Das Mädchen im Käfig
von Ulli Dillis
I. B. gewidmet
1. Kapitel, in dem ein Käfig seinen Inhalt preisgibt, eine Sultansmutter eine Ansprache hält, und nur ein kleines Essen stattfindet.
Es war ein sonniger Frühlingsmorgen, als vor dem Sultanspalast zu Konstantinopel plötzlich lautes Pferdegetrappel zu vernehmen war. Und schon bog das lärmende Fuhrwerk um die Ecke, und mit einem lauten „Brrr" brachte der Kutscher das Gefährt zum Stehen.
Nun konnte man erkennen, daß der Wagen eine seltsame Last trug, einen tonnenförmigen Gegenstand, einen Schritt im Durchmesser und vielleicht doppelt so hoch. Um diesen merkwürdigen Gegenstand war ein hellblaues Tuch aus Seide geschlungen, das in der frühen Sonne schimmerte. Aus dem Palasttor schritten vier kräftige Mohren bedächtig auf das Fuhrwerk zu, und, als sie durch das Tuch hindurch Eisenstäbe zu fassen bekamen, konnte man erkennen, daß es sich bei dem Gegenstand um einen Käfig handelte, nicht jedoch, was sich darin abspielte.
Die Eunuchen, um selbige handelte es sich nämlich bei den Mohren, hoben den Käfig an, zogen ihn über den Wagen und trugen ihn an den Wachen vorbei ins Innere
des Palastes. Hier ging es durch enge, dunkle und verschlungene Wege, treppauf und treppab, bis das Quartett einen großen Saal im Serail erreichte, den Wohnsaal des Sultans.Dort hing von der Decke eine schwere Kette herab.
Drei Mohren hoben nun den Käfig empor, der vierte nahm die Kette und befestigte sie rasch an einem Ring, der oben an dem Käfig angebracht war. Die Männer ließen nun den Käfig los, der nun frei in der Luft schwebte und sich leicht hin und her bewegte.
Eine Tür schwang auf und herein schritt die Mutter des Sultans, in kostbarste Gewänder gekleidet und nach orientalischer Sitte über und über mit Gold behängt.
Die Eunuchen nahmen eine demütige Haltung an, senkten die Häupter und schlichen aus dem Saal, während die Mutter des Sultans sich dem Käfig näherte, dessen Eintreffen sie offenbar erwartet hatte. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das Seidentuch zu Boden, und zum Vorschein kam ein nur spärlich mit schwarzer Seide bekleidetes Mädchen.
Seine Fußgelenke waren durch ein Lederband zusammengeknotet und mit einer Käfigstange verbunden. Die Hände waren, ebenfalls mit einem verknoteten Lederband, hinter dem Rücken gefesselt. Das Mädchen sah sich erstaunt um, drehte den Kopf mal hierhin und dahin und sah endlich die Mutter des Sultans an.
Die Mutter des Sultans zog sich einen Diwan an den Käfig heran und sprach ins Käfiginnere:
„Allah sei mit dir, meine künftige Sklavin. Du wirst es hier haben wie im Paradies. Die Geschichtenerzähler werden dir Geschichten erzählen, die Speisenbringer werden dir die feinsten und erlesensten Speisen bringen, Musikanten werden dich erfreuen und kühle Getränke erfrischen – kurz, es wird dir an nichts fehlen, nur – bei diesen Worten zog sie leicht an dem um die Handgelenke des Mädchens geschlungenen Band und ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht – nur deine Freiheit, die ist dir genommen."
Das Mädchen sah der Mutter des Sultans tief in die Augen und sprach: „Ach, Verehrteste, um meine Freiheit ist es mir nicht schad. Wer frei ist, ist nicht frei. Sind denn die Speisenbringer frei ? Nein, sie haben Speisen zu bringen. Und die Geschichtenerzähler ? Sie müssen Geschichten erzählen. Ich jedoch, ehrwürdige Mutter des Sultans, ich werde Ihre Bänder, Ihre Ketten und Fesseln tragen mit Leichtigkeit, denn ich werde nicht nur nichts tun müssen, ich werde, wie Sie mir versichert haben, gar nichts tun können. Ich werde Ihre Gefangene sein und ich werde es gerne sein."
Die Mutter des Sultans erwiderte daraufhin: „Du bist sehr klug, liebe künftige Sklavin, ja es freut mich, wie klug du dich ins Unvermeidliche fügst. Den Tag wirst du oft hier im Käfig verbringen, denn hier hast du Unterhaltung und hier wirst du verwöhnt.
Die Nacht jedoch, die Nacht, die hast du für dich. Das einzige, was ich von dir, künftige Sklavin, verlange, ist,"
„Ja", fiel ihr das Mädchen ins Wort, „ja ich weiß, meine Freiheit auch dann. Aber auch des Nachts, wenn ich allein bin mit mir und meinen Träumen, da dürft Ihr handeln, wie es einer Herrin geziemt."
„Da bin ich beruhigt," sagte nun die Sultansmutter, „ich fürchtete schon, du sträubtest dich, wenn dich die anderen Sklavinnen an dein Lager anketten".
„Nein", lächelte das Mädchen und rieb seine Beine gegeneinander, soweit es das Lederband zuließ, „nein, denn es ist schön, an ein Lager gekettet zu sein. Sie müssen wissen: die Ketten helfen, nicht alleine zu sein, denn sie erinnern an den, der sie anlegte oder anlegen ließ".
