honorar vorausgesetzt - es wird Euch nichts geschehen!". Doch die Sklavin rief: "Sagt mir doch erst, gelehrter Herr, was mich denn erwartet !" Der Gelehrte sprach: "Ihr müßt geraume Zeit unbeweglich im engsten Verließ schmachten", er senkte die Stimme, "vor und nach der Züchtigung durch Eure Kameradinnen. Jede hat zwei Schläge." Doch das Mädchen war unverdrossen und rief: "Das will ich gerne auf mich nehmen!" Der Rechtsgelehrte blickte sehr erstaunt, doch die Sklavin fuhr fort: "Schon lange träumte ich davon, im Verließ zu schmachten, hinter Kerkermauern, und, da dies nun meine Strafe ist, will sich sie gerne tragen." Der Gelehrte blickte sehr ungläubig und verließ kopfschüttelnd den Saal.

Die Mutter des Sultans sprach nun zu ihrer Sklavin: "Nun denn, laßt uns keine Zeit mehr verlieren!" Sie wies den kleinen Mohren an, den Kerkermeister zu holen, und bald darauf stand ein riesiger Schwarzer im Zimmer, der größte, den die Sklavin glaubte je gesehen zu haben, in der einen Hand eine schwere dunkle Eisenkette, an der ein eiserner Halsring angeschmiedet war, und in der anderen ein großes altertümliches Schloß mit Schlüssel.

Die Sultansmutter wies ihn an, aus der Sklavin eine Gefangene zu machen und sagte: "Doppelte Kerkerhaft mit Züchtigung!". Der Riese klappte den Halsring auf, legte ihn um den Hals des Mädchens und verschloß ihn mit dem alten Schloß. Er ergriff das Ende der Kette und zog die Sklavin aus dem Saal, die ihm mit kleinen Schritten folgte. Er schlug den Weg zur Werkstatt des Schmiedes ein, der auf Geheiß des Kerkermeisters die Sklavenketten an Händen und Füßen des Mädchens abschlug. Man schritt nun viele weite und enge Gänge entlang, der Riese mit der Kette vornweg, die Delinquentin, die fußkettenlos nun besser laufen konnte, am Halsring hinterdrein. Schließlich gelangte man an eine große gemauerte Säule, in die eine eiserne Türe eingelassen war. Der Kerkermeister schloß die eiserne Tür auf und, wie er sie öffnete, gab sie ächzend den Blick frei auf eine enge Wendeltreppe, die in die Tiefe führte.

Der Kerkermeister stieg gebückt in das durch ein paar wenige flackernde Kerzen nur mäßig erhellte Halbdunkel hinab, die Delinquentin an der Kette notgedrungen hinterdrein. Nach vielen Windungen endete die Treppe schließlich in einem schmalen Gang, den man weiter entlangschritt. Links und rechts waren eiserne Türen, die der Kerkermeister jedoch achtlos hinter sich ließ. Der Gang machte eine scharfe Biegung, und als man in sie hineinschritt, endete er an einer groben Mauer.

Neben dieser Mauer war ein mächtiges, durch dicke ineinander verflochtene Eisenstäbe gebildetes Gitter in die Wand eingelassen, und als der Kerkermeister das Gitter aufschloß und öffnete, gewahrte das Mädchen dahinter ein winziges Gelaß, den ein großer, speckiger heller Steinblock fast zur Gänze ausfüllte. Der Block war geformt wie ein ungeschlachter Lehnstuhl, doch statt der gepolsterten Armlehnen waren uralte, mattglänzende kurze Ketten in den Stein eingelassen. Statt eines Schemels befanden sich zwei gleichermaßen alte Ketten am Fuße des Stuhls, kurz über dem Boden, und eine letzte Kette schließlich statt eines Kopfpolsters an der steinernen Lehne.

Der Sklavin gefror fast das Blut in den Adern, als sie wahrnahm, wie in der Sitzfläche des steinernen Stuhles ein dunkles Loch gähnte, denn dies verhieß nichts anderes, als daß der Stuhl für einen wirklich längeren Aufenthalt geschaffen worden war.

Der Kerkermeister löste das Halseisen, hieß die Delinquentin sich niederzulassen, und, nachdem er sie mit Hilfe der Ketten an Händen und Füßen eng an den Felsen angeschlossen hatte und auch ihren Hals nicht vergaß, fiel das eiserne Gitter krachend ins Schloß. Der Kerkermeister drehte den Schlüssel zweimal um und ließ sie alleine.

Nachdem sich die Gefangene eine Zeitlang der Enge ihrer eisernen Banden versichert hatte, versuchte sie sich vorzustellen, wer durch all die Jahrhunderte hindurch, die das Verließ wohl schon bestand, an ihrem Platze schon geschmachtet und den Stein geglättet hatte, ein rechtmäßiger Sultan vielleicht, den sein ruchloser Bruder in Kerkerbande warf, um selbst die Freuden der Macht zu genießen, ein Freiheitskämpfer vielleicht, den man als Volksaufrührer ins Verließ gestoßen hatte, obgleich er nicht mehr wollte als Menschen, die genug in ihren Töpfen haben und nicht des Sultans sinnlose Kriege bezahlen sollten, eine der Sultansfrauen vielleicht, die sich standhaft dem Sultan verweigerte und seiner spottete, vielleicht auch ein Wahnsinniger, der mordend im Palast umging und Jungfrauen meuchelte.

Jetzt aber - und sie war stolz darauf -, saß da eine Sklavin, die es gewagt hatte, Ihrer Herrin die Stirn zu bieten und sich vor den Folgen nicht fürchtete. Und wie sie so fest mit dem steinernen Stuhl verbunden saß, halb träumend und halb wach, verging Stund um Stund. Zuweilen erschien der Kerkermeister, um Wasser und Fladenbrot durch das Gitter zu reichen, und, wie sie seinen verständnisvollen großen weißen Augen zu entnehmen glaubte, auch, um ihr Mut zu machen in ihrer Einsamkeit und Unbeweglichkeit.

Schließlich, es kam der Eingekerkerten vor wie eine Ewigkeit, drehte sich der Schlüssel des Kerkermeisters im Schloß des Gitters. Der Kerkermeister öffnete das Gitter und sprach zu ihr: "Die Züchtigung steht nun bevor!". Er öffnete die Kette, die ihren Hals umschlang, und befestigte daran stattdessen den eisernen Halsring, den sie bereits beim Betreten dieser unterirdischen Welt getragen hatte. Nachdem er auch die Ketten an ihren Händen und Füßen geöffnet hatte, stand sie auf, und der Kerkermeister führte sie den Gang zurück bis zu einer Eisentüre, die vorhin verschlossen gewesen war, jetzt aber sperrangelweit offenstand.

Er ließ sie vor sich eintreten, und sie erblickte einen halbrunden großen Raum, der ihr nach der Enge ihres Verlieses wie ein riesiger Saal vorkam. Im Halbrund waren sechs mannshohe Nischen eingelassen; oberhalb jeder Nische leuchtete eine Fackel, und links und rechts daneben brannte jeweils eine Kerze. Wie Karyatiden standen in den Nischen ihre sechs Gefährtinnen, ganz in schwarze Seide gehüllt, und jede trug eine Peitsche in der Hand.

Dem Halbrund gegenüber, an der Seite, an der sie den Raum betreten hatte, erhob sich der Boden zu einem kleinen Podest, auf dem kurz nebeneinander zwei eiserne Ringe eingelassen waren. Über diesen Ringen waren in der Decke des Raumes zwei ähnliche Ringe befestigt, etwa zwei Schritt auseinander; von diesen Ringen hingen zwei Eisenketten in den Raum.

Der Kerkermeister legte der Gefangenen zwei lederne Manschetten um die Füße und befestigte sie an den Ringen im Boden.

Daraufhin legte er zwei weitere lederne Manschetten um ihre Handgelenke und hing sie in die von oben herabhängenden Ketten ein.

Schließlich legte er ihr eine Augenbinde aus Tüll und ein mit vielen Riemchen gehaltenes enges ledernes Korsett an, das nur ihr Gesäß freiließ und sie von verirrten Schlägen verschonen sollte.

Die Delinquentin stand mit ihren nach oben gezogenen Armen im Raum wie ein großes Ypsilon, konnte den Raum nur wie durch einen dicken Nebel wahrnehmen und harrte der weiteren Dinge, die da kommen mochten.

Nachdem sie eine Zeitlang so gestanden war, trat wie auf ein geheimes Zeichen hin die erste ihrer Gefährtinnen aus ihrer Nische hervor - sie vernahm, wie deren Sklavenkette leise auf dem steinernen Boden klirrte -, stellte sich hinter sie und schlug mit voller Kraft zu. Die Sklavin, die diesen Teil ihrer Aufgabe genüge getan hatte, schritt daraufhin wieder zurück zu ihrer Nische und löschte als Zeichen der vollbrachten Tat eine der daneben angebrachten Kerzen. Nach geraumer Zeit löste sich die Zweite aus ihrer Nische und schlug die Peitsche wie ihre Vorgängerin. Dann war die Dritte an der Reihe, dann die Vierte, die Fünfte und die letztendlich die Sechste.

Nun waren sechs Kerzen gelöscht, und die Hälfte der Strafe war erlitten. Doch die Zeit dehnte sich und es kam der Gefangenen vor, als gewönnen die Foltermägde mit jedem Schlag neue, ungeahnte Kräfte. Doch kein Schreien, kein Seufzen, kein Stöhnen entrang sich ihr, und als schließlich nach dem letzten Schlag auch die letzte Kerze erlosch, durchbebte ein Glücksgefühl ihre Brust, und sie fühlte sich stark wie ein Granit in der Brandung. Nach geraumer Zeit verließen die Gefährtinnen ihre Gelasse, stellten sich vor ihr auf und verbeugten sich voll Hochachtung. Sie salbten ihren geschundenen Körper mit feinstem Öl, und die Gefangene spürte, wie jede beim Rest der Strafe im Geiste bei ihr sein würde.

Nachdem die Gefährtinnen den Raum verlassen und der Kerkermeister die Delinquentin losgebunden und zurück in ihr Verlies gebracht hatte, saß diese in ihrem steinernen Sessel in ihren eisernen Ketten wie eine Fürstin, die auf ihrem Throne die ihr angemessenen Huldigungen entgegennimmt, und die Stunden des Schmachtens vergingen ihr wie im Fluge.

9. Kapitel, in dem sich eine Sklavin entscheiden muß

Als der Kerkermeister ihr Verlies aufgeschlossen und ihr die Ketten gelöst hatte, die sie mit dem steinernen Stuhl verbunden hatten, stand sie stolz auf, ließ sich das Halseisen erneut anlegen und schritt erhobenen Hauptes vornweg, hinter ihr,  die Kette in der Hand, der Kerkermeister. Nachdem man die Treppe zur Oberwelt hinaufgestiegen war, stand die Mutter des Sultans zur Begrüßung schon bereit. Sie verbeugte sich vor der Sklavin und sprach "Meine Hochachtung, Verehrteste - nun wollen wir uns etwas stärken!". Sie ließ sich vom Kerkermeister das Kettenende und den alten Schlüssel reichen, hieß ihn, sich zu entfernen und schritt neben der Sklavin durch die Gänge des Palastes, bis der Wohnsaal erreicht war. 

Dort wies sie der Sklavin mit einer Handbewegung den Ehrenplatz am Tische zu, schloß ihr das Halseisen auf, ließ das Eisen an der Kette zum Boden herab, befahl nun, den Speisenbringer kommen zu lassen, dem sie auftrug, vom Feinsten aufzutischen, was die Küche hergab, setzte sich neben die Sklavin und sagte, während diese, die so lange darben mußte, den Speisen und dem Wein sehr lebhaft zusprach, zu ihr:

"Meine Hochachtung, demütigste und würdigste aller Sklavinnen! Ihr sollt nun befreit sein von gemeinen Sklavenketten. Ihr könnt nun ganz frei sein, und ich werde Euch beschenken mit Reichtümern, von denen Ihr niemals zu träumen gewagt habt. Ihr dürft mich verlassen und mit all den Schätzen ein freies und glückliches Leben führen.

Doch könnt Ihr auch weiterhin als Sklavin hier dienen, und Ihr werdet die Sklavenfürstin sein. Die Gelenke Eurer Arme und Beine werden Reifen aus Stahl umschießen, ebenso wie Euren zarten Hals, und ihr werdet Euch fesseln und binden lassen,  wie hier noch niemals - in Strenge und in Dauer - eine Fürstin gefesselt und gebunden worden ist. Nur mir, den Ihr müßt wissen, daß auch ich einst Sklavin war, ist ähnliches widerfahren, und, ich kann Euch sagen: damit die Seele fliegen kann, muß man den Leib binden. Ich gebe Euch Zeit, bis morgen die Sonne den Zenit erreicht hat - bis dahin seid Ihr frei. Doch Eure Entscheidung ist unumstößlich - denkt daran!"

Als die junge Frau in ihrem Bette lag, versuchte sie sich all die Reichtümer vorzustellen, von denen die Sultansmutter gesprochen hatte. Gold, Geschmeide, Seide, Tand, Kisten um Kisten voll. Doch so sehr sie sich bemühte, sich jauchzend vorzustellen beim Wühlen in all den Schätzen, die Goldketten durch die Finger gleiten lassend, die Edelsteine sanft befühlend, blieb ihr Herz sehr kalt.

Aber als sie sich sah als Sklavin und Herrin in Einem, als Sklavenfürstin, für Stunden (Tage? Nächte?) verdammt zur Unbeweglichkeit durch unerbittlichen Stahl, hilflos, von ihren Sklavinnen gefüttert, und dabei doch einzig bestimmend über deren Geschick, von Sklavinnen, die zu beherrschen Ihre Fürstinnenaufgabe war, durchzog eine sehnende Wärme ihren Körper, und als der Müezzin das erste Mal rief und sie der Schlaf umarmte, stand die Entscheidung fest.

Als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, verließ die junge Frau ihre Lagerstatt und betrat die Badegemächer. Sie wusch und salbte sich in froher Erwartung und begab sich zur Mittagsstunde in den Wohnsaal, in dem die Mutter des Sultans ihrer harrte. Als die Sklavin die Türe hinter sich schloß, erhob sich jene und sah sie fragend an. Statt einer Antwort schritt die Sklavin zum Käfig, der noch immer von der Decke herabhing, und zog eines der beiden darinliegenden Lederbänder heraus, legte es vor der Sultansmutter auf den Tisch nieder, wandte ihr den Rücken zu und streckte ihre Hände nach hinten. Die Mutter des  Sultans hatte die Geste wohl verstanden, denn sie ergriff den Riemen und band die Hände der Sklavin hinter deren Rücken mit vielen Knoten eng aneinander. Sie zog die Sklavin auf einen Diwan, und, überraschenderweise - denn die Sklavin hätte eine lange und tiefschürfende Rede erwartet - , küßte sie schweigend ihre Stirn und strich ihr mit feuchten Augen sanft über die Wangen.

Nach geraumer Zeit durchmaß die die Mutter des Sultans den Saal bis zum Käfig und forderte mit einem Nicken des Kopfes die künftige Sklavenfürstin auf, es ihr gleichzutun. Diese schritt, die Hände hinter dem Rücken gebunden, ihr entgegen, und blieb vor der geöffneten Käfigtür stehen. Nun läutete die Sultansmutter ihrem kleinen Mohren und ließ einen Eunuchen herbeiholen, der die Sklavin in den Käfig hob. Die Sklavin strecke ihre Beine aus und ließ sich von der Mutter des Sultans die Beine mit dem zweiten Lederriemen an eine Käfigstange binden, wohl ahnend, daß dies ihr letzter Käfigtag als Sklavin war. Und wirklich, die Sultansmutter sprach zu ihr: "Nun seid Ihr bald meine Gefangene gewesen, meine Teuerste, denn bald seid Ihr Eure eigene Gefangene, und ich nur Euer Werkzeug. Ihr werdet einen Fürstenthron bekommen, für den Ihr Euch wahrlich nicht zu schämen braucht. Doch leistet mir nun noch einmal Gesellschaft in diesem Käfig, der Euch zu mir brachte. Wenn Ihr gestattet, werde ich Euch mit Musik erfreuen."

Die Sklavin sprach aus dem Käfig heraus: "Das ist sehr schön, denn ich liebe Musik - doch, wisset, Verehrteste, meinen Ohren sind die Töne Eures Landes sehr fremd. Da ich nicht  bezweifle, daß es die besten und bewandtersten aller Musiker sind, die Ihr aufbieten werdet, bitte ich Euch, sie Töne des Westens zum Besten geben zu lassen, denn diese bereiten mir wahrhaften Genuß!" "Aber gewiß doch!" lachte die Sultansmutter und ließ die Musiker kommen.

Die Musiker waren allesamt in schwarze Kaftane gekleidet und trugen steife Hüte auf ihren langen Haaren, die an den Ohren in kunstvollen Löckchen ausliefen. 
Nachdem die Musiker sich nach geraumer Zeit mit ihren Instrumenten im Saale so verteilt hatten, wie sich dachten, es dem Klang ihrer Klarinetten, Flöten und Geigen schuldig zu sein, und beratschlagt hatten, was denn zu spielen sei, erschollen Töne von geradezu überirdischer Schönheit. Ergriffen lauschte die Sklavin den Melodien, die gleichzeitig beschwingt, über- und schwermütig, heiter und sehnsüchtig waren. Sie hatte noch nie gehört, wie eine Klarinette so menschliches Glück und Leid auszudrücken vermochte, und war hingerissen von dieser Musik.

Als der letzte Ton verklungen war, rief die Sklavin: "Bravo, Bravissimo!" und die Musiker verbeugten sich vor ihr wie vor einem großen Publikum. Sie verließen den Saal, und endlich sah die Sultanin die Gelegenheit gekommen, eine Großansprache zu halten. Sie stellte sich in Positur und sprach: "Nun denn, meine Sklavin, die Zeit ist gekommen, Euch zur Fürstin zu verwandeln. Ihr werdet beim Stahlschmied die Insignien einer Gefesselten Fürstin erhalten und Ihr dürft nicht nur Euren Saal und Euren Thron gestalten, wie Euch angemessen erscheint. Der Teil des Palastes, der Euer Schlafgemach und das der Sklavinnen beherbergt, sei Euer!"

Habt Ihr aber das Bedürfnis, mir als Sklavin Gesellschaft zu leisten, laßt mich es wissen und Ihr seid mir als solche immer herzlich willkommen!" 

Die Mutter des Sultans öffnete mit diesen Worten den Käfig, löste der Sklavin die Banden und half ihr herabzusteigen. Nun führte sie die künftige Fürstin zum Stahlschmied, der ihr stählerne Arm- und Fußreifen und ein stählernes Halsband anschmiedete. Jeder dieser Reifen war ganz nach ihrem Körper geformt und lag zu eng an, als daß man einen noch so dünnen Riemen hätte durchziehen können. An allen Reifen (sie jemals ohne Schmiedekunst und -werkzeug wieder zu entfernen, war unmöglich)  waren bewegliche Ringe angebracht, am Halsband sogar zwei, vorne und hinten, die es ermöglichten, sie mittels eines Schlosses jederzeit aneinander oder an irgendwelchen Gegenständen oder Ketten zu befestigen. 

10. Kapitel, in dem eine Thronbesteigung vorbereitet wird

Als die künftige Fürstin dergestalt geschmückt war, war es an der Zeit, den Großen Thronsessel zu entwerfen. Die Mutter des Sultans führte sie zum Schreiner, der unweit des Stahlschmiedes sein Handwerk betrieb. Dort ließ die künftige Fürstin einen hohen hölzernen Lehnstuhl herbeischaffen, setzte sich hinein und sprach, zum Schreiner gewandt: "In dem Thonsessel, den Ihr anfertigen werdet,  werde ich künftig residieren. Da mir als der Gefesselten Fürstin mein Leib während meiner Thronzeiten fest an diesem Thron angeschlossen sein wird, während mein Geist und meine Seele regieren, soll er es doch so angenehm wie möglich haben. Ein edles Polster soll der Thron haben, nicht zu weich und nicht zu fest, aus feinstem schwarzen Ziegenleder.

Den Lehnen zuvorderst soll zu meiner Linken zieren ein silberner Mond und zu meiner Rechten eine güldene Sonne.

Die Stütze meiner Füße jedoch soll zieren ein gar gräulich Gewimmel aus Schlangen, Drachen, Lindwürmern und ähnlichem Getier.

Über meinem Haupte jedoch wünsche ich mir ein tiefschwarzes Halbrund mit diamantenen Sternen.

Der Schreiner, hocherfreut über diesen Auftrag, der von seiner Kunst wahrlich mehr forderte als das übliche Flicken und Leimen des palästliches Mobiliars, versicherte, alle Wünsche getreulich zu erfüllen, erbat für sich und seine Gesellen jedoch eine Woche Zeit für das großes Werk.. 

Diese lange Woche war die künftige Fürstin nun befreit von allen Ketten und Bändern und war doch darob gar nicht froh. Vergeblich harrte sie nachts der Widerstände, die die eisernen Banden ihr entgegenzusetzen vermochten und sehnte nichts mehr herbei als den ersten Tag auf ihrem Thron.

Endlich war der große Tag gekommen und die künftige Fürstin wurde von den Sklavinnen in das Badegemach geleitet, gewaschen und gesalbt. Nun wurde sie zum Ersten Barbier des Palastes, einem Barbier aus Bagdad,  geführt, der ihr kunstvoll die Haare richtete, wie es ihr geziemte.

Schließlich kam sie zum Schneider, der sie bat, sich auf einem Schemel niederzulassen, der aus einem Baumstumpfe bestand. Als er eröffnete, ihr das feinste Gewand aus schwarzer chinesischer Seide anzumessen, und um Geduld bat, da dies einen Zeitraum mehrerer Stunden in Anspruch nähme, sprach die künftige Fürstin zu ihm: "O Schneider, gewiß werdet ihr mich kleiden in ein Gewande, das einer Fürstin zu tragen ansteht. Doch wisset, ich werde die Gefesselte Fürstin sein und Euer Gewand muß dergestalt beschaffen sein, daß ich es auch in Ketten zu tragen vermag. Legt mich beim Ankleiden immer in Ketten, und ich bin sicher, Ihr werdet das Tuch dann solcherart schneidern, wie es diesen Umständen angemessen erscheint. Der Schneider tat wie geheißen, legte die künftige Fürstin in Ketten und begann sein Werk.

Stunden später besaß die künftige Fürstin das prächtigste Gewand, das, wie es ihr vorkam, des Schneiders Werkstatt je hatte verlassen, und wurde ihrer Fesseln befreit.

Recht ohne Ziel ging die künftige Fürstin nun im Palaste umher, kam an der Küche vorbei, setzte sich auch in das kleine Gelaß gegenüber, nahm eine kleine, doch köstliche Mahlzeit zu sich und wanderte weiter umher, in sich allein der Gedanke, daß die Zeit vergehen möge bis zu ihrer großen Stunde, als sie nach Sonnenuntergang zur Sklavenfürstin ausgerufen werden sollte. Endlich, sie befand sich in einem abgelegenen Teil des Palastes,  stürzte der kleine Mohr auf sie zu und rief: "Ach da seid ihr ja! Alles harrt Eurer - man ist schon versammelt in Eurem Thronsaale - nur Ihr fehlt noch!"

Die künftige Fürstin spielte die Überraschte und ließ sich von dem kleinen Mohren zum Thronsaal geleiten, den sie selbst ja noch nicht gesehen hatte. Der kleine Mohr öffnete beide Türflügel zum Saal und rief, sich einen Kommandoton geben wollend, mit künstlich tiefer Stimme in den Raum: "Die Fürstin tritt ein!"

11. Kapitel, in dem eine Thronbesteigung durchgeführt wird

Die Fürstin trat - nein sie schritt ein. Der Saal war von Kerzen, die an den Wänden angebracht waren, erleuchtet, und dem Eingang gegenüber war der prächtige Thron errichtet. Drei der Sklavinnen säumten den Weg zum Throne zur linken, drei den Weg zur Rechten. Sie sah genauer hin und wurde gewahr, wie die Sklavinnen auf schwarzen Kissen knieten, die durch die Sklavenketten zusammengehaltenen Hände vor sich auf den Boden gestützt. Sie trugen Diademe und jedes dieser Diademe war mit vielen funkelnden Edelstein geschmückt.

Die künftige Fürstin schritt majestätisch durch das Spalier, ließ sich auf ihrem Throne nieder und legte die Hände in den Schoß.

Einen Augenblick fürchtete sie nun, eine Thronrede halten zu müssen, die sie mitnichten vorbereitet hatte und - anders als wohl die Mutter des Sultans - auch nicht aus der Luft zu zaubern hätte vermocht. Doch die Sklavin, die ihr am nächsten zur Linken kauerte - die künftige Fürstin bemerkte, es war Rubin, die mit den langen Haaren - stand mit einem Ruck auf, stellte sich in gebührendem Abstand von dem Throne hin, senkte ihr Haupt und sprach: "Fürstin, ich bin erwählt, Euch zur Gefesselten Fürstin zu machen! Demütig werde ich Euren Leib an Eurem Thron befestigen. Euer Wort wird für uns Sklavinnen Gesetz sein, und wir werden Eurem Wort bedingungslos gehorchen, was immer Ihr auch befehlen mögt."

Mit diesem Worten legte Rubin mit den langen Haaren sanft die die linke Hand der Fürstin auf die linke Armlehne. Die Fürstin nahm wahr, daß die Lehnen kunstvoll Schlösser eingearbeitet waren, die seitlich ab- und aufgeschlossen werden konnten und deren Bügel soweit hervorstanden, um ihre stählernen Armreifen damit fest anzuschließen.

Rubin mit den langen Haaren nahm einen Schlüssel hervor, schloß zuerst den linken Reif der Fürstin an die linke Armlehne, darauf den rechten an die rechte, verfuhr dann mit den Fußreifen in ähnlicher Weise, und verband schließlich durch eine kurze Kette den glänzenden stählernen Halsreif, in dem sich die Kerzen spiegelten, mit der Rückenlehne.

Daraufhin wurde der kleine Mohr gerufen, ihm der Schlüssel übergeben und befohlen, ihn zur Mitternacht zurückzubringen.

Nun ging Rubin mit den langen Haaren an ein kleines Tischlein, das abseits stand, und nahm dort ein rotsamtenes Kissen auf, und, als sie damit in die Mitte des Saales kam, war zu erkennen, daß es sich bei dem Gegenstand um eine silberne Krone handelte. Sie besaß sieben Zacken, sechs kleine und ein großer, und in jedem der sechs kleinen Zacken war ein funkelnder Edelstein eingelassen, ein wasserblauer Amethyst, ein glutroter Rubin, ein blaugrüner Smaragd, ein dunkelroter Granat, ein dunkelblauer Saphir und ein hellblau schillernder Lapislazuli - die Edelsteine, die die Sklavinnen in ihren Diademen trugen. Schließlich prangte auf dem vorderen, dem größten Zacken, ein großer Brillant, der im Kerzenlicht herrlich funkelte. 

Die Sklavin mit den langen Haaren stellte sich mit der Kostbarkeit vor den Thron und sprach: "Fürstin, tragt nun das Zeichen Eurer Macht ! Jeder dieser kleinen Zacken steht mit dessen Stein für eine Eurer sechs kleinen Sklavinnen. Denn jede unterwirft sich Eurem Willen, Eurer Strenge, Euren Strafen und Eurer Willkür. Der große strahlende Stein jedoch steht für Euch selbst, Große Gefesselte Fürstin!" 

Mit diesen Worten hob sie die Krone gen  Decke empor und senkte sie sanft auf das Haupt der Fürstin. Daraufhin sank sie zu Boden und küßte der Fürstin die Füße.

Nun kamen die fünf anderen Sklavinnen, die bis zu diesem Augenblick still und ergriffen auf dem Boden gekauert hatten, herbei und strichen demütig ihre Hände.

Jetzt ergriff die Sklavin mit den langen Haaren wieder das Wort und sprach zur Fürstin gewandt: "Wir wünschen und erflehen uns von Euch, Fürstin, kein mildes und gerechtes Regiment. Wir bitten Euch um eine strenge und willkürliche Herrschaft, um harte, ungerechte und demütigende Strafen für kleine und kleinste Vergehen, und wir wissen, Ihr bringt dafür Verständnis auf und achtet dennoch unsere Würde, denn Ihr seid eine von uns!"

Sie übergab mit einem Handzeichen das Wort der Fürstin, die unbeweglich an ihrem Throne festgeschmiedet war, doch allen war so, als habe sie sich soeben erhoben. 

Im Saale war es nun so still, daß man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören, und die Fürstin sprach: "Untertänige Sklavinnen! Gern bin ich eure gestrenge Fürstin und fordere von euch nichts anderes als Demut und Unterwerfung. Es herrschen hier gewisse Regeln, und wer dagegen zu verstoßen müssen glaubt, der hat Strafe zu erwarten. Für kleinere Vergehen stehen Ketten und Lederbänder zur Verfügung, die euch zur Reue führen. So ist es ist euch nicht gestattet, hier in diesem Saale schwatzhaft zu sein. Auch habt ihr mich hier als Ehrwürdige Fürstin anzusprechen und dabei das Haupt zu senken. Eure Sklavenketten habt ihr straff zu halten, auf daß ich nicht das kleinste Klicken hören muß. Ob ihr sitzt oder gerufen zu meinem Throne euch bewegt, kein Ton darf davon ausgehen."

Mit erhobener Stimme fuhr die Fürstin nun fort: "Für größere Vergehen werdet ihr strenger bestraft! Wenn ihr hier  zu mir sprecht, was euch nur nach Aufforderung gestattet ist, habt ihr von euch mit eurem Edelsteinnamen, der schön genug ist, zu sprechen. Jedes hochmütige "Ich" hat unweigerlich die Züchtigung mit Peitsche zur Folge! Und wenn ich einer von euch die Ehre gebe, mich anzusprechen, hat sie mich unverwandt anzusehen, ansonsten erlebt sie die folgende Audienz im Dunklen." 

Während die Fürstin gesprochen hatte, hatten alle Sklavinnen ihre Hände und Füße ausgestreckt, um die Ketten straff zu halten und so nicht den geringsten Anlaß zur Klage zu geben.

12. Kapitel: Die erste Audienz

Plötzlich hielt die Fürstin in ihren Ausführungen innen und rief: "Wenn Wir sprechen, hat Schweigen zu herrschen, und das gilt auch für Amethyst und Saphir! Eine Audienz ist kein Markttrubel! Steht auf und empfangt Eure Strafe!" 

Betreten und mit gesenkten Häuptern standen die Übeltäterinnen auf. Die Fürstin befahl: "Holt eure Kissen und setzt euch nieder, tief zu meinen Füßen, zu den Drachen, Schlangen und Untieren." Die Sklavinnen nahmen ihre Kissen und schritten dem Throne entgegen, und, ängstlich bemüht, ihre Fußketten ruhig und straff zu halten, gingen sie breitbeinig schlingernd einher wie alte Seebären, die alle Weltmeere schon oft befahren hatten.

Die Fürstin rief: "Lapislazuli, bring mir die Knebelmasken dieser Beiden und zwei Lederbänder!" Sie befahl Amethyst und Saphir, sich ihrer Obergewänder zu entledigen und sich Rücken an Rücken zu ihren Füßen niederzusetzen, und, als die kleine Lapislazuli mit den Knebelmasken und den Lederbändern wieder in den Fürstensaal zurückkam, ließ sie die zwei die Masken anlegen, schloß diese ab, und Lapislazuli band auf Geheiß der Fürstin die beiden an ihren Oberarmen mit den Bändern eng zusammen. 

"So bleibt ihr die nächsten Stunden aneinandergebunden Rücken an Rücken hier sitzen, gezwungenermaßen schweigend, und alle Gefährtinnen werden euch betrachten und die Verbüßung eurer Strafe verfolgen!"  Wer genau hinsah, konnte jedoch erkennen, daß Amethyst und Saphir jenseits der zur Schau gestellten Zerknirschung der strengen Strafe durchaus auch ihre angenehmen Seiten abgewannen und wohl in heimlichem Einverständnis eine Wiederholung nicht ausschlossen. 

Die Fürstin sprach nun: "Der Geschichtenerzähler hat mir eine wunderschöne alte Sage berichtet, von Perseus und Andromeda! Kennt ihr sie?" Als nun alle Sklavinnen mit Ausnahme von Lapislazuli bedauernd verneinten, fuhr sie fort: "Morgen wird der Geschichtenerzähler euch diese Geschichte erzählen, im Badehof. Ein Lebendes Bild wird euch die alte Mythe nahebringen, und Smaragd wird für euch Andromeda sein !"

Als sich am nächsten Tag die Sklavinnen zum Bade versammelten, befahl die Fürstin Smaragd, sich auszuziehen, ihre Hände hinter den Rücken zu bringen und sich an die griechische Säule zu stellen. Als diese nach Übersteigen ihrer Handkette der Aufforderung nachgekommen war, schob die Fürstin die Ranken mit den trompetenförmigen, duftenden Blüten ein wenig zur Seite, und es kam ein eiserner Ring zum Vorschein, der wohl schon in grauer Vorzeit in die Säule eingelassen worden war.

Die Fürstin ergriff die Handkette von Smaragd, zog sie hinter ihrem Rücken nach hinten zu dem Ring, so, daß sich Smaragd ein wenig nach vorne beugen mußte, und schloß sie an diesen an. Smaragd stand nun eng an die Säule gekettet wie einstmals Andromeda in Erwartung des Ungeheuers. Die Fürstin sprach: "Damit ihr mitfühlen könnt mit Andomeda, wird Smaragd nun geraume Zeit hier stehen." Und tatsächlich, lange, lange mußte Smaragd nun stumm stehen, während das sich in den Wasserbecken spiegelnde Sonnenlicht wunderbare Lichtspiele auf ihren nackten Körper zauberte, und die Gefährtinnen sich schon zu fragen begannen, ob nun eine Sklavin an der Säule stünde oder eine Statue aus antiker Zeit.