Zufrieden lächelte die Mutter des Sultans und sprach: „So, liebe künftige Sklavin, jetzt werde ich Dich aber nicht weiter stören."
Sie ergriff eine Handglocke und läutete. Es erschien ein kleiner Mohr, dem die Mutter des Sultans befahl: „Hol den Speisenbringer!". Der Mohr verschwand und kurze Zeit später stand ein zweiter, größerer im Saal, vor sich ein riesiges Tablett mit allen Köstlichkeiten des Orients.
Die Sultansmutter winkte sich ihn heran und sagte: „Speisenbringer, du siehst hier in diesem Käfig meine künftige Sklavin. Du wirst sie noch öfter hierin sehen. Du bist zwar ein Tölpel und im Kopfe etwas beschränkt, doch selbst du wirst erkennen, daß ihre Hände es nicht vermögen, die Speisen zum Munde zu führen. Du wirst ihr das Essen und das Trinken in den Mund reichen, und ihr Wunsch ist dir Befehl."
Der Speisenbringer trat an den Käfig und sprach zum Mädchen mit gedämpfter Stimme: „Was wünscht die Ehrwürdige Künftige Sklavin der Mutter des Sultans ?"
„Ach, nur ein paar Süßigkeiten und etwas Tee" rief das Mädchen fröhlich ob der prompten Bedienung. Der Speisenbringer wählte ein süßes Stück und schob es dem Mädchen in den weitgeöffneten Mund. Daraufhin nahm er ein Gläschen Tee vom Tablett. Das Mädchen streckte sich, soweit es die Fesseln und der Käfig zuließen und ließ sich Schlückchen für Schlückchen einflößen.
Später, als das Mädchen genug gegessen und getrunken hatte, verließ der Speisenbringer mit seinem riesigen Tablett unter vielen Bücklingen den Saal.
Da sich die Mutter des Sultans während der Bedienung durch den Speisenbringer unbemerkt entfernt hatte, war das Mädchen nunmehr allein in seinem Käfig und konnte sich eine Zeitlang in dem Wohnsaal umsehen, der durch die Pracht seiner Teppiche bestach - fast blendete der edle Schimmer der Seidenteppiche.
2. Kapitel, in dem ein Mädchen zur Sklavin wird
Doch auf einmal hörte das Mädchen die Tür wieder schlagen und sah die Mutter des Sultans eintreten und auf den Käfig zusteuern, zwei glänzende Eisenketten in der Hand, eine länger und eine kürzer. Sie setzte sich auf einen Diwan, legte die Ketten in ihren Schoß und hub an, eine Ansprache zu halten. Das Mädchen jedoch fiel ihr sogleich ins Wort und sprach: "O Mutter des Sultans, Ihr braucht mir nichts zu erklären. Da Ihr mich bereits vom Verlust meiner Freiheit unterrichtet habt, war es mir das einzige Rätsel, durch welche Dinge Sie sie mir rauben. Und", das Mädchen lächelte sie an, "ich sehe hier keinerlei Verwendung für zwei Eisenketten als die," - das Mädchen sprach mit gespieltem Ernst - "mich in die Abgründe der Sklaverei zu stoßen." Das Mädchen legte den Kopf schief und sagte leise: "Es sind schöne Ketten, die mich nun begleiten werden." "Schön und stark", sagte die Sultansmutter, "und jetzt wirst du den Schmied besuchen, der ist auch stark."
Sie stand auf und löste das Lederband, das die Füße des Mädchens zusammengehalten hatte. Sie förderte einen Schlüssel aus den Tiefen ihrer Pluderhose hervor und öffnete damit die Käfigtür. Das Mädchen schob seine Beine durch die Tür und sprang, gestützt von der Mutter des Sultans, das letzte Stück herab. Jene versicherte sich, daß die Hände des Mädchens immer noch fest zusammengebunden waren, und sprach kurz: "Folg mir !". Man durchmaß viele Räume des Palastes, gemessenen Schrittes, die Sultansmutter die Eisenketten schlenkernd vornweg und das Mädchen, mit den gefesselten Händen auf dem Rücken, dahinter. Schließlich erreichte man eine zerkratzte eisenbeschlagene Holztür, hinter der unschwer Hammerlärm zu vernehmen war. Die Mutter des Sultans öffnete die Tür, und der Lärm erstarb sofort. Der Schmied, ein vierschrötiger Mann mit einem braunen Lederschurz, hielt in der Linken ein Stück Eisen und in der rechten einen riesigen Hammer, mit dem er gerade eben noch auf das Eisenstück eingedroschen hatte.
Die Mutter des Sultans rief: "Schmied, die Deichsel hat Zeit, dem Mädchen hier müssen die Sklavenketten angelegt werden !". Sprachs, schob das Mädchen durch die Tür, legte die Ketten auf den Amboß und verschwand.
Der Schmied musterte das Mädchen, hieß es, sich auf einen Schemel vor dem Amboß niederzusetzen und sprach nur, indem er des Mädchens Füße auf den Amboß zog: "Na, schöne Dame !"
Er griff sich die längere Eisenkette, schlang die Kette um das linke Fußgelenk des Mädchens, dann langte er in einen speckigen Holzkasten und holte ein besonderes Kettenglied (das sich, wie sich gleich herausstellen sollte, mit Hilfe eines eigens dafür angefertigten Werkzeugs unverbrüchlich zuschmieden ließ) hervor, und schloß damit vorläufig die Kette.