Schließlich, es waren wohl eine oder zwei Stunden vergangen, wurde der Geschichtenerzähler herbeigerufen, der die alte Mythe so packend zu berichten wußte, daß manch eine Sklavin in einem der Wasserbecken das Seeungeheuer auftauchen zu sehen glaubte, und fürchtete, es werde Smaragd zerfleischen. Als die Geschichte schlußendlich eine gute Wendung genommen hatte, wurde Smaragd losgeschlossen, der Geschichtenerzähler gebührend gefeiert, und alle tauchten erlöst in das Wasser - den Geschichtenerzähler natürlich ausgenommen, der sich, erfreut über den Anklang, den er gefunden hatte, in den Palast zurückgezogen hatte.


13. Kapitel: Das Geschenk

Die Türe sprang mit einem Male auf, und ein in prächtiger dunkelroter Uniform mit goldenen Tressen gewandeter schwarzer Lakai stolzierte herein, einen langen Stab in der Hand, tat rückwärts ein paar Schritte zur Seite, stieß den Stab auf den Boden und verkündete mit Stentorstimme: „Die Sultanin und ihr Geschenk!“ Daraufhin schritt die Sultansmutter herein, geschmückt mit allem, was die Schatztruhen des Palastes herzugeben imstande waren, in einer ruhigen Würde, als sei sie das Admiralsschiff des Sultans zur Abnahme der Parade nach einer gewonnenen Schlacht. Und wie das Admiralsschiff des Sultans gewöhnlich ein erobertes feindliches Schiff hinter sich herzog, so zog die Mutter des Sultans Granat hinter sich her, die kleine blasse blonde Sklavin. Granat, ihrer gewohnten Sklavenketten nun ledig und vollkommen nackt, trug eine Kopfhaube aus weichem Leder, die ihr Haupt zur Gänze umschloß und nur eine winzige Öffnung zum Atmen freiließ, und einen eisernen Halsring, an die die Kette angeschmiedet war, an der sie die Sultansmutter im Schlepptau hielt. Granat hatte die Sklavenketten jedoch so lange getragen, daß, selbst als sie nun abgenommen waren, sie sie noch an sich spürte und sich entsprechen bewegte.

Die Mutter des Sultans pflügte nun durch den Raum, bis sie vor dem Throne der Gefesselten Fürstin zum Stehen kam, beidrehte und mit erhobener Stimme sprach: „Fürstin, das wahrhafte Geschenk ist dasjenige, das dem Schenkenden Schmerzen bereitet, weil es den Verlust eines geliebten Besitzes bedeutet, und doch gleichzeitig auch Freude, weil der Beschenkte nun sich dessen Besitz erfreuen darf ! Ich schenke dir, Fürstin, hiermit meine Sklavin Granat und gewähre dir alle Rechte an ihr.“ Die Mutter des Sultans ließ bei diesen Worten das Kettenende, das sie in ihren Händen gehalten hatte, klirrend zu  Boden fallen, und die Gefesselte Fürstin antwortete: „Verehrteste, dies Geschenk erfreut mich über alle Maßen! Ihr dürft versichert sein, ich werde es in Ehren halten. Und, da Granat nun einzig mir gehört, werde ich sie zur Unterwürfigkeit mir gegenüber erziehen, wie es mir als ihrer neuen Herrin wohl geziemt. Ich danke Euch von Herzen!“ Nun reichte die Mutter des Sultans der Fürstin ihre Wange zum Kusse, und, als der sehr herzlich empfangen war, schritt sie erhobenen Hauptes aus dem Saale.

Die Fürstin erinnerte sich der Worte der Mutter des Sultans, als sie davon sprach, sie fesseln und binden zu lassen,  wie noch niemals - in Strenge und in Dauer - eine Fürstin gefesselt und gebunden worden sei, und wußte, nun hatte jene einen Weg gefunden, sie stärker zu binden als es Eisen und Stahl je vermochten. Sie hatte ihr Herz mit einer Gefährtin verbunden.

Granat stand nun vor ihren neuen Herrin, die zu ihr sprach: „Liebe Granat, ich werde dich in nun in mein Schlafgemach führen und an mein Lager anketten lassen! Sobald meine Feier hier zuende ist, werde ich zu dir kommen. Morgen wirst du in deinen Pflichten unterwiesen. Rubin, bring mir das Geschenk in mein Gemach, und sieh vor, daß es keiner stehle!“

Kurze Zeit später, als die festliche Sitzung ihr Ende genommen und die Gefesselte Fürstin wieder frei war, strebte diese nach kurzem Aufenthalt im Bade ihrem Gemache zu und fand dort auch richtig ihr Geschenk vor, am Halse angekettet und immer noch mit der ledernen Haube auf dem Haupt. Die Fürstin strich sanft über den nackten Leib und sprach zu Granat, die in ewiger Nacht lag: „Geliebte Granat, bist du bereit, dich mir ganz und gar zu unterwerfen?“ Granat stieß sofort unter ihrer Haube ein heiseres „Ja!“ hervor. 

„Du wirst nicht mehr die alten Sklavenketten tragen wie ein Bergmann seinen Schurz und seine Lampe! Du wirst die Ketten, wirst die Fesseln, wirst die Knebel, wirst die Hauben tragen, die ich aus einer Laune heraus dir, meiner eigene Sklavin, anzulegen gewillt bin. Gehorsam werde ich von dir verlangen, einen ganz eigenen Gehorsam, denn oft werde für dich neue Regeln erfinden, die du unmöglich sofort zu erkennen vermagst. Du wirst dich ins Unrecht setzen, denn, bis du die Regel begreifst, und bis es soweit ist, daß du dich danach verhältst, werde ich dich bestrafen, fesseln und vielleicht auch züchtigen, denn du bist die Ungehorsame!“ 

Granat wälzte sich von einer Seite auf die andere und schien ob dieser Worte kein großes Ungemach zu empfinden. Die Fürstin befreite nun Granat von ihrer Haube, strich deren zerzaustes Haar zurecht, küßte sie auf die Stirn, griff hinter sich auf ihr Nachkästlein, zog zwei Lederbänder hervor, band Granats Hände und Füße jeweils ganz, ganz eng zusammen, küßte sie wiederum auf die Stirn, zog die Decke über Granat und sich, und schlief ein. Granat jedoch war zu aufgewühlt, um einzuschlafen – nicht eine Palastsklavin war sie nun, mit (sie mußte dabei lachen) Dienstkleidung, besser Dienstketten,  und Dienstrang, sondern eine echte Sklavin, einer echten Herrin unterworfen, die nichts unversucht lassen würde, sie zu Demut und Gehorsam zu zwingen. Wieder und wieder bewegte sie die gebundenen Hände und Füße gegeneinander, um sich zu vergewissern, nicht in einem schönen Traume zu leben, sondern in erlebter Wirklichkeit.

14. Kapitel: Die ersten Vorbereitungen

Als die Fürstin am nächsten Tag erwachte, schlief Granat jedoch tief und fest. Die Herrin zog die Decke zurück und betrachtete ihren neuen Besitz mit Wohlwollen. Und als sie sie so ansah, wurde ihr das Herz ein wenig schwer und sie gedachte mit Wehmut ihrer eigenen Sklavenzeit. Was lag nun jetzt nicht alles vor ihr, was hatte sie nicht alles in die Wege zu leiten, um Granat ein schönes Sklavinnenleben zu bieten. Doch der Gedanke, Granat als Werkzeug ihres Willens zu sehen, sie binden und sich am Anblick des ihrer Ketten ausgelieferten und hilflosen Besitzes erfreuen zu dürfen, versöhnte sie mit ihren neuen Rolle.

Mit einem Ruck stand die Fürstin auf, schritt zum Badegemach, kleidete sich an, strebte zur Werkstatt des Stahlschmiedes und gab diesem Anweisungen für die Ausstattung von Granat. Sie ging tüchtigen Schrittes zurück in ihr Schlafgemach und betrachtete ihre schlafende Sklavin. 

Nach geraumer Zeit schlug Granat die Augen auf  und blinzelte ihrer Herrin zu.

Diese sprach zu ihrer Leibsklavin: "Geringste, heute und morgen ist viel zu tun! Viele Handwerker haben wir aufzusuchen, um dich mir den Dingen auszustatten, deren eine Leibsklavin bedarf! Doch zuvörderst geht es ins Badegemach!" Die Fürstin band Granat die Füße und die Hände los und fuhr fort: "Ich bin nicht Freund großer Worte und langer Reden," - die Fürstin und ihre Sklavin schmunzelten, da beide hierbei an die Sultansmutter denken mußten - "sieh also auf meine Hände!" Granat sah aufmerksam auf der Fürstin Hände.

Diese hakte ihre kleinen Finger ineinander, zog daran und sagte: "Dieses Zeichen bedeutet für dich stets, daß ich deine Hände auf den Rücken zu fesseln gewillt bin, wann, wo und womit auch immer. Auf dieses Zeichen hin wirst du schweigend deine Arme hinter dem Rücken übereinander legen in Erwartung der Banden. Das Fesseln der Hände hinter dem Rücken ist eine Fesselung mittleren Grades. Fesselungen mittleren Grades bestimmen das Leben der Leibsklavin; sie wechseln sich ab und dauern selten länger als einen Tag oder eine Nacht. Bist du mittleren Grades gefesselt, hast du mich mit "Herrin" oder "Fürstin" anzusprechen und von dir als "Eure Leibsklavin" zu reden."

Die Fürstin hakte ihre kleinen Finger nun erneut ineinander und zog daran. Gehorsam drehte sich Granat auf den Bauch und kreuzte ihre Arme hinter dem Rücken, wo sie durch das Lederband festgebunden wurden.

Granat drehte den Kopf ein wenig zur Seite und fragte: "Welche Grade der Fesselung habe ich denn zu erwarten?"

Die Fürstin erklärte: "Der geringste Grad ist die völlige Freiheit. Doch die völlige Freiheit ist kein Spaß. Denn in Banden sich unterwürfig zu zeigen, ist keine große Kunst. Die völlige Freiheit ist die Bewährungszeit für die Sklavin, die hierin zeigen muß, was sie gelernt hat. In mittlerer und schwerer Fesselung hast du dich nur der richtigen Ansprache zu befleißigen - bei sehr strenger Fesselung nicht einmal das - und dich richtig zu benennen, doch auf Anstand, Disziplin und das richtige Benehmen wird bei völliger Freiheit und leichter Fesselung allergrößter Wert gelegt. In völliger Freiheit wirst du sein, selten genug, wenn die Herrin anwesend ist, und es ihr so beliebt.

Leichte Fesselung kennst du aus diesem Palaste zur Genüge, denk nur an die Sklavenketten. Leichte Fesselung ist, was Unterwürfigkeit, Anstand und Disziplin betrifft, der völligen Freiheit gänzlich gleichgestellt und ist zeitlich völlig unbeschränkt. In leichter Fesselung wirst du dich gewöhnlich befinden und stets, wenn die Herrin abwesend ist und euch nicht strenger zu binden beliebt. 

Über Fesselungen mittleren Grades habe ich bereits gesprochen; du wirst viele kennenlernen und dich daran gewöhnen. Die Herrin wird meist in deiner Nähe sein, doch oft für dich nicht sichtbar. Sie wird sich ihres Besitzes freuen und dich von Zeit zu Zeit mit Wohlgefallen betrachten. Hüte dabei jedoch deine Zunge!

Fesselungen schweren Grades sind für die Leibsklavin ein herausragendes Ereignis. Die Dauer ist sehr begrenzt, meist nur eine bis wenige Stunden. Sie werden auch nicht täglich angewendet - auch wenn sie der Herrin besonderen Genuß bereiten. Die Herrin ist hierbei immer anwesend. Du hast mich als "Hohe Fürstin" oder "Gestrenge Herrin" anzusprechen und von dir als "Geringe Leibsklavin" zu reden.

"Wenn ihr mich züchtigt, wohl", warf Granat ein; die Fürstin nickte und sprach weiter: "Ja, wenn ich dich züchtigen werde, wirst du stets in schwerem Grade gefesselt - doch auch sonst" - sie wiegte ihr Haupt, "so ab und zu, ganz, wie es mir beliebt."

Eine Fesselung sehr strengen Grades hat den Rang einer Züchtigung - die Herrin wird dir und der Unbequemlichkeit, die damit einhergeht, stets nahe sein, und es wird hierbei nie Zuschauer geben. Eine Fesselung sehr strengen Grades mündet stets in völliger, wenn auch nur kurzer Freiheit, in der du dich zu bewähren hast."

"Nun habt Ihr, Herrin, Euch ganz gegen Eure Absicht, doch einer Menge Worte bemächtigt!", sprach Granat, und Herrin und Leibsklavin lachten darob herzlich.

Die Fürstin schloß nun die Halskette ihrer Sklavin vom Lager, ließ diese sich erheben, und führte sie, nachdem sie die lederne Haube mit der Linken an sich genommen hatte, an der Kette ins Badegemach. Dort löste sie die gefesselten Hände, wusch  ihren künftigen Besitz sehr sorgfältig, salbte ihn und kleidete ihn an. 

15. Kapitel: Stählernes

Nun zog sie ihre Sklavin bis zur Werkstatt des Stahlschmiedes. Dort angekommen, legte sie ihr die Ledermaske um, denn sie sollte nicht wahrnehmen, was der Herrin ihr anzufertigen im Sinn stand, und löste ihren Halsreif. Die Leibsklavin in ihrer ledernen Nacht wurde auf einen Schemel geführt; und der Schmied begann, Maß an Hand- und Fußgelenken und am Halse  zu nehmen.

Von ihrer Haube gedämpft, nahm sie nun ein Klopfen, Hämmern und Rasseln wahr. In kurzen Abständen erstarb der Lärm, und die Leibsklavin spürte dann kaltes Metall an ihren Gelenken und an ihrem Halse, ja, einmal gar um ihren Leib. 

Schließlich, es waren wohl schon mehrere Stunden vergangen,  wurde sie von ihrer Haube befreit und nahm vor sich auf einem großen und breiten massiven hölzernen Tisch viele stählernen Gegenstände wahr, die vor ihr ausgebreitet worden waren. Die Herrin deutete auf den Gegenstand ganz links und sprach "Dies ist dein leichter Birlik!" 

An einem glänzend stählernen Reif im Umfange ihres Halses, der über ein verdecktes Scharnier zu öffnen und zu schließen war, war an einem Ring eine ebenso stählerne, lange Kette angeschmiedet. An dieser Kette waren weitere Ketten angeschmiedet; die erste, vielleicht zwei Spannen vom Halsring entfernt, führte rechts und links zu zwei weiteren Reifen im Umfange ihrer Handgelenke, und die zweite am Ende der Kette, die vom Halsring ausging, führte schließlich rechts und links zu zwei Reifen im Umfange ihrer Fußgelenke. Alle Reifen besaßen verdeckte Scharniere wie der Halsring und waren wie dieser durch Schlösser abzuschließen.

Die Herrin fuhr in ihrer Erklärung fort: "Der leichte Birlik wird dir ein guter Freund werden. Du wirst ihn oft und gerne tragen, er hindert dich nicht stark und wird dich mit seinem stählernen Glanze schmücken in vielen schönen Stunden. Die leichten Arbeiten, die du zu verrichten hast, mich zu bedienen und Ordnung zu halten, wirst du meist im Birlik verrichten!"

Sie wies nun auf den nächsten Gegenstand, der ganz ähnlich gearbeitet war. Allein, die am Halsring angeschmiedete Kette war viel stärker und erheblich kürzer. Die Herrin erläuterte: "Das ist dein kurzer Birlik! Ihn wirst du öfters tragen, vor allen Dingen, wenn ich dich für geraume Zeit alleine lassen muß. Er wird dich etwas krümmen, du wirst auf dem Teppich kauern, auf dem Lager hocken oder liegen, und deine Gedanken werden sich dank des kurzen Birliks nicht von mir abwenden lassen. Des weiteren siehst du hier den Hareket." 

Der Hareket besaß zwei mit Scharnieren zu öffnende und zu schließende Ringe im Umfange der Sklavin Handgelenke, gleich denen ihrer Birliks; diese waren jedoch mit weichem Leder gefüttert und durch ein Kettenglied eng verbunden. An dieses Kettenglied war eine weitere Kette geschmiedet, vielleicht anderthalb Spannen lang. Am Ende dieser Kette wiederum war eine weitere längere in derer Mitte befestigt. Die Fürstin erklärte: "Der Hareket ist für unterwegs. Die lange Kette wird dich umgürten und durch den Schritt mit deinen auf dem Rücken befestigten Händen verbunden sein. Oft wirst du den Hareket tragen zusammen mit der Yaka, wenn ich dich führe".

Die Yaka schließlich war ein stählerner Halsring mit Kette, wie ihn die Sklavin kennenzulernen schon Gelegenheit hatte, nur ungleich feiner gearbeitet. Der Halsring war glattpoliert und wiederspiegelte das matte Licht, das sich durch die blinden Werkstattscheiben in den Raum gestohlen hatte. 

Nun wies die Herrin auf den nächsten Gegenstand: "Dies ist deine Hoca!" Die Hoca bestand aus zwei Teilen; der eine war ein dünner Halsring aus rundem Stahl, an dem eine schlanke Kette angebracht war, und der andere waren zwei dünne Fußreifen aus ebenfalls rundem Stahl, die auch durch eine schlanke, recht kurze Kette verbunden waren. Die Fürstin sprach: "Den Hoca wirst du beim Lesen, beim Lernen und beim Schönschreiben tragen. Er ist sehr leicht gearbeitet, denn ihn sollst du nur wenig spüren, wenn du dich ins Lese- oder Lernbuch vertiefst oder mit dem Pinsel schreibst." Er wird dich am Halse mit dem Tisch verbinden, um die Vertiefung zu erzwingen, und an den Füßen mit dem Fußboden. Du kannst so nicht wie die Studenten mit den Füßen scharren, wenn dir des Autors Stil nicht behagt."

Die Sklavin mußte lachen, und die Herrin fuhr fort: "Das soll an Stählernem fürs Erste nun genügen!"

Die Fürstin hakte ihre kleinen Finger ineinander, und gehorsam legte ihre gelehrige Leibsklavin die Hände auf den Rücken. So wurde ihr der Hareket und die Yaka angelegt. Die Herrin nahm den leichten Birlik mit der linken Hand an seiner langen Kette auf, ergriff das Kettenende des Yaka mit der Rechten und führte Granat in ihrem Hareket am Yaka aus der Schmiedewerkstatt hinaus. Sie führte sie bis zur Küchentür, aus der bereits köstliche Gerüche strömten, öffnete das kleine Gelaß, das der Küche gegenüberlag, und hieß ihre Leibsklavin Platz zu nehmen.

16. Kapitel: Ein Mahl und ein Spiegel

Diese setzte sich vorsichtig -  den Hareket, der ihre Hände auf den Rücken band, war sie ja noch nicht gewohnt - und harrte der weiteren Dinge. Ihre Herrin sagte, indem sie den Birlik zur Seite legte: "Wir werden öfters, wenn wir auf Wanderschaft sind, hier einkehren und frohen Mutes sein!"

Sie verließ das Gelaß und kam bald darauf mit einem Speisenbrett zurück, auf dem sich zwei Schalen mit einer kleinen, doch köstlichen heißen Mahlzeit sowie zwei gutgefüllte Gläser mit Ayran
befanden. Sie schob ihrer Sklavin Bissen für Bissen in den Mund, und, während diese kaute und schluckte, vergaß sie sich selbst nicht. Schließlich flößte die Herrin ihrer Dienerin das Getränk ein und wischte ihr den weißen Bart mit einem Tuche ab. Sie trank selbst aus und schob das Speisenbrett zur Seite.

Das Mahl war nicht üppig gewesen, doch beiden war noch nicht nach Aufstehen. Man schwieg eine Zeitlang, und in die Stille hinein sprach die Sklavin: "Herrin, Ihr beschämt eure geringe Dienerin. Sie fühlt, wie sie eiserne Bande stärker und stärker an Euch schmieden werden!" und nach kurzer Pause: "Werdet Ihr sie feierlich aufnehmen als Eure Sklavin?" "Ei, gewiß!", versetzte darauf die Herrin. "Mit Schmerzen?" fragte Granat mit großen Augen zurück. "Jede  feierliche Aufnahme ist gewöhnlich mit Schmerzen verbunden,", antwortete ihre Herrin unbestimmt, "sei es der Sünnet der kleinen Knaben, sei es der Ritterschlag!"

Nachdem beide wiederum eine Weile geschwiegen hatten - Granat lächelte still in sich hinein - ergriff die Fürstin das Kettenende der Yaka der Sklavin, ließ sie aufstehen und führte sie in ihr Schlafgemach. Dort wurde ihr Hareket und
Yaka  abgenommen - die Reise war ja nun zuende. Die Herrin sprach: "Nun wirst du eine erste Bekanntschaft mir deinem leichten Birlik machen! Da dir der Schuster den Rahat, Köstek, die Huni und das Große Züchtigungskorsett erst morgen anfertigen wird, wirst du den Birlik jetzt nur tragen bis zum nächsten Morgen - du sollst dich ein nur wenig an ihn gewöhnen."

Als Granat noch überlegte, wie der Rahat, Köstek, die Huni und das Große Züchtigungskorsett nun beschaffen wäre, sprach ihre Herrin weiter: 

"Morgen, nach dem Besuch des Schusters, des Schneiders und des Gold- und Silberschmieds, wird dir der leichte Birlik erneut angelegt werden. Du wirst ihn nach deiner feierlichen Aufnahme eine geschlagene Woche tragen, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage lang. Auch die Thronsitzung deiner Fürstin, die in diese Zeit fällt, wird du im Birlik besuchen, und du wirst uns bedienen. Der Birlik ist wie geschaffen zum Bedienen!

Auch zum Anlegen des leichten Birlik gibt es eine Geste, sie geht so - " die Herrin verschränkte ihre Arme, " - und nach diesem Kommando hast du dich ein wenig gebückt hinzustellen, die Beine ein wenig auseinander, und die Arme im Winkel nach vorne zu strecken. Wir werden es probieren." Die Herrin verschränkte erneut ihre Arme, und Granat, die sich auch jetzt als sehr gelehrig erwies, stand in kürzester Zeit da wie ihr befohlen. Jetzt wurde ihr der Birlik angelegt; die Fürstin klappte zuerst den Halsring auf und über Granats Hals wieder zu und verschloß ihn sorgfältig und verfuhr ebenso mit Granats Hand- und zu guter Letzt mit ihren Fußgelenken. Sie ließ Granat alleine zurück in ihrem Schlafgemach und besuchte den Schuster, den Maurer, den Grobschmied, den Schreiner, den Kalligraphen und den Goldschmied.

Währenddessen ging Granat in Gedanken versunken im Schlafgemach auf und ab. Sie fühlte sich in ihrem Birlik, der sich als recht bequem erwies und seiner Trägerin erheblich mehr Freiheit gewährte, als von seinem martialischen Aussehen zu erwarten gewesen war, und sie gerade im rechten Maß, um seiner nie überdrüssig zu werden, der Freiheit beraubte, äußerst wohl. Der Schmied hatte ihr die stählernen Reifen so genau angepaßt, daß sie nirgendwo drückten oder rieben.

Auch stellte sich als ein nicht geringzuschätzender Vorteil des Birliks heraus, daß die Fußketten durch die lange Kette mit ihren Händen und ihrem Halse verbunden waren, und nicht mehr mit dem Boden in Berührung kommen konnten. Das Klirren ihrer alten Sklavenketten auf dem Fußboden, wenn er nicht mit einem Teppich bedeckt war, und die Vorstellung vor all dem Unrat, mit dem sie in Berührung kommen konnten, und den sie vielleicht in ihr Lager schleppte, hatte die Trägerin schier zum Wahnsinn getrieben.

Nun bewegte die ihre Arme, nach rechts und links, nach oben und unten, soweit es eben möglich war, und wie sie die Arme ganz nach unten sinken ließ, das ließ der Birlik eben noch zu, wurde sie zu ihrer Freude gewahr, wie die sich die in Höhe ihres Nabels an der langen Kette angebrachten Armketten strafften, und ihre Arme ohne Last waren. Was hatte sie ihre alten Armketten darob verflucht, daß sie ihr Gewicht nie verloren! Sie wünschte sich, daß es allen Kettensklavinnen dieser Welt gestattet sei, einen Birlik gleich ihrem zu tragen.

Als sie nun den Blick über die Wände schweifen ließ, stellte sie zu ihrer Überraschung fest, wie neben dem Lager ein riesiger silberner Spiegel angebracht worden war, den sie zuvor nie bemerkt hatte - sie hätte ihn bemerkt, wäre er vorhanden gewesen -, schritt vor ihn und erbebte vor der prächtig geschmückten Sklavin, die sie aus dem Spiegel ansah. Der glänzend glattpolierte Stahl sah aus wie riesiger Silberschmuck, und die daumennagelgroßen Schlösser aus Messing wie Goldtupfer darin. Sie dachte bei sich: "Nicht nur Sultansfrauen, Kaiserinnen, Königinnen und Prinzessinnen lassen sich schmücken wie Klein- ", sie rief sich die Mutter des Sultans in Erinnerung, "und Großode, nein auch die geringsten ihrer Sklavinnen!" 

Als sie so weiter im Schlafgemach herumschritt, erfand sie immer neue Ausreden, um an den Spiegel herantreten und sich betrachten zu können; einmal fühlte sie eine Wimper im Auge, einmal eine Unebenheit auf der Haut, einmal eine wirre Stelle in ihrem Haupthaar, und schließlich mußte sie noch kontrollieren, ob der Birlik wirklich in völligem Gleichmaß angebracht worden war, was sich in der Tat als richtig herausstellte, denn jeweils sechs Kettenglieder verbanden ihre Hände, und ebenfalls sechs Glieder ihre Füße mit der langen Kette. Nun setzte sich Granat auf das Lager, legte die Hände in den Schoß und versuchte sich ihre Zukunft vorzustellen.  

Wie grausam würden die schweren und die sehr strengen Fesselungen und gar die Züchtigungen sein? Sie nahm sich fest vor, dies alles herauszufinden, und, wenn es denn sein mußte, auch mit offen zutage gelegter Unaufmerksamkeit, und wenn das nichts nutzte, sogar durch Ungehorsam.

Wie war es, im
Rahat mit Köstek an den Füßen, zu schlafen? Was war der Rahat überhaupt? Was Köstek waren, wußte sie schon von den Weidetieren, denen die Füße zusammengebunden wurden, damit sie es nicht vermochten, sich allzuweit von den Weidegründen zu entfernen, doch wie sahen ihre Köstek aus? 

Wie lange und wohin würde ihre Herrin sie mit auf dem Rücken gebundenen Händen in ihrem Hareket am Yaka, dem Halsring, führen? Und würde sie weiterhin so gastfreundlich sein und mit ihrer gehorsamen Dienerin im Gelaß nahe der Küche einkehren?

Würde sie gut lesen, lernen und Schönschrift üben können, an den Tisch gekettet durch den Hoca, ihren stählernen Lehrer?

Welches Geheimnis bargen die Huni und ihr Großes Züchtigungskorsett?

"Fragen über Fragen!", sagte Granat laut und ein wenig spöttisch zu sich selbst, stand auf und betrachtete sich, diesmal ohne Ausrede, noch einmal eingehend und mit Wohlgefallen in dem großen Spiegel. Sie begann, in ihrem Birlik Posen einzunehmen: die Demütige Dienerin, die Schmachtende Gefangene, die Tänzerin in Ketten und schließlich die Kriechende Sklavin.

Plötzlich öffnete sich die Türe, und ihre Herrin stand darin. Die Leibsklavin sank gänzlich zu Boden und kniend, ihre Hände so weit nach oben gestreckt. wie es sie im Birlik nur eben vermochte, bat sie um Verzeihung ob ihrer ungeziemlichen Eitelkeit. Doch die Fürstin sprach, die Türe schießend: "Dienerin, du hast nichts Unbotmäßiges begangen, denn wahrlich keine Lumpensklavin sollst du sein! Du sollt ein Schmuckstück sein und dich auch dessen freuen! Dann wirst du, selbst wenn ich dich ins dunkelste aller Verliese sperrte, in Staub und Dämmerlicht, freigelassen in Schönheit wieder aufsteigen wie einst der Vogel Phönix aus der Asche."

Sie begann zu deklamieren, was ihr eben eingefallen war: 

"Nur wenn du an dir selbst Gefallen findest,
Trägst innre Schönheit du in dir,
Die deine strenge Herrin so sehr schätzet," 

und, als die Fürstin stockte und offenbar nicht mehr weiterwußte, fiel ihre Sklavin nach kurzer Pause ein:

"Wie sonst nur Raki, roten Wein und Bier."

Als die Herrin dies vernahm, wußte sie nicht mehr an sich zu halten und lachte, bis ihr die Tränen kamen. Als sie allmählich wieder zu sich kam, stand Granat vor ihr, trocknete ihr mit einem Tüchlein ehrfürchtig das Antlitz und sprach: "Herrin, ich will euch noch oft erfreuen mit Geist und Witz, doch dürft Ihr keinesfalls von Eurer Dienerin denken, sie wolle versuchen, Euch in Kumpanei gemein zu machen mit ihr. Sie ist Eure geringe Kettensklavin und versteht es als edle Aufgabe, Euch nicht nur unterwürfig mit ihrem Leib zu dienen, sondern ebensosehr mit ihrem Verstande. Und, soweit ich Euch kenne, seid Ihr einem guten Scherze nie abgeneigt."

Die Fürstin war wieder zu Kräften gekommen, nickte, strich Granat über die Wangen und sprach warm: "Wir werden uns wohl gut verstehen, du, Sklavin, und ich, Deine gestrenge Herrin."

Granat sang nun ganz leise, doch beschwingt vor sich hin:

"Nur wenn du, Fürstin, an mir selbst Gefallen findest,
Nur dann bis du die rechte Herrin über mich,
Je strenger, fester und je härter du mich bindest, 
Nun, desto härter, umso fester lieb ich dich - 
Nun, desto fester, umso härter lieb ich dich!"

Die Fürstin schwieg lange, doch nach einer Pause straffte sie sich  mit den Worten: "Die Abendtafel ist, wie ich annehme, nun bereitet." 

Sie öffnete die Türe ihres Schlafgemachs und ließ Granat in ihrem Birlik hinaustreten, folgte ihr und hakte ihre Sklavin unter. Beide erreichten gemessenen Schrittes, den der Birlik erzwang, den Wohnsaal des Sultans. Ehrfürchtig stand die Tischgesellschaft, die fünf Sklavinnen der Sultansmutter und die Mutter des Sultans selbst, auf, und wartete, bis sich Granat und ihre Herrin gesetzt hatten.

Als die Speisen durch den tolpatschigen Speisenbringer gebracht waren und sich alle darüber hermachten, stellte die Fürstin voll Stolz fest, daß sich ihre Leibsklavin der allerbesten Tischsitten am Tische befleißigte. Gewiß war es noch der Zwang des Birliks, der die Sklavin mit seinen Ketten nötigte, ihre Arme streng abgewinkelt zu halten und sie keinesfalls auseinanderzubewegen, doch Granats Herrin wußte, daß Granat, die ihren Birlik ja künftig fast ständig zu tragen hatte, sich gezwungenermaßen diese Haltung zueigen machen und auch später außerhalb des Birliks diesbezüglich keinen Anlaß zum Tadel geben würde. Sie dachte bei sich, wievielen es guttäte, ein paar wenige Wochen im Birlik zu verbringen und dort zu lernen, sich selbst zu beherrschen.

Schließlich war das Mahl beendet, und alle sahen gespannt auf die Fürstin und ihre Sklavin. Rubin war die erste, die die Fürstin fragte, was alle bewegte: "Werdet Ihr Eure Leibsklavin feierlich in ihr Amt einführen - wird es ein Fest geben?"

"Ja", sprach diese, "morgen in einer Woche wird dies Fest stattfinden! Ich bitte Euch alle, Euch nach Sonnenuntergang in festlichem Rahmen in meinen Fürstensaal zu begeben. Meine Sklavin und ich werden auch bis dahin am Palastleben teilnehmen, meine Sitzung wird selbstredend stattfinden, und meine Sklavin und ich werden den Fastentag in unseren Masken mit Euch Mitsklavinnen begehen. Bedanken möchte ich mich bei allen, die mir bei der Vorbereitung dieses großen Ereignisses zur Hand gehen werden, und ganz besonders natürlich bei der Mutter des Sultans, die mir ihren Palast mit seinen Räumen und den darin tätigen Händen zur Verfügung stellt."

Nach dieser Förmlichkeit griff man zum Weine, und Granat bewies eine außerordentliche Geschicklichkeit darin, als manierliche und sittsame Sklavin in ihrem Birlik dazusitzen und doch trotz aller Trinksprüche, die auf sie ausgebracht wurden und dem dementsprechenden Zwange, ihr Glas zu leeren, immer wieder rechtzeitig aufs Neue ihr Glas zu befüllen.

Als der fröhliche Abend seinen Höhepunkt überschritten hatte und sich dem Ende zuneigte, gab die Herrin ihrer Sklavin einen Wink, und beide erhoben sich, dankten für die Gastfreundschaft und die Trinksprüche und begaben sich ins Schafgemach.

Dort ließ die Fürstin Granat sich kurz zur Nacht bereiten; beide kleideten sich aus, sanken tief erschöpft aufs Lager und schliefen sofort ein.