Ebenso verfuhr er mit dem rechten Fußgelenk, zog das Werkzeug zum Zusammenschieden herauf, und mit Hilfe dieses Werkzeugs und ein paar kräftigen Hammerschlägen waren die Füße des Mädchens im Abstand von zwei Spannen durch die Kette fest und entgültig verbunden.
Nun löste er das Lederband, das noch immer die Hände auf den Rücken fesselte, Knoten für Knoten, und ließ das Mädchen sich die Handgelenke reiben und die Arme ausstrecken.
Als sich das Mädchen genügend ausgestreckt hatte, legte es seine Hände auf den Amboß, der Schmied griff sich die zweite kürzere Kette, die Verschließglieder und das Werkzeug, und schmiedete die Kette am linken und am rechten Handgelenk ebenso unverbrüchlich zu, als er es mit den Füßen getan hatte.
So waren nun auch die Hände, eine Spanne auseinander, verbunden, und des Schmiedes Werk war getan. Er warf das Werkzeug in einen Kasten zurück, stellte den Hammer in die Ecke und putzte sich mit einen Tuch, dessen einstmals blaue Farbe sich unter den Öl- und Schmutzflecken kaum mehr erahnen ließ, die riesigen Pranken ab.
Schon stand die Mutter des Sultans wieder in der Tür, warf sich in Pose und begann, wie sie es so gerne tat, eine Ansprache:
"Liebe Sklavin, die Ketten an Händen und Füßen sollen dich ständig daran gemahnen, daß du fremdem Willen ausgeliefert bist. Es soll dir aber sonst an nichts, aber auch an gar nichts fehlen. Du wirst bald feststellen, daß dich die Fußkette, die du beim Sitzen oder Liegen kaum wahrnehmen wirst, beim Gehen doch gewaltig hindern wird. Deswegen tragen alle Sklavinnen Glöckchen, und die Sänftenträger sind angehalten, auf den Klang einer Glocke herbeizueilen und die Sklavin, die sie gerufen hatte, zu befördern wie geheißen."
Dann rief sie in Richtung des Schmieds: "Ein Sänftenglöckchen !"
und, nachdem ihr der Schmied ein kleines Glöckchen überreicht hatte, gab sie
es dem Mädchen, das sofort das Glöckchen erklingen ließ. Sofort stürzten
zwei kräftige Mohren mit einer Sänfte die nächstgelegene Treppe herunter und
blieben vor der Tür des Schmiedes stehen. "Prompte Bedienung !",
lachte die frischgebackene Sklavin und klatschte in die Hände, daß ihre Handkette klirrte.
Zur
Mutter des Sultans sagte sie jedoch: "Sultansmutter, Ihr habt ein gar
treffliches Transportwesen, doch fehlt mir jedes Wissen, wohin die
Sänftenträger mich tragen könnten. Wie Ihr wißt, saß ich bisher nur im Wohnsaal
im Käfig. Wollt Ihr mir die Gelegenheit geben, mich im Palast ein
wenig umzusehen ?" "Gewiß!", antwortete die Mutter des Sultans,
und begann, froh einen Zuhörer gefunden zu haben, weitschweifig mit der
Geschichte des Hauses.
Von Süleyman dem Prächtigen war die Rede und von
Palastintrigen, von einem Sultan, der Wein und Weiber den Regierungsgeschäften
vorzog, und von einer Haremsdame, die den eigenen Sohn vor dem Sultan versteckt
hielt. Während des Redeschwalls zog die Gesellschaft, die Sultansmutter an der
Spitze und die Sklavin in ihrer Sänfte hinterher, durch Säle und
Schatzkammern, die ausstellten, was in Jahrhunderten geschaffen, erworben,
gerafft und geraubt
worden war, Porzellan aus aller Herren Länder und Edelsteine so groß wie
Kinderköpfe - selbst Barthaare des Propheten wurden irgendwo aufbewahrt.
Endlich jedoch war die Führung beendet, und die Mutter des Sultans wies die
Sänftenträger an, die Sklavin zum Badehaus zu tragen. Dem Befehl wurde
unverzüglich Folge geleistet, und binnen kurzer Zeit fand sich die
Sklavin vor einer mit geschnitzten Ornamenten reichgeschmückten Türe
wieder.
3. Kapitel, in dem sich die
Edelsteine vorstellen
Die Sklavin öffnete die Türe und trat mit vorsichtigen Schritten - Fuß vor
Fuß, da ihr die Fußketten noch ungewohnt waren, unverhofft in einen
Innenhof, in deren Mitte eine griechische Säule aufragte, die ein unseliges
Geschick in Haupteshöhe schräg abgetrennt hatte. Um diese Säule rankte sich ein
Gewächs mit großen trompetetenförmigen Blüten, die einen merkwürdig
süßen, betörendenden Duft aussandten. Die neue Sklavin hielt in ihren
Schrittchen inne und sah sich in dem Innenhof um.
Zur Rechten und zur Linken
waren kreisrunde Vertiefungen eingelassen, drei an jeder Seite, und ihr
gegenüber, von der griechischen Säule etwas verdeckt, war ein kleiner
Wasserfall zu erkennen, der aus einer grünbemoosten Grotte zu Boden plätscherte. In jedem
dieser Wasserbecken, die wohl nicht besonders tief gründeten, waren, saß ein Mädchen. Gleich zu
ihrer Rechten planschte eine Schwarzhaarige mit kurzem Haar, dahinter eine
schlanke mit langen schwarzen Haaren und noch dahinter eine blasse Rothaarige.