17. Kapitel: Ledernes

Am nächsten Tage erwachte die Herrin, als der Müezzin schon zum zweiten Gebet rief, das Haupt noch etwas schwer des roten Weines, betrachtete eine Zeitlang ihre sanft schlummernde Sklavin in ihren Birlikketten mit Wohlgefallen, und erinnerte sich an die Besuche beim Schuster und beim Schneider, die beiden noch bevorstanden. Rasch kleidete sie sich an, berührte ihre Bettgefährtin, die schlaftrunken Unverständliches brummte, wieder und wieder, bis diese sich dem Schlafe entriß, einen Morgengruß murmelte, frische Gewänder ergriff, die ihr zurechtgelegt worden waren, und entschwand, um sich selbst zum Tag zu bereiten. Nach geraumer Zeit stand Granat wieder im Schlafgemach, und aus der schlafenden Raupe war ein wunderschöner Schmetterling geworden, die Haare sorgfältig gerichtet, bestens gekleidet in den frischen Gewändern und prächtig geschmückt in ihrem glänzenden Birlik, den ihr ihre Herrin zu ihrem eigenen Bedauern nun abzunehmen begann.

Die Fürstin sprach: "Laßt uns den Schuster besuchen - er wird dir den
Rahat, Köstek, die Huni und das Große Züchtigungskorsett anfertigen - dies wird seine Zeit in Anspruch nehmen!" Nun hatte die Neugier bei Granat entgültig die Oberhand über den Schlaf gewonnen, und gespannt sah sie dem Besuche beim Schuster entgegen. Ihre Herrin ergriff sie an der Hand, deren Freiheit die Dienerin sehr seltsam berührte, und eingedenk der Fürstin Worte, völlige Freiheit sei die Bewährungszeit der Sklavin, bemühte sie sich sehr, beim Gang durch den Palast Demut und Unterwürfigkeit zu zeigen.

Der Schuster, der der Herrin Lob auf sein Werk, zu Zeiten, da diese noch selbst eine Sklavin war, nie vergessen hatte, begrüßte beide sehr herzlich, hoffend, mit seinen neuen Werken ähnliche Anerkennung zu finden wie damals. 

"Trefflicher Schuster", hub die Fürstin an, "wir sprachen gestern über den Rahat. Hier steht nun diejenige, die ihn tragen wird."

Der Schuster bat nun Granat, an die Stange zu treten, schlang dort einen breiten Riemen um ihren Leib und die Stange und schloß ihn hinter ihr. Er sagte: "Ich hab schon vorbereitet, was ich konnte", zog eine Lade unter seiner Werkbank auf und holte den dort verwahrten Gegenstand hervor. Dieser bestand aus schwarzen und dickem, doch nicht zu hartem Leder, und seine Bestimmung war unschwer zu erraten: Er war eine feste Verbindung zwischen Hals und Händen.

Der Schuster begann sofort, das Geschirr, das der Rahat werden sollte, Granat um den Hals zu legen, markierte mit Schusterkreide zwei Stellen an ihm hinter ihrem Nacken, und legte es auf seine Werkbank. Nun befestigte er mit zwei Nieten eine kleine hervorstehende Eisenöse auf der ersten Markierung - der Schusterhammer klopfte fröhlich - und schnitt schließlich auf der zweiten Markierung mit einem scharfen Messer einen senkrechten Schlitz ins Leder. Geübt griff er sich die Lochzange und stanzte an den Enden des Schnittes zwei Löcher ins Leder.

Als er die bewundernden Blicke der Herrin und ihrer Sklavin im Rücken spürte, knurrte der Fachmann: "Damit es nicht ausreißt!" Er kramte ein kleines Schloß hervor,  legte den Lederring erneut um der Sklavin Hals, die von selbst das Haupt neigte, zog in ihrem Nacken die Öse durch den Schlitz, das Schloß durch die Öse und drückte es zu. "Paßt er genau?", wollte der Schuster von Granat wissen, "Dies ist wichtig, denn Eure Herrin gab mir zu verstehen, Ihr werdet den Rahat  nächtelang zu tragen haben. Er soll Ihnen so viel Behaglichkeit schenken sein wie möglich!" 

"Es paßt wirklich genau! " sprach Granat, und der Schuster fuhr mit seinem Werke fort. Am Halsgurt waren etwas seitlich mit zwei Nieten zwei Lederbänder angebracht, etwas mehr als fingerlang, die beide in einen großen eisernen Ring mündeten. An diesem Ring waren zwei kurze Gurte angebracht, die der Schmied, nachdem er die Sklavin gebeten hatte, sie gen Halse zu richten, ebenso markierte als er es mit dem Halsring getan hatte. Er nahm ihr den künftigen Rahat ab, befestige zwei Ösen an den Handringen, schnitt sie ein, lochte sie, kramte zwei weitere Schlösser aus den Tiefen seiner Werkbank, legte das Ganze Granat um Hals und Hände, schloß es ab und sprach kurz: "Gut?" "Ja, sehr gut!", antwortete Granat, und ihre Herrin sprach: "Ihr seid ein erfahrenen Schuster, Ihr wißt, wo der Leisten drückt. Ihr wißt ja auch, daß Schusterwerk sich einzutragen hat. Meine Dienerin wird noch heute den Rahat eintragen, dann wissen wir mehr."

Der Schuster bemerkte: "Kommt des Nachmittags wieder! Dann geht's an die Köstek,
die Huni und das Große Züchtigungskorsett",  löste Granat von der Stange und nahm ihr den Rahat ab. Er überreichte das Geschirr ihrer Herrin, und diese führte ihre Dienerin aus der Werkstatt. 

Nun ging es zum Schneider, der beide ebenfalls schon erwartet hatte. Der Schneider kannte  Granats Maße schon sehr genau, da er ein sehr gewissenhafter Handwerker war und in ein großes Buch mit säuberlicher Schrift alle Maße seiner Auftraggeberinnen einzutragen pflegte. Er hatte es zur Meisterschaft darin gebracht, wunderschöne Kleider zu entwerfen und zu schneidern, die es der Trägerin gestatteten, sie dank verdeckter Knopfleisten auch kettentragend an- und wieder auszuziehen, und war darum zum Lieblingsschneider aller Sklavinnen im Palaste geworden.

Die Fürstin ließ sich nun vom Schneider Tuchrollen aus feinster chinesischen Seide zeigen und entschied: "Das Festtagskleid meiner Sklavin wird aus drei Teilen bestehen. Sie wird einen weiten Rock tragen aus schwärzester Seide, ihr Oberkleid jedoch wird aus allerreinstem Weiß bestehen. Und schließlich wird sie eine rote Schärpe tragen." "Ebenholz, Schnee und Blut", sagte der altgediente, mit den Farbwünschen seiner Kundschaft bestens vertraute Schneider. Die Herrin überließ ihre Sklavin der Obhut des Schneiders, dem die Aussicht, ein Festtagsgewand zu schneidern, rote Flecken freudiger Aufregung auf seine Wangen zauberte, und der sich sofort an die Arbeit machte.

Die Fürstin strebte nun ihrem Schlafgemach entgegen, wo Baulärm zu vernehmen war. Sie hatte Anweisung gegeben, das Nachbargemach, das ihr für ihre Sklavin überlassen war, in zwei Räume zu teilen, in die große "Himmelszelle", wie sie es nannte, und in die kleine "Höllenzelle". Die Himmelszelle mit den großen Fenstern wurde als ein heller, freundlicher Raum errichtet mit einer versteckten Türe nach draußen, zu einem verschwiegenen, efeuumrankten Balkon. Vier weiße Säulen taten in der Himmelszelle so, als stützten sie die Decke, doch waren sie nur die Eckpfeiler einer großen Lagerstatt, die die Mitte des Raumes bildete. In jede Säule war ein glänzender eiserner Ring eingemauert.

Die Höllenzelle jedoch war fensterlos. Die Fürstin ließ kleine Nischen mauern, um die Höllenzelle mit dort angebrachten Kerzen erleuchten zu können. Auch war hier der Schreiner mit seinen jungen Gesellen, die allesamt fast noch Knaben waren, tüchtig bei der Arbeit. Eine Unzahl düsterer, etwas unfreundlich wirkender Gerätschaften mit eisernen Ringen und Ketten wurde in die Höllenzelle geschafft und dort angebracht. Die Herrin betrachtete mit Wohlgefallen den Fortschritt der Arbeiten.

Als die Mannschaft des Schreiners ihr Werk vollendet hatte, rief die Höllenzelle durchaus den Eindruck einer Folterkammer aus versunkener Zeit hervor. Gruslige Gegenstände befanden sich nun darin, eine Streckbank, ein Andreaskreuz, ein Pranger, zwei lange Ketten, die von der Decke herabhingen; selbst ein Strafbock mit Hals- Hand- und Fußlöchern harrte einer Gefangenen.

Nur eine einzige Ecke war noch frei, und die Fürstin ließ den Grobschmied kommen. Die Scheinergesellen ließ sie ein lederbezogenes Brett auf dem Fußboden anbringen und befahl nun dem Grobschmied, einen engen eisernen Käfig darüber zu schmieden, nicht leicht, geschwungen und luftig, wie es ihr eigener Vogelkäfig gewesen war, sondern viereckig und nur zwei Fuß hoch. Sie malte es sich in freudiger Erwartung aus, wie die helle Haut ihrer Sklavin zwischen dem Käfiggitter herausschimmern würde, besann sich doch sogleich wieder auf ihre weiteren Pflichten.

Sie begab sich zum Schneider, der eben das Festtagsgewand sozusagen fertiggestellt hatte. Nun, die Teile, aus denen es bestand, waren mit Heftgarn noch festgesteckt, allein der Wirkung tat dies keinen Abbruch. Der schwarze Rock stand in reizvollstem Widerspruche zu Granats elfenbeinerner Haut, und hinter dem durchsichtigen weißen Seidenoberteil schimmerte ihre Brust. Granat war eben dabei, vor dem großen Spiegel des Schneiders zu posieren und eine Schleife in ihre rote Schärpe zu binden, als ihre Herrin, zart ihre Schulter berührend, sie ansprach: "Wir haben den Schuster noch zu besuchen, liebe Dienerin". Granat überließ dem Schneider Festtagsgewand und Schärpe, zog sich artig an und folgte ihrer Herrin.

Der Schuster ließ Granat, die sich doch soeben so züchtig bekleidet hatte, sich splitternackt ausziehen, doch sah er sie um keinen Deut anders an, als er nackte Füße anzublicken pflegte. Seine Aufgabe war, Leder zu schneidern - was machte es für einen Unterschied, ob er streng riechende Soldatenfüße mit Stiefeln versah oder einen weißen Frauenkörper mit einem Züchtigungskorsett. Dies hatte er bereits vorbereitet und zog es der Sklavin an. Es war aus feinstem weichen Lammleder gearbeitet, reichte von ihren Knien bis zum Halse, saß recht eng und ließ Granats Gesäß und Brust frei. Es wurde hinter ihrem Rücken und unterhalb ihres Gesäßes mit vielen Lederriemchen zusammengeschürt. Nach ein paar wenigen Verbesserungen hatte das Korsett einen nicht zu übertreffenden Sitz, und der Schuster sprach, er mache sich nun an die Huni.

Granat kannte "Huni" nur aus der Küche, es waren Trichter, in denen man Flüssigkeiten umgoß oder Mehl einfüllte. Dies äußerte sie auch ihrer Herrin gegenüber, die jedoch sprach: "Wenn du stehend für mich oder andere ausgestellt wirst, oder wenn du stehend gezüchtigt werden wirst, werden dir deine Hände weggenommen werden. Sie werden mit Ketten zur Decke hin befestigt, und gewöhnliche Armbänder werden hierbei sehr schnell lästig und schnüren dich ab. Doch die Huni, die ledernen Trichter, werden deine Hände liebevoll umfangen, wenn du in lustvollem Schmerze dich windest, sie werden dich tragen und dir Halt und Stütze sein."

Der Schuster setzte sich an die Werkbank und winkte die Sklavin zu sich. Diese konnte, eingesperrt in das enge Korsett, ihre Beine nur abwärts der Knie bewegen und trippelte vorsichtig der Werkbank entgegen. Auf diese legte der Schuster nun Granats rechte Hand und schlang ein breites Lederband um sie, markierte mit Schusterkreide, nahm das Band wieder ab, schnitt und nietete. Mit ihrer Linken verfuhr er in derselben Weise, und als er das Werk schließlich vollendet hatte, legte er beiden Händen die Hunis an, zog einen Ledergurt durch die beiden großen eisernen Ringe, die an den Hunis angebracht waren, befestigte den Gurt an seiner Werkbank und ließ Granat in den Hunis nach Leibeskräften daran ziehen.

Granat spürte, wie geschickt die Huni gearbeitet waren, die an den Gelenken eng waren und dann breiter wurden, und die sich im Zuge an ihre Hände schmiegten, denn sie konnte ohne Schmerz und Einschnürung ihre Kraft in diesen Zug legen wie, die Beispiel fiel ihr ein, wie Zugochsen in einem gutgearbeiten Joch. Wie sie so dastand und zog und zog, hatte der Schuster bereits wieder Lederbänder ergriffen und kniete am Boden, um ihren Fußgelenken
Köstek anzupassen. Sie waren mit Schlitzen und Eisenösen in gleicher Weise gearbeitet wie der Rahat, das Geschirr, dessen Aufgabe es war, ihre Arme und den Hals zu verbinden. Granat hatte wieder die Köstek der Weidetiere im Kopfe und sprach: "Recht so, ein Zugochse braucht auch Ruhe und Fressen".

"Na", lachte die Herrin, "du scheinst ja die Gabe des Weissagens zu besitzen, denn einen kleinen Happen, einen Lokma, haben wir schon vorbereitet". Der Schuster zog an den Griff einer großen Lade unter seiner Werkbank, die sich ächzend öffnete. Er griff hinein und zog einen Gegenstand heraus, der gewiß der Lokma war. Der Lokma bestand zunächst aus einem Gurt, in den ein Knebelchen eingearbeitet war; an dem Gurt waren zwei kleine Riemen mit Nieten befestigt, die durch eine dritte Niete zusammengehalten wurden, an der schließlich ein weiterer Gurt hing.

Der Schuster, der befürchtete, Granats Haartracht zu beschädigen, übergab den Lokma ihrer Herrin, die nun begann, mit ihm das Haupt der Sklavin zu schmücken. Granat öffnete ihren Mund etwas, und die Fürstin schob ihr das Knebelchen hinein. Sie führte an dem Mundgurt angenieteten kleinen Riemen links und rechts an ihrer Nase nach oben, bis die dritte Niete auf ihrer Stirn lag, und führte nun den dort angebrachten Gurt über Granats Haupt nach hinten, vorsichtig bemüht, Granats Haartracht nicht zu zerdrücken oder gar zu zerraufen. In ihrem Nacken wurde der Mund- und der Stirngurt verbunden und mit einem Schlosse abgesperrt. Granats Herrin sprach zu ihrer Sklavin: "Oft ist Reden Silber und Schweigen Gold". Granat nickte mit zwinkernden Augen und wer sie nur ein klein wenig kannte, ahnte, wie sich auf ihren hinter dem Lokma versteckten Mund ein wissendes Lächeln zauberte. 

Nun standen die drei ein wenig verloren in der Schusterwerkstatt herum, der Schuster, dem es unpassend erschien, sich sogleich an die Reitstiefel zu machen, die er heute noch anzufertigen hatte, die Herrin, die ihre Sklavin buchstäblich zum Schweigen gebracht hatte, nun mit ihr keine Unterhaltung mehr beginnen konnte und Fachsimpeleien mit dem Schuster vermeiden wollte, und schließlich Granat, unbeweglich, Köstek an den Füßen, in das enge Korsett geschnürt, die Hände in den Huni Richtung Werkbank gestreckt und den Lokma vor und in ihrem Mund.

Doch alle drei wußten, wie wichtig eine Anprobe war, und so legte der Schuster sich in Gedanken schon das Leder für die Reitstiefel zurecht und überlegte, wie er beim Ausschneiden möglichst geschickt vorzugehen habe, denn die Reste durfte er behalten. Er handelte ein wenig mit diesen Stücken, und so konnte er sich ab und zu einen Schluck Raki oder ein Wasserpfeifchen mit seinen Freunden gönnen, und seine Frau wußte nichts davon.

Der Herrin Gedanken schweiften bereits zur großen Feier, die Granat bevorstand, und sie überlegte, was bis dahin noch zu tun sei. Granat selbst versuchte, so empfindlich zu sein wie irgend möglich; sie dachte an die Prinzessin, die eine Erbse unter einem Dutzend Matratzen aufspürte und achtete peinlich auf jedes Zwicken und Drücken, das vom Schusterwerk ausginge. Doch, Allah zum Danke, paßten ihr Köstek, Korsett, die Huni, an denen sie immer wieder heftig gezogen hatte, und der Lokma wie angegossen, und erst als sie sicher war, keine unangenehmen Überraschungen von diesen Gegenständen mehr erwarten zu müssen, nickte sie heftig.

Ihre Herrin band ihr nun das Korsett auf und nahm es ihr ab, löste den Köstek von ihren Füßen, nahm 
die Huni und den Lokma ab und sprach, während sich Granat ankleidete, zum Schuster: "Vortreffliche Arbeit habt ihr geschaffen, doch der Rahat bedarf noch der Prüfung!" Der Schuster, schon ganz in Gedanken bei seinen Reitstiefeln, reichte der Herrin stumm den Rahat, der in einer Ecke der Werkbank lag.