Zu ihrer linken sah sie ein großes braunhaariges Mädchen baden, hinter ihr
eine Blonde mit auffallend heller Haut, und schließlich ein kleines schwarzhäutiges Mädchen mit
gekräuselten Haaren. Alle warfen sich Scherzworte zu und genossen so offensichtlich ihr Bad.
Die neue Sklavin bemerkte, daß alle Mädchen an ihren Händen Sklavenketten gleich ihren
eigenen trugen; und doch waren sie ungleich ihr selbst die Ketten wohl schon
dermaßen gewohnt, daß sie die durch das Eisen unerbittlich miteinander
verbundenen Hände beim Gestikulieren bewegten, als hätten die Hände eine
andere Freiheit nie gekannt.
Als sie so stand und in dem Rund umherblickte, wurde die Sklavin mit den langen
schwarzen Haaren ihrer gewahr, nickte ihr zu, verließ ihr Becken - die neue
Sklavin bemerkte, daß auch deren Füße mit Sklavenketten ihren eigenen gleichend
verbunden waren, und die Sklavin mit den langen Haaren gleichwohl gemächlich dahinschritt,
als sei sie nie etwas anderes gewohnt - und spülte sich die langen
Haare unter dem aus der Grotte herabplätschernden Wasserfall ab.
Nun ging die Sklavin mit den langen Haaren ging auf die neue Sklavin zu, rief ihre
Mitsklavinnen herbei und sprach, als alle ihre Badebecken verlassen und sich
versammelt hatten: "Willkommen bei uns, neue Sklavin ! Wie du siehst, sind
wir alle Sklavinnen wie du. Deshalb hatten wir unsere Namen abzulegen. Doch
heißen wir nicht nach Nummern, denn wir sind keine elenden Strafgefangenen,
sondern stolze Sklavinnen im Palast des Sultans. Wir heißen nach Edelsteinen
!"
Sie wies mit ihren zusammengeketteten Händen auf die Sklavin mit den kurzen schwarzen
Haaren und stellte sie vor: "Das ist Saphir !"
Daraufhin wie sie auf die dralle blonde Sklavin: "Das ist Amethyst !".
Nun war die große braune an der Reihe: "Das ist Smaragd !". Sie
wandte den Kopf zu der blassen blonden Sklavin und sprach "Das ist
Granat !". Schlußendlich wandte sie sich dem kleinen schwarzen Mädchen
zu und stellte es vor: "Das ist unsere kleine Lapislazuli !" Als die
neue Sklavin sie fragend ansah, lachte sie und sagte "Natürlich willst du
auch wissen, wer ich bin! Ich bin Rubin! Hast du deinen Namen schon bekommen?
"
"Nein", sprach die Neue leise, "ich bin das Mädchen aus
dem Käfig". "In einen Käfig steckt man dich? Dann kann ja aus
dir noch was werden !", lachte Rubin mit den langen Haaren, streckte ihr
jedoch sogleich ihre Hände entgegen, zog die Neue hinter die Reihe der Sklavinnen
und flüsterte ihr zu: "Wir Sklavinnen haben uns alle in freiem Willen
versklavt, doch leben wir hier ein äußerst freies, ja ein zu freies Leben."
Angesichts der Sklavenketten, die vibrierten, wenn Rubin sprach, war die
neue Sklavin ob dieser Rede etwas verwundert, doch Rubin mit den langen Haaren raunte ihr weiter zu:
"Die Ketten sind wunderschön, so sie recht neu angelegt sind und uns hemmen im
Greifen und im Gehen. Doch als Gewohnheit nach Tagen und Wochen, und bei uns sind sie wahrlich schon
Gewohnheit, sind sie ein Teil von uns - und" - sie legte ihren Kopf in den
Nacken "wir dürsten nach mehr - nach wirklich fremdem Willen, der uns
bestimmt. Ein Aufenthalt in einem Käfig, wovon du sprachst, wäre jeder von uns Glück und
Erfüllung. Ein eiserner Käfig ist ein wunderbares Ding: der Käfig hält das
Vöglein gefangen und schützt es zur selben Zeit."
Die Neue legte ihre Hände in die von Rubin. Rubin, die das Zauberstückchen
kannte, zwei Paare von geketteten Händen miteinander zu verbinden (indem sie
nämlich die fremde Verbindungskette
mit der Rechten
packte, sie von hinten unter der Handfessel der eigenen linken Hand hindurchführte
und schließlich über diese Linke schob), blinzelte der Neuen zu, vollführte dieses
Kunststückchen in Blitzgeschwindigkeit und sprach zu ihr, die nun mit ihr
zusammenkettet war: "Laßt uns in unserer Verbundenheit nun gemeinsam baden !"
Beide ließen sich nun in das nächstgelegene Becken gleiten, bald tauchte Rubin
unter und zog mit ihren Ketten die Neue mit, und bald hielt diese entgegen und
tat desgleichen, und so war binnen Kürze ein herrlich Necken, Scherzen und
Prusten im Gange, das die anderen Sklavinnen von Herzen schürten, indem sie
eiskaltes Wasser vom Wasserfall auf die beiden spritzten, sobald immer sie aus
den aufgewühlten Fluten auftauchten.
Plötzlich jedoch erklang von Ferne ein Gong, und alle erstarrten in ihren
Bewegungen. Rubin befreite die Neue ebenso schnell von sich, wie sie sie mit
sich verbunden hatte, und sprach: "Das ist der Gong der Sultansmutter! Wir
werden dir trockene Gewänder anlegen, und du wirst dich bei ihr im Wohnsaal
einfinden !" So geschah es, und kurze Zeit später - die neue Sklavin hatte
keine Lust auf Sänftenträger - trippelte sie in den Wohnsaal, wo sie die
Sultansmutter ihrer harrend (und vielleicht noch mehr der
Möglichkeit, eine Rede halten zu können) vorfand.
4. Kapitel, in dem die Sklavin
vor Versuchungen geschützt wird
Die Mutter des Sultans stand, die Hände in die Hüften gestemmt, im Wohnsaal und hub sofort an, zu sprechen: "Liebe Sklavin, es ist guter Brauch hier im Palaste, sich eines Tages in der Woche von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang der Nahrung zu enthalten und absolutes Schweigen zu bewahren. Um die Sklavinnen vor den Versuchungen fernzuhalten, tragen sie an diesem Tage kunstvoll gefertigte Masken aus feinstem Leder, die sie am Essen und Sprechen hindern. Ich werde dich zum Schuster geleiten, auf daß er auch dir eine dieser Masken anfertige. Daraufhin wirst du dein Schlafgemach beziehen; die Sänftenträger wissen Bescheid."
Und die Sultansmutter führte das Mädchen zu einer hölzernen lederbespannten Türe, unweit der des Schmiedes, öffnete sie und schob die Sklavin hinein. Sie befand sich nun in einem Raume, dessen Zweck sich unschwer erschloß. Auf Tischen und Werkbänken, am Boden und in den Schränken lagen ungezählte Stücke aus Leder herum, grobe Streifen aus dickem Rindsleder, Flicken aus Schweins- bis hin zu kleinen Stückchen aus feinstem Lammleder. Auf den Werkbänken lagen Ahlen verschiedenster Stärken, Schusterhämmer, Ösen und Nieten.
In der Mitte der Werkstatt verband eine dicke eiserne Stange Boden und Decke. Die Stange war durchbrochen durch einige schmale und hohe Schlitze in verschiedenen Höhen. Durch die drei untersten Schlitze waren lederne Gurte mit Schnallen gezogen, und die kurze Kette, die in Höhe des Halses angeschmiedet war und an der ein ledernes Halsband befestigt war, räumte auch den letzten Zweifel an der Bestimmung dieser Stange beiseite.
Jetzt bemerkte die Sklavin auch den Schuster, der auf seinem Drehschemel vor einer der Werkbänke saß; er trug eine speckige ledernen Schürze, aus deren Taschen verschiedene Schusterwerkzeuge hervorlugten. Der Schuster stand von seinem Schemel auf und knurrte: "Darf ich Sie zur Anprobe bitten, verehrte Sklavin ?" Er deutete auf die Stange, und das Mädchen stellte sich so eng an diese, wie es nur konnte.
Der Schuster nahm einen Gurt aus einem Schrank und schnallte die Sklavin an ihrem Bauch an die Stange fest. Nun kniete er sich auf den Boden, ergriff den Gurt aus dem untersten Schlitz, führte ihn zwischen den Füßen der Sklavin nach vorne, schlang die eine Hälfte um das linke, die andere um das rechten Bein nach hinten, zog das Ende durch die Schnalle und befestigte es. Mit dem zweituntersten Gurt wurden in nämlicher Weise mit ihre Knien, und mit dem dritten mit ihren Schenkeln verfahren.
Der Schuster holte sich einen weiteren Gurt, zog die Ellenbogen der Sklavin hinter die Stange, legte diesen Gurt um die Oberarme und zog vorsichtig zu, bis sich die Handkette spannte. Zu guter Letzt wurde der Sklavin das Halsband angelegt, die sich nunmehr keinen Fingerbreit mehr rühren konnte, und der Schuster begann frohgemut an seiner Werkbank sein Schaffen. Er hämmerte, knipste, schnitt das Leder und schlug Ösen, und, obgleich die Sklavin nicht begriff, was genau er da schuf, war sie doch tief beeindruckt von dem Eifer des Schusters.
Schließlich, die Hände waren ihr schon etwas erlahmt, trat er auf sie zu, lockerte den Gurt, der ihre Ellenbogen zusammenband, etwas, hieß sie ihren Mund zu öffnen und zeigte ihr sein Werk. Ein Netz aus Riemchen feinstem Lammleders war kunstvoll zu einer Maske verfertigt, die er ihr sofort anzulegen begann.
Die Maske umschloß ihren zarten Kopf vollkommen, und als der Schuster einen Riemen im Nacken enger und enger zog, spannten sich die feinen Riemchen und drückten einen kleinen Knebel in ihren Mund, zu klein, um das Schlucken zu verhindern, doch zu groß, um Versuchungen wie Essen oder Sprechen nachgeben zu können. Der Schuster schien recht zufrieden mit seinem Werk, doch als er genauer den Sitz seiner Riemchen prüfte, war ihm dieses zu straff und jenes zu locker, und so holte er ein Stück Schusterkreide aus seiner Schürze, markierte alles, was ihm mißfiel, nahm der Sklavin die Maske wieder ab, setzte sich an die Werkbank, beugte sich über sein Werk und schnipselte und knipste, und, als er endlich der Meinung war, nichts mehr verbessern zu können, wurde die Anprobe wiederholt.