18. Kapitel: Der Schreiner

Diese wandte sich an ihre Sklavin und sprach: "Willst du ein wenig Tee?" "Gewiß", antwortete diese, und in stillem Einverständnis verließen beide die Werkstatt, strebten zur Küche und betraten das kleine Gelaß, das ihnen schon ein wenig vertraut war. Dort legte die Herrin den Rahat auf den Holztisch, und Granat führte gehorsam ihre Hände zu Halse, auf daß man ihn ihr anlege. Nachdem dies geschehen war, verschwand die Herrin kurz nach draußen und erschien kurze Zeit wieder mit einem Speisenbrett. Dies trug zwei aufeinandergesetzte Kannen mit heißem Wasser und Tee sowie zwei goldgeränderte Tulpengläser mit silbernen Löffelchen und ein Tellerchen mit Zucker.

Die Herrin mischte Tee und Wasser, fragte nach der Menge Zucker, die Granat wünschte, rührte um, fühlte am Tulpenglase, bis sich der Tee soweit abgekühlt hatte, daß sich Granat damit nicht verbrühte, und flößte ihrer Dienerin dann den heißen Tee Schluck für Schluck ein. Nun dachte sie auch an sich selbst und trank ihren Tee. Dies wiederholte sich, bis die Kannen geleert waren, und die Fürstin schließlich von Granat erfragte, wie sich denn der Rahat trage.

"Er trägt sich so sehr gut, Herrin", antwortete diese, "doch ist nun gerade ein Stündlein verstrichen und ich soll ihn doch oft nächtelang tragen!" "Ich verstehe gut", sprach die Fürstin, "du ängstigst dich, er könne dir nach langen Stunden das Blut abdrücken in der Beuge deiner Arme! Doch siehe selbst, es ist vorgesorgt. Die Hände ruhen nicht direkt am Halse, zwei Riemchen geben Spiel - und zwar genug, ich weiß wovon ich spreche.". Die Herrin trug dies so überzeugend vor, daß Granat ihr vertraute und sich fragte, wann ihre Herrin denn selbst den Rahat getragen hatte und beschloß, sie werde es herausfinden.

Die Fürstin nahm ihr nun den Rahat ab, schob das Teegeschirr zur Seite, verschwand kurz nach draußen und kehrte kurz darauf mit einem neuen Speisentablett zurück, auf dem sich zwei Gläser mit einer trägen Flüssigkeit darin sowie eine kleine Karaffe mit Wasser befanden. Sie sprach: "Liebe Granat und meine zukünftige Sklavin, die Anproben sind nun beendet. Du wirst die Woche bis zu deiner großen Feier vollkommen in Freiheit verbringen - du sollst Abstand gewinnen zu deinen alten Sklavenketten und dich freuen auf eine neue Zeit."

Sie goß das Wasser in die Gläser, und die träge Flüssigkeit darin wurde plötzlich trübe. "Löwenmilch!", lachte Granat, und ihre Herrin verbesserte ebenso lachend: "Löwinnenmilch! Oder hast du schon mal einen Löwen Milch geben gesehen?" und beide stießen an und tranken auf ihre gemeinsame Zukunft.

Nachdem Herrin und Sklavin ihre Gläser ausgetrunken hatten, verließen beide einträchtig das kleine Gelaß und schritten zur Werkstatt des Kunstschreiners, der sich, wie der Einrichtung der Werkstatt unschwer zu entnehmen war, auf das Erstellen von Einlegearbeiten verlegt hatte. Sie war vollgestellt mit Schränken, Kästen und Truhen, Tischen und Tischlein, großen und kleinen Kassetten, kleinen, kleinsten, allerkleinsten und noch klitzekleineren Kästchen und hölzernen Döslein.

Der Kunstschreiner stand an einem großen Schrank und fügte sorgfältig Holzplättchen an Holzplättchen. Herrin und Sklavin warteten geduldig, bis er seine Arbeit zu unterbrechen wagte, und als dies schließlich geschah, sprach die Fürstin zum Schreiner: "Meine Sklavin hat sich neu einzurichten. Sie wird einen großen Schrank benötigen für ihre Kleider und Gewänder, eine Kommode für ihre Wäsche, ein Nachtkästlein für ihre Siebensachen,  manch andres Kästchen und Döslein wohl, und eine Schatztruhe für ihre Sklavendinge". Der Schreiner sprach erwidernd: "Den Schrank und all die anderen Dinge wählt Euch bitte aus dem, was reich vorhanden hier herumsteht. Doch eine Schatztruhe ist nicht im Vorrat - bei diesen Zeiten!"

Die Zeiten konnten so beschaffen sein, daß Milch und Honig flossen, und er hätte nichts anderes von sich gegeben, denn den Schreiner, der für den Palast auf eigene Rechnung arbeitete und nicht schlecht dabei fuhr, plagte fortwährend nichts mehr als die Furcht, man könne ihm sein Einkommen neiden, und so pflegte er die Zeiten, die Löhne der Gesellen und die Preise für sein Holz beständig  schlimmzureden, und er legte dabei sein Gesicht in kummerselige Falten.

Die Fürstin sprach ein wenig von oben herab: "Um den so schlechten Zeiten etwas entgegenzuwirken, hätte ich einen Auftrag für einen Kunstschreiner - eine Schatztruhe".

Das Kummergesicht des Schreiners hellte sich auf und nahm plötzlich einen freudig gespannten Ausdruck an, er selbst winkte Granat und ihre Herrin zu einem von ihm geschaffenen Tisch mit Stühlen, holte Bleistift und Papier, legte beides auf den Tisch, trat hinaus auf den Gang vor seiner Werkstatt und wies den ersten Diener, dem er dort begegnete, an, Apfeltee zu bringen. Als der Apfeltee, vorgesüßt, in schmucklosen Tulpengläsern auf dem Tische stand, konnte man beginnen, das Geschäftliche zu regeln.

Die Fürstin erläuterte nun mit einem Tone, der auch seitens des Schreiners keinen Widerspruch duldete, wie sie sich die Schatztruhe ihr vorzustellen beliebte. Sie habe auszusehen wie eine Seeräubertruhe, beschlagen mit Eisen, doch solle der Raum unterhalb des der halbrunden Deckels nur etwa Spannenhoch dein. Den Rest des Raumes innerhalb der Truhe sollten sich drei Schubladen teilen, und sowohl der Kasten unterhalb des Deckels als auch die Schubladen sei mit Sammet auszukleiden. 

Der Schreiner, der sich als schöpfender Künstler verstand und Auftragswerke ungern annahm, und, wenn er es tat, es sich gut bezahlen ließ, wiegte bedenklich sein Haupt und meinte: "Sammet ist schwer zu bekommen in diesen Zeiten".

Voller Hohn antwortete ihm die Fürstin: "Ich habe einen guten Rat für ihn. Er möge doch bitte die lange, beschwerliche und gefährliche Reise zum Großen Basar antreten und sich dort zu der Straße der Sammethändler durchfragen. Er wird dort einen Händler finden, dessen Ware vor seinen Augen Gnade finden wird, und - Allah ist allmächtig und unergründlich sind seine Wege - es wird sein eigener Schwager sein, den er täglich im Teehause zu treffen pflegt. Er wird dem Schwager das Sammet abkaufen, der Schwager wird ihm eine Rechnung über eine Summe ausstellen, für die man die Straßen Konstantinopels mit Sammet pflastern könnte, und er wird seine Schritte heimwärts lenken und meine Schatztruhe fertigstellen."

Der Schreiner war etwas beschämt, da man seine Gedanken erraten hatte und sprach "Ihr bekommt die Truhe zum Freundschaftspreis. Und kein Wort über meinen Schwager." "Welchen Schwager?", fragte die Fürstin, und der Schreiner wars zufrieden.

19. Kapitel: Der Teppich

Am nächsten Tage zur frühen Nachmittagsstunde begaben sich die Herrin und ihre Sklavin in das Schlafgemach, und die Herrin fühlte, wie ihr Herz pochte. Sie wußte, eine der Prüfungen des Lebens stünde ihr nun bevor, denn dies war die Stunde des Teppichhändlers. Sie hatte ihn -  bei Allah -  nicht bestellt, doch der Teppichhändler hatte, die Ohren seinesgleichen waren ja überall,  wohl Wind bekommen von der Baustelle und der Notwendigkeit, dort einen Teppich zu legen. Seine Gehilfen hatten bereits eine Unzahl von Teppichrollen vor ihr Gemach geschafft, und, als Herrin und Sklavin dort eintrafen, begann der sie erwartende Teppichhändler sofort beredt, die Vorzüge seiner Teppiche zu preisen.

Er sprach angewidert von billigem Schund, der anderorts angepriesen würde, rühmte die Doppelknüpfung seiner Ware, die, wie er versicherte, länger hielt, als die Sonne Strahlen zu senden imstande sei, entlarvte seine Konkurrenten, die, "sogenannten", wie er genüßlich hinzufügte, Teppichhändler, die ahnungslosen Leuten ihren Schmutz andrehten, als Scharlatane, und stellte fest, daß er seine Teppiche nur ungern verkaufe, da ihm jedes Stück ans Herz gewachsen sei. 

Seine Teppiche hätten, was ein Blick darauf nur allzu verständlich mache, naturgemäß ihrer Preis, da er nicht auf
den Märkten der Großhändler einkaufe - "Ihr werdet nicht glauben", sprach er vertraulich, "was da alles angeboten wird", sondern er kenne alle seine Teppichknüpferinnen persönlich und zahle ihnen einen anständigen Lohn, der es ihm erlaube, nur die allerbesten Stücke in seinem Angebote zu haben.

Er erbot sich nun, den neugeschaffenen Raum mit seinen Teppichen zu belegen, auf daß die Pracht und Herrlichkeit seiner Ware da zur Geltung käme, wo sie auch künftig zu liegen hätte. Die Fürstin willigte ein, da dem Raume ein Teppich wahrlich nottat, und sie wußte, daß ihr dazu ein einziger Teppichhändler reichte - mehr hätte sie nicht verkraftet.

Die Herrin öffnete die Türe zur Himmelszelle, und die Gehilfen des Teppichhändlers breiteten so schnell und geschickt den ersten Teppich über den nackten Fußboden - sie warfen ihn nach vorne in die Luft und ließen ihn sich selbst entrollen - , daß man glauben konnte, Allah selbst habe einen Goldregen über die Erde geschickt.

Der Teppichhändler sprach ohne Unterlaß, über die feine Wolle, die er aus den Bergen bezog, über die Färber, die er unter Vertrag habe, und die nur die feinsten, besten und haltbarsten Farben verwendeten - er habe ein gestrenges Auge darauf, da die Grundlage seines Geschäftes nicht die Masse und der Preis, sondern die unvergleichliche Güte sei - und schließlich über seine Teppichknüpferinnen. Er ließe sie in seinem Betriebe das Knüpferhandwerk lernen - wie er einflocht, sei er ja in erster Linie Teppichproduzent und erst in zweiter Linie Händler, doch was nützten all die feinen Teppiche, wenn man sie nicht auch verkaufe - und, wenn sie zu ihren Familien in die armen Landstriche zurückkehrten, einen von ihm zur Verfügung gestellten Knüpfrahmen im Gepäck, fertigten sie voll Dankbarkeit, einen nicht unbeträchtlichen Teil zum Einkommen ihrer Familien beisteuern zu können, ihm Teppiche von unvergleichlicher Schönheit, Pracht und Güte.

Die Fürstin war überzeugt, daß der Teppichhändler geschmeidig genug war, einer weniger gutbetuchten Kundschaft, als es der Sultanspalast war, gerade den günstigen Preis seiner Ware herauszustellen, ließ ihn jedoch in seinen Ausführungen weiterfahren. Er wies auf den Goldregenteppich und sprach von den Safranfarben, die schon seit Menschengedenken Verwendung fänden, denn Teppiche seien schon seit jeher ein Schatz der Völker gewesen, vererbt von Geschlechte zu Geschlecht. Doch die Herrin war nicht sehr überzeugt, da sich der Goldregen bei näherer Betrachtung doch als recht gelb erwies.

Den Händler verdroß dies in keinster Weise, da er ein geschickter Kaufmann war und es verstand, das Interesse seiner Kundschaft durch Steigerung zu wecken, und sich die wirklich schönen - und teuren - Stücke seiner Sammlung für später aufzuheben pflegte. Die Gehilfen rollten also in Blitzgeschwindigkeit den Goldregen wieder zusammen und ließen schon das nächste Stück über den Boden gleiten. Dies zeugte in seinen Farben schon von etwas mehr Geschmack, doch war es von einer Art, wie es zu Dutzenden in den Wohnräumen der zu etwas Wohlstand gekommenen Bürger herumlag, die auch stolz in ihren Schränken ihre sechs goldgeränderten Teegläserchen auf gläsernen Tellerlein mit ihren silbernen oder vergoldeten Löffelchen hinter Glas dem Besucher zur Ansicht  freizugeben beliebten.

Der Teppich, der also auch keine Gnade fand vor dem gestrengen Blick der Fürstin, wurde blitzschnell eingerollt, und es folgte schon der nächste, der übernächste, der überübernächste und der überüberübernächste. Die Ware des Händlers gewann an Klasse, und nun waren schon gute und edle Stücke zu besichtigen. Der Händler versäumte nun nicht, zu jeder seiner nun auch preislich hochwertigen Ware die Geschichte deren Entstehung preiszugeben.

Es waren nur noch wenige Rollen übrig, und als die Gehilfen einen weichen Teppich entrollten, der etwas anders aussah als alle anderen, trat auch die Sklavin, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, hervor und betrachtete ihn mit Wohlgefallen. Der Händler spürte das Interesse an seiner Ware und erklärte: "Dies ist eine wahrhaftes Einzelstück; den Kennern" - so schmeichelte er Granat und ihrer Herrin - "fällt dies gleich auf. Es ist dies der Teppich meiner begabtesten Knüpferin, und sie war in ihrer Lehre voller Sehnsucht nach ihrem  Heimatdorfe und knüpfte um das Muster herum all die Häuser ihres Dorfes. Hier seht Ihr die bescheidene Moschee mit ihrem Kuppeldache, hier die kleine Schule, dort  die Bauernhäuser, klein, doch keines dem anderen gleich, das Teehaus, und, dies etwas stattlichere Haus, dies ist das Haus des Bürgermeisters, des Muhtar." 

Granat hatte sich sofort in diesen Teppich verliebt, und ihre Herrin, die dies spürte, sprach zu ihr mit ihren Augen: "Dieser Teppich wird dein Eigen werden, doch zeige dein Begehren nicht so deutlich, den Handel mit dem Teppichhändler, den überlasse getrost mir."

Der Teppichhändler führte nun unverdrossen auch den Rest seiner Ware vor, unter denen sich schöne und wertvolle Stücke befanden, doch kein Teppich war so einzigartig wie der mit den Häusern des Dorfes. Die Fürstin deutete nun vorsichtig ihr Interesse an einem Kaufe an, interessierte sich jedoch mal für das eine, mal für das andere Stück. Wie zufällig zog sie dabei sie auch das Kunstwerk mit den Häusern in Betracht und ließ sich den Preis nennen. Er war natürlich viel zu hoch, und das Spielchen des Feilschens konnte beginnen. 

"Es ist ja beim Handel immer dasselbe", dachte die Herrin bei sich, "der geforderte Preis liegt gewöhnlich genau um die Hälfte über demjenigen, den der Händler zu erzielen gewillt ist, und unter dem er seine Ware auch nicht loszuschlagen bereit ist. Der Kunde bietet ein Drittel davon, und wundersamerweise einigt man sich nach zähen Verhandlungen auf genau den Preis, den Verkäufer und Käufer zu Beginn schon kannten."

Es wurde also gefeilscht, was das Zeug hielt, der Teppichhändler klagte über seine immensen Auslagen und die Kosten, die erstklassige Ware nunmal mit sich brächte, und warf ein, der Sultanspalast verfüge doch über genug Mittel, um ihn zufrieden zu stellen. Die Fürstin hingegen beklagte, die Ausgaben des Sultanspalastes würden von einem kleinlichen, pedantischen und geizigen Stab von Rechnungsführern überwacht, die ihr bei zu hohen Ausgaben Schwierigkeiten in unermeßlichem Ausmaße zu bereiten gewohnt wären, und nach einigem Hin und Her einigte man sich schließlich auf den Preis in der Mitte. 

Der Teppichhändler nahm nun die Goldmünzen in Empfang und schrieb nun wie gewohnt die Rechnung säuberlich in zwei Ausfertigungen aus, die erste mit einer Summe, die etwas über dem bezahlten Preis lag, für die Fürstin, und die zweite mit einer Summe, die darunter lag, für seine Bücher.

Daraufhin zog er sich zufrieden mit seinen Gehilfen, die die übrigen Teppichrollen schon weggebracht hatten, zurück, nicht ohne hinzuzufügen, wie begeistert man von seiner Ware sein und ihn gewiß schon bald wieder für einen neuen Kauf rufen werde.

20. Kapitel: Das Unwetter

Am darauffolgende Tage besuchte die Fürstin den Goldschmied und bestellte dort den Schmuck, den sie ihrer Sklavin zur Einführung in ihr Amt zu schenken gewillt war.

Nun wurde der Barbier aus Bagdad aufgesucht, und die Herrin bat ihn, den Tag der feierlichen Aufnahme sich freizuhalten für ihre Dienerin.

Dann gings zum Schuster, der ungewohnt guter Laune war. Er war beim Zuschnitt der Reitstiefel sehr geschickt vorgegangen und konnte große Stücke zurückbehalten, die er einem Flickschuster bereits verkauft hatte. In seiner Schustertasche klimperten fröhlich die Geldstücke, und der Schuster fragte nach dem Begehr.

Die Herrin erläuterte ihm die Notwendigkeit einer Züchtigungspeitsche für die nahende Feier und bat ihn, zusammen mit dem Stahlschmied - sie wünschte nämlich einen glänzenden Griff aus Stahl -  ein derartiges Kunstwerk herzustellen. Sie fügte hinzu, es solle das Szepter einer Fürstin sein und einer zarten Sklavin dienen - nicht einem Wasserbüffel. Der Schuster versicherte, sein Bestes zu geben,  erklärte, der Stahlschmied und er seien ein gutes Gespann, und beide hätten gemeinsam schon viel Schönes geschaffen.

Granat wartete unterdessen in ihrer Himmelszelle auf dem neuen, wunderbar weichen Teppich, betrachtete die Häuser des Dorfes der unbekannten Teppichknüpferin, und war ihrer ungewohnten Freiheit gar nicht froh. Sie hatte natürlich bereits versucht, in die Höllenzelle zu spähen, doch die Tür war abgeschlossen, und, da der Raum ohne Fenster war, konnte man auch durch das Schlüsselloch nichts erkennen.

Sie stellte sich in wohligem Grusel schlimme Dinge vor, die sich künftig darin abspielen würden. Ein paar Gegenstände, die die Lehrknaben in die Höllenzelle geschleppt hatten, hatte sie wahrgenommen, und so stellte sie sich immer wieder von neuem vor, wie sie nackt in den unbequemen Strafbock geschlossen und zu Recht für mangelhaftes Betragen von ihrer Herrin gepeitscht wurde. Jedesmal gab es einen neuen Grund. 

Wie sie so vor sich hinsann, hatte sich unbemerkt das Firmament vor den Fenstern der Himmelszelle verdüstert, und als sie spürte, wie etwas an ihr feucht wurde, zuckte ein heller Blitz, und fast gleichzeitig tat es einen infernalischen Knall. Voll Angst hielt Granat in ihren Träumen inne, als fürchtete sie, ihr zürnte Allah. Doch im selben Moment betrat ihre Herrin ihre Zelle, lächelte ihre Sklavin an, die sich vor sie hinkniete, und sprach: "Du bist wohl recht erschrocken!". Granat, die noch blasser geworden war als sonst, nickte, und die Fürstin sprach: "Es ist nur ein Unwetter! Laß uns dies Spektakel nicht entgehen!" 

Sie öffnete die verborgene Tür zum kleinen Balkon. Er war wohl in alter Zeit ein hölzerner Altan mit kleinen Fenstern gewesen, doch der Lauf der Zeit hatte das Holz der Wände verfaulen lassen. Stattdessen rankte sich Efeu um den Balkon, schon fast wieder so dicht, als es die alten Hölzer gewesen waren. Das alte Dach stand noch und bot Schutz vor dem prasselnden Regen, der nun plötzlich einsetzte. Die Herrin faßte ihre etwas furchtsame Sklavin an der Hand, und beide traten nun hinaus. Zuckende Blitze wechselten sich mit Donnerschlägen ab, mal schneidend und grell, mal dunkel grollend.

Im Licht der Blitze konnte man die ungeheuren Wassermassen erkennen, die sich von oben ergossen, und Granat faßte ein tiefes Vertrauen zu ihrer mutigen Herrin, die ihr die Hand hielt, während wahre Sturzbäche von den Dächern herniederschossen.

Ein Viertelstündlein dauerte der Spuk, dann leuchteten die Blitze nur noch matt, und auch die Donner verloren ihre Kraft. Der Regen wurde schwächer, hörte schließlich ganz auf, und die Vögel begannen wieder zu zwitschern und zu singen. Die Sonne, die wohl auch nicht besonders mutig war und sich nun wieder hervorwagte, tauchte die nasse Welt in silbrig spiegelnden Glanz, und die Luft war klar und rein wie selten.

Die Fürstin lud nun ihre Sklavin zu einem Mahle ein, und als man dem kleinen Gelaß bei der Küche entgegenschritt, legte ihre Sklavin die Hände auf den Rücken und stellte sich vor, den Hareket, ihr stählernes Geschirr für Unterwegs, zu tragen. Bald war es ja, Allah sei Dank, soweit, die sogenannte Freiheit, die ihr nur wie Einsamkeit voller Sehnsucht vorkam, verloren zu haben und all die herrlichen Dinge tragen zu dürfen, derer sie bereits ansichtig geworden war.

21
. Kapitel: Der Schönschreiber


Nun war bereits der Tag vor dem großen Feste angebrochen, und Granat war vor freudiger und doch banger Spannung. Sie war ein wenig abergläubisch und fürchtete, bei allzugroßen Erwartungen nur enttäuscht zu werden. Sie hatte es zu oft erlebt, daß freudige Dinge unerwartet geschahen, und Ereignisse, die zur Vorfreude Anlaß gaben, dann doch ganz anders abliefen, als sie es erträumt hatte.

Ihre Herrin führte sie zum Kalligraphen, dem Schönschreiber des Palastes. Der Schönschreiber stand vor einem großen alten Tisch, auf dem ein riesiges Pergament ausgebreitet war - kleine Bleigewichte an jeder Ecke hinderten es daran, sich zusammenzurollen - , hielt einen gewaltigen Pinsel in der Hand und war darin versunken, ein Ornament zu schaffen. Er war schon ein alter Mann, doch die einzigartig ruhige und zielbewußte Art, den Pinsel zu führen, konnte Jüngere vor Neid erblassen lassen. Als er den Pinsel absetzte, um ihn in Farbe zu tauchen, erkannte er, daß er Besuch hatte, und mit dem Lächeln des Weisen fragte er, was man von ihm wünsche. "Meine Dienerin soll die Kunst des Schönschreibens erlernen", erwiderte die Herrin.

Der Alte wiegte bedenkenvoll sein Haupt und zu Granat gewandt sprach er: "Dies ist ein recht schwieriges Unterfangen, denn nach dem Glücke, das der Erfolg des Anfangs mit sich bringen wird, wird eine Zeit kommen, da Fortschritte nicht mit Siebenmeilenstiefeln einherschreiten. Ihr braucht sehr viel Geduld und auch viel Zeit." Granat jedoch war hingerissen von dem Ornament des Schönschreibers und erwiderte: "Ich bin mit viel Geduld ausgestattet und hoffe, meine Herrin gewährt mir genug Zeit. Sie ist eine sehr verständnisvolle, gütige und hoffentlich auch strenge Herrin und wird mich zwingen, das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, schlußendlich auch zu erreichen."

Der Schönschreiber sprach skeptisch zur Fürstin: "Das beste wäre wohl, Ihr kettet meine künftige Schülerin mit einer stählernen Kette am Zeichentische fest", und Sklavin und Herrin, die ja genau dies ins Auge gefaßt hatten, sahen sich wissend an und lächelten sich zu. 

Der Kalligraph rollte sein im Entstehen begriffenes Ornament zusammen, legte es zur Seite, holte ein kleines Papier hervor, tauchte einen kleinen Pinsel in blaue Farbe, drückte ihn Granat in die Hand und bat sie, einen Lamalif aufs Papier zu bringen. Sie tat wie geheißen, und kurze Zeit später schmückte ein tadelloser großer Lamalif das Papier.

Der Schönschreiber betrachtete den Buchstaben und sprach: "Ihr habt Talent, doch ich sehe schon, was Euch noch fehlt. Dies ist ein Lamalif, und er ist richtig. Doch ist er tot und ohne Schwung. Würdet Ihr eine Schleife an Eurem Kleide dergestalt binden? Zeichnet doch den Lamalif, als wäre er eine Schleife an Eurem Gewande. Haltet den Pinsel, wie ich es Euch zeige, und laßt ihn Teil Euer selbst sein. Und lockert Eure Hand. Ihr müßt das Zeichen - die Schleife -  auf dem Papier schon sehen, bevor ihr den Pinsel überhaupt bewegt." Der zweite Lamalif hatte nun schon viel mehr Schwung, und der Kalligraph nickte zufrieden. "Ich denke, Ihr werdet schnell dazulernen - doch seht auf dies Papier und darauf!"

Er öffnete eine Schublade, griff hinein, holte ein zwei Finger breites blaues Seidenband hervor, schlang es wie einen Lamalif und legte es auf den Tisch. Er sprach weiter: "Wenn ihr von oben auf das Band herabseht, wirkt dies Band an manchen Stellen breiter, an manchen schmäler. Wenn Ihr den Pinsel geschickt führt, mit mehr oder weniger stark ausgeübtem Drucke, wird kein Betrachter Euer Zeichen von diesem Band zu unterscheiden wissen.

Ihr könnt es lernen, doch ist es ein höchst beschwerlicher Weg dahin." Er nahm Granat den Pinsel aus der Hand und zeichnete nun selbst den Buchstaben, und der war von der Schleife nicht zu unterscheiden. Die Sklavin nahm sich nun fest vor, diese wunderbare Kunst zu erlernen - die Kette, die es ihr unmöglich machen werde, sich vom Üben einfach so davonzustehlen, half ihr hoffentlich sehr dabei.

22. Kapitel: Der Anfang des großen Tages und kein Wasser, aber eine neue Frisur

Jetzt war Granats großer Tag gekommen, und, wie sie es erwartet hatte, er fing mit Ärger an. Kaum hatte sie sich des Morgens mit einer kostbaren Seife zu waschen begonnen, um sich für ihren Auftritt zu richten, versiegte auch schon das Wasser. Das geschah zuweilen, doch darüber, daß es heute geschah, war Granat gar nicht glücklich, grollte ihrem Schicksal und zischte erbost: "Kismet, Kismet". Sie schleuderte voll Wut das kostbare Seifenstück mit solcher Wucht zu Boden, daß es in zwei Stücke sprang, und stampfte heftig mit dem Fuße auf.

Auf den Lärm hin kam ihre Herrin zur Badetür herein und mußte, als sie die Bescherung sah, zu allem Überflusse auch noch herzlich lachen. Granat war voller Enttäuschung und fing an, zu zittern, zu schluchzen und bittere Tränen zu weinen. Die Fürstin stellte sich zu ihr, umarmte sie, die sich anfangs dagegen sträubte, trocknete ihre Tränen mit einem Tüchlein und versprach ihr, alles wieder schnell ins rechte Lot zu bringen.

Sie hieß ihre Dienerin, auf sie zu warten, verließ das Badegemach mit einem großem Tuche, eilte zu Küche, ließ dort das Tuch in warmes Wasser tauchen, eilte zurück, und rieb Granat die eingeseiften Stellen damit ab. Die erste Katastrophe war nun abgewendet, doch Wasser floß deswegen noch lange nicht.

Die Fürstin zog Granat zurück ins Schlafgemach und bat sie, dort auf sie zu warten. Sie kannte sich in der Kunst der Wasserwirtschaft nicht im geringsten aus, und überlegte, nachdem die das Schlafgemach verlassen hatte, wer ihr da Beistand geben könne.

Vielleicht waren die Köche eine Hilfe; sie pflegten ständig einen großen Vorrat Wasser auf dem Herde heißzuhalten, damit der Kalk abschiede und der Tee seinen vollen Geschmack entfalte. Doch wer konnte sich mit diesem Wasser waschen? Die Seife braucht den Kalk, soviel wußte sie schon auch.

Nun zwang sie sich dazu, nachzudenken. Das warme Wasser im Badegemach kam vom Dache. Dorthinauf wurde das kalte Wasser in einen großen eisernen Kasten geleitet, auf daß es sich im Sonnenlicht erwärme. Sie ging in die Werkstatt des Grobschmiedes und fragte diesen, ob sein kaltes Wasser, dessen er ja ständig bedurfte, um sein Eisen zu härten, denn fließe. "Ja", sprach dieser, "es fließt schon seit Wochen und es fließt auch heute". Nun wußte die Herrin, wo sie zu suchen hatte.

Die Fürstin wußte, daß es einen Abortreiniger gab im Palaste, und ließ ihn sich kommen. Sie schilderte ihre Not; doch der Abortreiniger konnte zuerst kein Wort herausbringen, da er doch Abortreiniger war und sie eine Fürstin. Die Herrin schalt ihn einen Narren, da sie doch jetzt dringend seines Könnens bedürfe, und sprach, sie schätzte jeden, der sein Handwerk verstünde.

Als der Abortreiniger dies begriff und Anerkennung für sein meist im Verborgenen ausgeübtes Handwerk verspürte, ging er in seine Kammer, griff sich seine Tasche mit Werkzeug und eine hölzerne Leiter, ging auf den Hof des Palastes, zog die Leiter auf und stieg aufs Dach.

Kurze Zeit später stieg er heiteren Mutes wieder herunter und, unten angekommen, erklärte er, bei dem Unwetter, das jüngst auf den Palast niedergegangen sei, sei Erde, Blätter und ähnliches ins Wasser geraten und hätte das Rohr vom Kasten auf dem Dach zum Badegemach hinunter einfach verstopft. 

Es sei aber nun gereinigt, und seine Arbeit sei getan. Die Fürstin dankte ihm gar sehr, und der Abortreiniger nickte sehr glücklich. Ob nun dafür sein Erfolg, ihr Dank, die schwere Münze, die sie ihm dabei in seinen Kittel schob oder alles drei ursächlich war, weiß nur Allah, der Allmächtige. Der Abortreiniger jedenfalls zog sich sehr froh zurück.

Die Fürstin begab sich zurück ins Bad und stellte fest, daß jetzt das Wasser ganz prächtig floß, ging zum Schlafgemach und fand Granat an ihrem Bette sitzend vor. Sie hatte ihren Kopf in beide Hände gestützt und sah so verdrießlich drein, als stünde der unvermeidliche Untergang des Morgenlandes unmittelbar bevor.

Als jedoch ihre Herrin verkündete, der Fehler sei nunmehr behoben, hellte sich ihre Miene spürbar auf, und als ihr ein neues kostbares Seifenstück in die Hand gedrückt wurde, wagte sie einen zweiten Versuch. Dieser war nun von Erfolg gekrönt.

Granat nahm sich vor, am heutigen Tage höchste Vorsicht walten zu lassen, um das Schicksal nicht herauszufordern. Das nächste Abenteuer, wie es ihr vorkam, stand nämlich schon unmittelbar bevor: der Besuch beim Barbier.

Was konnte da nicht alles geschehen! Vielleicht war der Barbier sehr gläubig, schenkte dem Ruf des Müezzins mehr Aufmerksamkeit als ihrem Haar, und wähnte, einen Mann vor sich zu haben. Sie sah schon ihre Locken fallen und ihr Haupt so kahlrasiert wie das manchen Eunuchen.

Doch zwang sie sich sogleich zur Vernunft. Sie war schon oft beim Barbier aus Bagdad gewesen, kannte ihn sehr gut,  und war immer sehr zufrieden gewesen ob seiner Kunstfertigkeit.

Und sie wurde wahrlich nicht enttäuscht, denn der Barbier widmete ihr all seine Aufmerksamkeit, auch als der Müezzin zu rufen begann. Sie rief sich in Erinnerung, daß ihr vor geraumer Zeit der Barbier stolz berichtet hatte, selbst ein Müezzin zu sein - seiner schönen Stimme wegen hatte man ihn erwählt -, und die Gesänge kannte er dann wohl im Schlafe, sie brachten ihn nicht draus.

Nun fiel ihr auch ein, wieviel er ihr schon von sich erzählt hatte, von seiner Heimatstadt, der Stadt der Kalifen, von seiner Liebe zum Gesang, zur Kunst und vielen anderen schönen Dingen, und auch, daß Allah es ihm verwehrte, wie andere Männer Weib und Kind zu haben. Er setzte hinzu, er habe sich seine Neigung wahrlich nicht selbst ausgesucht.

Der Barbier formte mehr, als daß er schnitt und war sehr vertieft in seine Arbeit.

Als er endlich Granat den Spiegel vorhielt, erschrak sie ein wenig, doch nicht, weil des Barbiers Arbeit Schund gewesen war, sondern vielmehr, weil sie die edle Dame, die ihr aus dem Spiegel entgegensah, einfach nicht sogleich erkannte.