Jetzt aber war der Schuster wirklich zufrieden, schloß den Riemen im Nacken
mit einem winzigen Schlüsselchen ab und knurrte, indem er den Ellenbogengurt
wieder fester anzog: "Verehrteste Sklavin,
eine geschlagene Stunde werden Sie dieses Meisterwerk zur Probe nun tragen.
Bereitet es Ihren keine Beschwerden, so können Sie es getrost und unbesorgt
auch tragen von Sonnenauf- bis -untergang an den Tagen, an denen es Ihnen auferlegt ist!"
Und
tatsächlich, als nach einer geschlagenen Stunde der Schuster die Sklavin von seinem Werk
befreite, war diese des Lobes voll und versprach ihm, wann immer sie
Schusterwerk
benötigte, keinem anderen den Vorzug zu geben.
Dies war Balsam auf die oft mit Füßen getretene Ehre des Schusters, der knurrte: "Ihr wißt die Leistung des Handwerks wahrlich zu würdigen! Habt Dank! Diese Maske ist nun Euer !" Er löste die Riemen der Sklavin, die sie eng an die Stange gebunden hatten, überreichte ihr mit feierlicher Miene sein Werk, indem er sich feierlich vor der Sklavin verneigte.
Das Mädchen verbeugte sich ebenfalls, verließ kettchenklirrend die Werkstatt, ließ sich
sofort mit einer
Sänfte in sein Schlafgemach bringen, aus dem eine ältere dicke Aufwärterin
heraushuschte, als es die Türe öffnete, und setzte sich, nachdem es die Türe
hinter sich zugezogen hatte, nun selbst die
Riemchenmaske auf. Es war wahrlich ein Meisterwerk, das seinen Träger eng
umschloß und ihm das trutzige Gefühl gab, nun wie ein Ritter gewappnet zu sein
gegen alle Fährnisse der Welt. In der ledernen Haube begann die Sklavin
nun, ihr Schlafgemach zu betrachten.
Ihr Lager war groß, recht schlicht gezimmert und nach drei Seiten offen. Nur am
Kopfende bildete eine kunstreiche Einlegearbeit aus weißen, braunen und
schwarzen Hölzern einen Abschluß, und, als die Sklavin die Arbeit näher
betrachtete, sah sie ein Mosaik, das eigentlich aus auseinandergezogen
Halbkreisen bestand, außen noch recht grob und nach innen immer feiner werdend,
dem fernen Betrachter jedoch wie ein von der Mitte ausgehender Strahlenkranz
erschien, und sie bemerkte plötzlich, daß den Mittelpunkt all dieser Kreise - oder
das Innere des Strahlenkranzes - ein in das Holz eingelassener eiserner Ring
bildete. Sie hatte noch den Klang der Worte der Sultansmutter im Ohr, die zu ihr
gesprochen hatte: "Ich fürchtete
schon, du sträubtest dich, wenn dich die anderen Sklavinnen an dein Lager
anketten", und ein feines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Nein, sie
würde sich nicht sträuben, wenn Rubin, Amethyst, Saphir, Smaragd, Granat oder
die kleine Lapislazuli sie von sich selbst befreiten.
Herren müssen ihre Tatkraft beweisen, haben ihre Träume fortzuwerfen und sich
den Kopf über wichtige und unwichtige Dinge, gefährliche Gegner und widrige
Umstände zu zerbrechen, auf den Tisch zu schlagen und Diener anzuherrschen, doch
die angekettete Sklavin ist allein bei sich und ihren Träumen...
Sie hatte bei diesen Gedanken die Augen geschlossen, doch nun gewann ihre
Neugier wieder die Oberhand, und so fuhr sie fort, ihr Gemach weiter zu
untersuchen. Neben dem Lager stand ein ebenfalls mit Einlegearbeiten reichgeschmücktes
Tischlein, wohl von demselben Künstler geschaffen, der auch das Kopfende
ausgeführt hatte, mit einem Schublädchen für ihre unverzichtbaren Dinge. Oben
auf dem Tischlein jedoch stand ein emaillenes Kesselchen, und als sie, die
Neugier ließ sich ja nicht bezwingen, das Deckelchen dieses Kesselchens
öffnete, lagen darin eine Unzahl großer und kleiner, frischglänzender und mit
der Patina des Alters versehene Schlösser und Schlüssel.
Als sie in das Kesselchen blickte und sich vorzustellen versuchte, welche
Schlösser sie künftig zum Verharren im Lager oder zum Stehen an einer grobgemauerten
Wand, zum Kauern in einem - diese Vorstellung bereitete ihr einen sehnsüchtigen
Grusel - dunklen
Verliese, oder, dies erschien ihr nicht minder angenehm, zur Zurschaustellung in aller
Öffentlichkeit zwingen würden, ertönte wieder der Klang des Gongs; die
Sklavin riß sich von ihren Träumen los und schlug den Weg zum Wohnsaal des
Sultans ein.
5. Kapitel, in dem gefeiert wird, und endlich die
neue Sklavin zur Ruhe kommt
Dort war an dem großen Tisch bereits zum abendlichen Mahl gedeckt, und nach
und nach fanden sich all ihre Mitsklavinnen ein. Jede erkannte den ihr
zugewiesenen Platz, denn neben jedem Gedeck stand ein kunstvoll gestecktes
farbiges Tuch, rot für Rubin, hellblau für Amethyst, rotbraun für Granat,
tiefblau für Saphir, grünblau für Smaragd, hellblau für Lapislazuli, und nahm
ihn ein.
Die Neue wartete, bis auch die Sultansmutter eingetroffen war und sich
majestätisch auf ihrem Platze an der Stirnseite - ein schwarzes Tuch stand dort
- niedergelassen hatte. Nun blieb nur noch ein Platz leer, den ein weißes Tuch
schmückte. Die Mutter des Sultansmutter deutete mit einer gravitätischen
Handbewegung an, die Neue sollte diesen Platz besetzen, und so setzte sie sich
dort nieder.
Der Tisch war vollgestellt mit Silberplatten, auf denen die köstlichsten
Vorspeisen dem Verzehr harrten, gefüllte Weinblätter, in Olivenöl gebratene
Tomaten, Rüben, Zucchini, gefüllte Peperoni, grüne und schwarze Oliven in
allen Größen, und die angerichteten Auberginen, von denen die Sage ging, ein
Imam sei von ihnen überaus hingerissen gewesen und ihnen deshalb den Namen gab:
"Der Imam war verzückt." Auch wartete dunkelroter Wein in mehreren
Flaschen sehnsüchtig darauf, in die neben jedem Platze bereitgestellten
kristallenen Gläser geleert zu werden.
Die Mutter des Sultans begann sich von den
Vorspeisen auf ihren Teller zu häufen und sich Wein einzuschenken, und auf dieses Zeichen hin griffen die
Sklavinnen ebenfalls zu. Die Neue war noch etwas ungeschickt im Umgang mit den
Sklavenketten an ihren Händen und so geschah es nicht nur einmal, daß diese
Ketten in die Vorspeisen gerieten und diese gehörig durcheinander brachten. Doch
ihre Nachbarinnen, Rubin und Saphir, lächelten jedesmal milde und säuberten
ihre Kette mit ihren roten und blauen Tüchern nach jedem Ungeschick.
Nachdem die Tischgesellschaft sich genug gelabt hatte, wurden die Reste
abgetragen, und der Speisenbringer erschien mit einem fahrbaren Wägelchen, auf
dem in einer großen Platte dampfende Lammspieße lagen, die über dem Feuer
gebraten worden waren. Er schob das Wägelchen zur Tischgesellschaft hin,
übergoß die Spieße mit einer Flüssigkeit, die er in einer silbernen Kanne
mitgebracht hatte, und zündete sie an. Der Feuerschein zauberte Fratzen aus den
Schatten der Sklavinnen, und besonders der Schatten der Sultansmutter zuckte mal
hierhin und mal dahin wie ein gefährliches Ungeheuer, und als das Feuer
erloschen war, gaben alle durch "Ah" und "Oh" ihrer
Begeisterung Ausdruck. Nur der Mutter des Sultans war die Erleichterung darüber
anzumerken, daß der für seine Tolpatschigkeit bekannte Speisenbringer dies
Kunststück ohne Pannen zuwege gebracht hatte. Der Speisenbringer verteilte die
Spieße, nicht ohne jedesmal ein "Vorsicht, heiß!" von sich zu geben,
und das Mahl nahm seinen Fortgang.
Der Speisenbringer hielt sich im Hintergrund, bis auch die Letzte ihr Mahl
beendet oder ermattet ihren Teller zur Seite geschoben hatte, trug ab und schob
sein Wägelchen hinaus. Nach kurzer Zeit erschienen er und sein Wägelchen
wieder, das diesmal über und über mit süßen und bunten Naschereien bedeckt
war, die er nach Zuruf an die Tafelrunde verteilte.
Am nächsten Morgen erwachte die neue Sklavin vom Schlaf erfrischt, als auch
schon die blonde Amethyst ihr Schlafgemach betrat, ein winziges silbernes
Tablett in der Linken, auf dem sich ein kleines Tulpenglas mit Tee und der
eiserne Schlüssel befand, den Rubin in der Nacht zuvor mitgenommen hatte.
Amethyst stellte das Tablett neben das Kesselchen auf den Nachttisch , gab der
Neuen einen tüchtigen Gutenmorgenkuß auf die Wange und öffnete mit ihrem
Schlüssel das Schloß, das die Schlafende an ihre Bettstatt gekettet hatte. Die
Neue streckte ihre Arme aus, setzte sich auf die Kante ihres Bettes, und
Amethyst gab ihr das Teeglas, das sie Schlückchen für Schlückchen leerte.
Dermaßen gestärkt folgte sie Amethyst in das Badegemach, in dem sich alle
anderen Sklavinnen bereits den Schlaf aus den Augen wuschen und sich für den
Tag bereiteten.
Zur frühen Nachmittagsstunde war wieder der Gong der Sultansmutter zu hören,
und gehorsam machte sich die Neue auf zum Wohnsaal. Dort stand die Mutter des
Sultans neben der weitgeöffneten Tür des Käfigs und flötete: "Mein
Vögelchen ist genug geflogen, nun geht es wieder in den Käfig!". Sie
hieß die neue Sklavin sich auf den Boden des Saales zu setzen und die Hände auf den
Rücken zu legen. Dies erwies sich der Sklavenketten wegen als nicht einfach,
doch als die Neue Fuß für Fuß über die Handkette gestiegen und schließlich
ihr Hinterteil überwunden hatte, lagen ihre Hände auf dem Rücken wie
befohlen.