Ihr war nun schon sehr viel leichter ums Herz, und sie legte dem Barbier mit warmen Druck eine Münze aus purem Gold in die rechte Hand. Der Barbier steckte blitzschnell die Münze ein, dann stellte er sich gerade hin, zog  mit seiner Hand von der Brust einen großen Kreis in weitem Bogen nach außen, während er ein Bein nach vorne stellte und sich so formvollendet verbeugte, als stünde er vor einem großem Publikum, ihm tosend Beifall spendend.

Den Besuch des Schneiders ging sie schon viel gelassener an. Ihr Festgewand war ja bereits fertiggestellt, vielleicht waren hie und da noch Korrekturen anzubringen. Tatsächlich paßte es ihr wie angegossen, es wurde ja in den vergangenen Tagen genug maßgenommen, abgesteckt und angepaßt. Der Schneider hatte ein Mädchen bei sich, das das Schneiderhandwerk erlernte; es zeigte ein freundliches rundes Gesicht unter ihrem mattweißem Kopftuch, und diesem  Mädchen trug der Schneider nun auf, das "ütü" zur Hand zu nehmen. 

Granat wußte, was "ütü" bedeutete: Ein dampfendes, heißen Plätteisen, um die Kleidung in Form zu bringen, doch schon in ihren Kindertagen mußte sie sich, wenn sie "ütü" hörte, ob des absonderlichen Klanges dieses Wortes schier ausschütten vor Lachen. Und so lachte sie auch jetzt, und, auch wenn der Schneider und sein Mädchen sie ansahen wie eine wunderliche Alte, fiel alle Last dieses Tages ab im Lachen über das "ütü". Das Festgewand war bald in Form; und so wurde Granat angekleidet.

Viel war nun nicht mehr zu tun, und, als sie an der Küche und an dem kleinen Gelasse gegenüber vorbeikam, begegnete ihr ihre Herrin. Diese, den linken Arm voll lederner Kleidung, fragte sie, ob die Geschäfte zur Zufriedenheit verlaufen seien. Granat bejahte, und beide stärkten sich im Gelaß für das große Ereignis mit Löwinnenmilch.

Danach schritt man gemeinsam zum Schlafgemach, und die Herrin wies ihre Dienerin an, sich in ihre Himmelszelle zu begeben. Rubin, ihre Sklavenpatin, werde sie um die achte Stunde dort erwarten, um sie zum Festsaal zu geleiten.

Granat wartete in ihrer Festtagstracht, auf dem noch unbenützten Lager sitzend. Sie versuchte, an nichts zu denken, um nicht durch ihre Träume die Wirklichkeit zu zerstören.

23. Kapitel: Das Fest

Endlich öffnete sich die Tür. Rubin trat ein in ihren Sklavenketten, gekleidet ganz in rubinrote Seide, und trug erhobenen Hauptes in ihren Händen der Herrin Peitsche mit dem Griff aus glänzendem Stahl -  auf einem schwarzsamtenen Kissen. Sie bat Granat, ihr zu folgen und schritt würdig dem Festsaale entgegen. Vor der Türe dieses Saales standen zwei kleine schwarze Lakaien, die den beiden stumm die Türflügel öffneten und sich tief verbeugten.

Der Festsaal war mit flackernden Kerzen erleuchtet, und an jener Stelle, an der gewöhnlich der Fürstin Thron stand, war nun eine kleine Empore aufgebaut. Zwei stahlglänzende Ringe waren in diese Empore eingelassen, und zwei ebenso im Kerzenschein schimmernde Ketten hingen von der Decke herab. Amethyst, Smaragd auf der einen und Saphir und die kleine Lapislazuli auf der anderen Seite bildeten ein Spalier. Sie waren in feierliche Roben gekleidet, jede in der Farbe, die ihrem Edelsteinnamen entsprach. 

Granats Herrin stand vor der Empore und begrüßte ihre Sklavin mit einem Kusse auf die Stirn.
Sie war in feinstes Leder gewandet, und jeder Zoll in ihr war eine unerbittliche und unnahbare Herrscherin. 

Rubin ließ Granat auf die Empore steigen und fragte laut: "Seid Ihr bereit, Euren Geist zu unterwerfen dem Willen Eurer Herrin?" Granat antwortete kräftig: "Ja, ich bin bereit!" Rubin fuhr fort: "Seid Ihr bereit, Euren Leib zu unterwerfen dem Willen Eurer Herrin?". Granat antwortete kräftig: "Ja, ich bin bereit!". Rubin fuhr fort: "Seid Ihr auch bereit und willens, in dieser feierlichen Stunde den Bund mit Eurer Herrin zu schließen, die Euch sogleich Schmerz und Leid zufügen wird, auf daß der Schmerz und das Leid Euch und Eure Herrin verbinde, Euer Schmerz zu ihrem Schmerze wird und Euer Leid zu ihrem?" Granat schrie es fast heraus: "Ja, ich bin bereit!"

Rubin legte nun das Kissen mit der Peitsche auf einem Tische ab, der etwas abseits an der Seite stand, entkleidete Granat mit feierlichen Gesten, legte sehr behutsam deren Festtagstracht auf diesen Tisch, legte ihr das Große Züchtigungskorsett an, befestigte ihre Füße mit ledernen Manschetten an den stahlglänzenden Ringen, legte den Gelenken ihrer Hände die Huni, die ledernen Trichter, an und befestigte sie an den Ketten, die von oben herabhingen. 

Rubin nahm nun ihr samtenes Kissen mit der Peitsche wieder auf und reichte es der Herrin entgegen, die sich mit der Linken die Peitsche griff, und Rubin trat zur Seite. Die Herrin strich Granat mit ihrer Rechten zart über beide Wangen, dann stellte sie sich hinter ihre Sklavin, nahm die Peitsche mit dem Stahlgriff in die Rechte und schlug zu. Granat schrie auf voll Schmerz und voll Lust, und schon setzte es den nächsten Schlag, noch einen, noch einen, noch einen, noch einen. Granat hing nur noch in ihren Huni, sie schrie und schrie und schrie. Doch endlich hatte ihre Herrin Erbarmen, ließ Rubin sie salben, küßte ihre tränenfeuchten Augen und ihren Mund, doch bevor sie losband von der Decke und dem Boden, legte sie ihr an ihrem Oberarm den Sklavenschmuck an, der sie künftig begleiten sollte. Es war eine Eidechse aus purem Gold, die auf ihrem Rücken unzählige Granate trug.

Granat, nun losgebunden, umarmte ihre Herrin, küßte glühend ihre Wangen, glitt an ihr ab bis zum Boden und küßte voll Demut und Inbrunst ihre Füße. Nach geraumer Zeit zog ihre Herrin sie nach oben, und beide umschlangen sich und verharrten so lange Zeit.

Schließlich winkte die Herrin Rubin heran, die Granat das Große Züchtigungskorsett abnahm und ihr wieder ihr Festtagskleid anlegte. Rubin ging nun zu dem Tisch an der Seite und holte Granats Birlik.
Die murmelnden Gespräche der Sklavinnen verstarben, alle nahmen wieder Haltung an und sahen nach vorne. Die Fürstin begann, ihrer Sklavin den Birlik anzulegen und sprach feierlich: "Diesen Schmuck wirst du nun  tragen eine geschlagene Woche lang." Leise, so daß es nur Granat hören konnte, setzte sie hinzu: "
eine kleine Unterbrechung ausgenommen".

Als ihr der Schmuck angelegt war, nahm die Fürstin Granat herzlich in den Arm und sprach zu ihr: "Nun wollen wir ein wenig feiern - an unserm großen Tag." Das war natürlich ein wenig untertrieben, denn alles war schon vorbereitet. Kräftige Eunuchen schleppten einen schweren Eichentisch in den Saal, die Köchinnen aus der Küche breiteten ein weißes Tuch darüber, Stühle wurden herbeigetragen, auf die sich die festliche Gesellschaft nun setzte. Granat und ihre Herrin nahmen die Ehrenplätze an den Stirnseiten ein, und die Musiker mit den steifen Hüten, die die
Herrin  ja schon hören durfte, betraten den Saal und begannen, ihre zauberhafte Weisen zu spielen.

Auch Granat war voller Entzückung über diese Musik, die ihr bislang fremd war, schloß die Augen und litt und freute sich mit der Klarinette über das Leben, das sie erzählte.
Als die Vorspeisen hereingetragen wurden, stellten die Bläser und Geigenspieler zum allgemeinen Bedauern ihr Spiel ein, nahmen von allen den Beifall und von der Fürstin zusätzlich ein Bahschisch entgegen und verließen unter tiefen Verbeugungen den Saal.

Der Speisenbringer hatte heute seinen geschäftigsten Tag. Mit großem Ernst, als ob die Zukunft der Welt von ihm alleine abhinge, brachte er Speisenbrett um Speisenbrett voller Vorspeisen herein. Dann schleppte er eine derartige Anzahl Flaschen voll des roten und weißen Weines heran, als habe er alle Soldaten des Sultans für eine Siegesfeier zu bewirten.

Granat sah zauberhaft aus in ihrem frischpoliertem Birlik mit dem stählernem Halsreif und der artigen Haltung, doch auch alle anderen Sklavinnen hatten ihre Sklavenketten säuberlich herausgeputzt, daß sie glänzten wie Silberschmuck.

Zum Einschenken des Weines war eigens der Kellermeister des Palastes erschienen, ein würdiger, rundlicher und gemütlicher Herr mit einer etwas roten Nase. Er stellte seine Weine vor, erläuterte die Sorte der Reben, und, wo sie gewachsen waren. Er kannte alle diese Orte durch eigene Reisen und schilderte sie so anschaulich, daß die Tischgesellschaft die Reben in der warmen Herbstsonne reifend vor sich sah. Er einigte sich mit Granat und ihrer Herrin auf die Weinfolge und sprach: "Jetzt ist aber genug gesprochen worden vom Wein. Der ist nicht wie Sultane, Kalifen und Großwesire gewachsen dafür, daß man lange Reden über ihn hält, sondern dafür, daß man ihn trinkt!" 

Er schlang ein weißes Tuch über die ausgesuchte Flasche, ließ die Herrin kosten, und da sie den Wein für gut, ja für ausgezeichnet befand, füllte der Kellermeister allen die Gläser, und der zweite Teil des Festes konnte beginnen.

Es wurde eine sehr fröhliche Feier, die Vorspeisen waren ebenso vorzüglich wie alles, was danach aufgetragen wurde. Doch das köstlichste war der Wein. Der Kellermeister hatte wohl die besten Tropfen seines Kellers geplündert.

Die Gesellschaft wurde immer lustiger, und schließlich wurde ein Preis ausgelobt für den Begriff mit den meisten "ü" darin. Der Preis ging an die Zollbehörde, die "gümrük müdürlügü", und alle stießen auf die Zollbehörde an und auf deren langes Leben.

24. Kapitel: Die Birlikwoche

Zurück im Schlafgemach nahm Granats Herrin ihr zu ihrer Überraschung den Birlik ab, - "nur für eine kurze Zeit!" - wie sie sagte, und fragte sie voller Ernst: "Liebe Sklavin, du hast mir geschworen, daß dein Leib und deine Seele mein Eigen sei, doch bist du auch bereit, dein höchstes Glück mit mir zu teilen?" Granat sah ihr tief in die Augen und sprach: "Herrin, es gibt kein höchstes Glück, das nicht geteilt ist. Ein höchstes Glück, empfunden nur alleine, ist kein höchstes Glück, es ist ein fahler Abglanz dessen, schal und leer."

Die Fürstin entkleidete Granat und öffnete die Tür zur Himmelszelle, steckte dort eine Kerze an und ließ ihre Sklavin sich auf das Lager dort niederlegen. Sie hatte plötzlich lederne Manschetten zur Hand, die sie um Granats Arme und Beine schlang und an den Ringen der Säulen, die das Lager begrenzen, befestigte.

Granat lag nun auf dem Rücken, unfähig, sich zu bewegen.

Die Fürstin war nun nicht mehr kaltblütig und küßte heiß ihre Stirn, ihren Mund, ihre Wangen und ihre Ohren. Sie nahm ein Ohrläppchen in den Mund und zog sehnsüchtig daran, tat mit dem zweiten desgleichen, und küssend glitt ihr Mund nieder bis zu den Knospen ihrer Brust, die sich ihr bereits entgegenstreckten. Mit ihre Zunge umkreiste sie wild diese
Knospen, mal die eine, mal die andere, und küßte schließlich - ihren Fuß. Jeder Zeh war ihrer Liebkosung sicher, und Granat war schon halb im Paradies. 

Als der Herrin Küsse ihre taufeuchte Blume erreichten und dort die Blütenblätter und den Stempel liebten, begann Granat, sich selbst völlig zu vergessen. Die ganze große Welt war geschrumpft auf diese kleine Blume und begann, eine dunkelsamtblaue Farbe anzunehmen. Das wunderschöne Dunkelsamtblau dieser kleinen Welt wurde immer dichter und dichter, und Granat schrie dabei voll Lust, bis das Dunkelsamtblau sie mit ins Paradies nahm.

Allmählich lichteten sich die dunkelsamtblauen Nebel, und Granat nahm wahr, noch auf dieser Welt zu sein. Ihre Herrin hörte nicht auf, sie zu küssen, doch waren diese Küsse nicht mehr voll der Leidenschaft, sondern zarte Küsse der Liebe.

Schließlich band die Herrin ihre Sklavin los, half ihr aufzustehen, nahm die Kerze, und führte ihre Dienerin, eine Hand um ihre Schultern gelegt, in ihr Schlafgemach. Granat legte sich rücklings auf das Lager, und ihre Herrin legte ihr wieder den schönen Birlik an und schloß sorgfältig die Schlösser.

Sie ließ Rubin kommen, übergab ihr die Schlüssel und gab ihr Anweisung, sie an einem nur ihr bekannten Ort niederzulegen und pünktlich in einer Woche zur selben Stunde wieder mit den Schlüsseln zur Stelle zu sein, sie keinesfalls jedoch vor dieser Stunde herauszugeben, und Rubin schritt davon, nicht ohne Granat noch eine gute Nacht gewünscht zu haben.  

Danach nahm die Herrin ein weiteres Schloß zur Hand, zog es durch diejenige Stelle, an der Granats Handkette mit der langen Kette, die von ihrem Halsreif zu ihren Füßen führte, verbunden war, und schloß es an Granats Halsreif. Sie sprach dabei: "Meine geliebte Sklavin, du sollst im Schlafe nicht versehentlich Teile deines Leibes berühren, die deiner Herrin vorbehalten sind. Dies Nachtschloß wirst du nur nächtens zu tragen haben; am Tage bist du davon befreit."

Granat verstand, dankte ihr und bat demütig, dereinst auch die  Fürstin zum Paradies bringen zu dürfen. Die Bitte wurde ihr gnädig gewährt, und ihre Herrin deckte sie mit einer Decke, die ihrer eigenen aufs Haar glich, zu - denn sie wußte, eine geteilte Nachtdecke in einer einzigen Nacht konnte Ursache sein für Zerwürfnisse bis ins fünfte Glied -, zog sich die eigene Decke hoch und umarmte die glücklich neben ihr liegende, im Birlik mit dem Nachtschloß gefesselte Dienerin, gab ihr noch einen Kuß zur guten Nacht, und beide schliefen froh ein.

Am nächsten Morgen erwachte Granat vor ihrer Herrin und bewegte voll stillem Vergnügen ihre Beine, soweit es der Birlik eben zuließ. Sie konnte sie ohne weiteres Zutun fast ganz ausstrecken, und wenn sie sich nach vorne beugte, gelang auch das.

So räkelte sie sich wohl ein, zwei Stunden lang, bis auch ihre Herrin, die dem Wein wohl noch mehr als sie selbst zugesprochen hatte, erwachte und ihr das Nachtschloß löste. Beide begaben sich ins Badegemach, und Granats Herrin wusch und salbte ihre Sklavin und kleidete sie an.

Es war eine schöne Woche, die Birlikwoche - die erste, aber wohl nicht die letzte, wie Granat hoffte.

Heiße Sommertage waren das, und oft saßen Granat und ihre Herrin auf dem kleinen verschwiegenen Balkon im Schatten des Efeus und des alten Holzdaches und erzählen sich Geschichten. Granat wußte viel zu fabulieren, von verzauberten buckligen Zwergen, von fliegenden Teppichen, von Flaschengeistern, von Magiern und ihren geheimnisvollen Pülverchen, von Räuberbanden und von Marktfrauen mit dem bösen Blick. Sie selbst trug, abergläubisch, wie sie war, immer einen blauen Stein gegen den bösen Blick mit sich. Die Stunden flogen nur so dahin, und wann immer beiden Tee zu trinken im Sinne stand, wurde eine silberne Schale tief in den Garten hinabgelassen und dort von dienstbaren Geistern mit Tulpengläsern voll frischem Tee befüllt.

Granats Herrin achtete sorgsam darauf, ihr nachts das Nachtschloß anzulegen. Sie liebkoste ihr dann ein wenig ihr Kätzchen, das ja der Herrin Besitz war und für Granat selbst unerreichbar, und so verbrachten sie neben den schönen Tagen auch wunderschöne Nächte.


ã 2001 by Ulli Dillis

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