Die Mutter des Sultans nahm einen ledernes Band aus dem Käfig - das nämliche,
das die Sklavin bereits getragen hatte, als sie angeliefert worden war - , schob ihr die Handkette an den Gelenken ein
wenig hoch und fesselte mit dem Lederband ihre Hände hinter dem Rücken
zusammen. Nun ergriff sie eine riesige Handglocke, einer Schiffsglocke nicht
unähnlich und ließ sie einen Schlag tun. Die Türe knallte kurz darauf auf,
und ein - wie es schien - zumindest an den Schultern ebenso breiter wie hoher
Eunuch stampfte herein. Die Sultansmutter befahl dem Schrank, die Sklavin in den
Käfig zu heben, er hob sie so leicht hinan, als sei sie ein seidenes Kissen, stapfte
wieder hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Die Sklavin versuchte, es
sich so bequem zu machen, wie es in einem engen Käfig mit hinter dem
Rücken zusammengebundenen Händen nur irgend möglich war. Schließlich wurden ihre
Füße fest an eine Käfigstange gebunden, dann hatte die Mutter des Sultans ihr
Vögelchen im Käfig wieder und wars zufrieden.
Fast, denn zumindest eine kurze Rede mußte noch gehalten werden. Sie war doch
nicht so kurz und lautete, zusammengefaßt: "Mein Vögelchen, heute ist
Geschichtentag!"
Nun läutete die Mutter des Sultans wieder, diesmal mit ihrem kleinsten
Glöcklein, und befahl dem kleinen
Mohr, der sofort zur Stelle war, den Geschichtenerzähler zu holen.
Nach geraumer Zeit öffnete sich langsam die Saaltür und ein buckliges Männchen schlurfte heran. Es trug schiefgetretene Pantoffeln und einen Rock von nicht mehr definierbarer Farbe. Auf der Nasenspitze saß eine horngeränderte Brille, die seinen Augen etwas glotzend Kuhäugiges verlieh.
Die Mutter des Sultans sprach zum Mädchen: „Dies ist der beste und berühmteste Geschichtenerzähler aller Geschichtenerzähler des Sultans !" und zum Geschichtenerzähler gewandt, „Du siehst, meine Sklavin ist in diesem Käfig und an ihn gebunden, sie kann sich kaum bewegen und möchte sich etwas zerstreuen."
Der Geschichtenerzähler ruckelte sich einen Diwan an den Käfig und setzte sich. Das Mädchen sah den Geschichtenerzähler an und fragte: „Wieviele Geschichtenerzähler hat denn der Sultan ?" „Nur mich", antwortete der Alte darauf stolz, räusperte sich und hub an zu erzählen:
"Eine sehr alte Geschichte werde ich von mir geben, verehrte Sklavin der Mutter des Sultans, die Geschichte von Perseus und Andromeda.
Perseus war Sohn des Göttervaters Zeus und der Danae, und vollbrachte bereits in jungen Jahren große Taten. Er empfing von den Graien, den Töchtern des Phorkys, zwei silberne Schwingen, die es ihm vermochten, hoch in den Lüften zu schweben, hieb der schrecklichen Gorgone, Medusa, ihr vielzüngiges Natternhaupt ab und ließ schließlich den Atlas, der ihm die Gastfreundschaft versagte, versteinern.
Als dieser nach allen Richtungen ins Unermeßliche gewachsen war und das gesamte Firmament mit all seinen Gestirnen sich auf ihn legte, war die Nacht sternenklar und so windstill, als hätte Äolus, der Herr über alle Winde, sein Gesinde eingesperrt im allertiefsten Kerker.
Und als der Morgenstern strahlend hell am Firmament erschien, band sich Perseus wieder die Flügel um, schnallte sich sein Schwert an, stieg auf und glitt auf seinen Schwingen durch die Morgenluft dahin.
Über zahlreichen Länder und Gegenden weit unten schwebte er hinweg und über das kaum gekräuselte Meer, bis er die Küste Äthiopiens entdeckte, des Landes des Cepheus.
Wie ein großer Vogel ließ er sich in weiten Bögen tiefer tragen, als er plötzlich an den schroffen Klippen eine Statue aus weißem Marmor erblickte - die Statue einer Jungfrau, wie er sie schöner noch nicht gesehen hatte.
Er lenkte seinen Flug der Statue entgegen - er hatte sie schon bald erreicht -, da bewegte ein Lufthauch ihr Haupthaar, und Perseus erkannte: nicht eine Statue, eine lebendige Jungfrau stand an den Klippen. Ihre Arme waren ihr auf dem Rücken mit starken Ketten an den Felsen geschmiedet, und ihre Augen waren tränenübergossen. Perseus starrte die gefesselte Schöne an, und, ohne es zu wollen, durchdrang Liebesglut sein Herz und seine Seele. Er war so hingerissen von dieser schönen Gestalt, daß er es kurz sogar vergaß, seine Schwingen zu rühren und um ein Haar wie ein Stein zu Boden gefallen wäre.
Durch kurz vor dem Wasser flatterte er heftig mit seinen Flügeln, landete etwas unsanft in einer riesigen Gischt, stapfte an Land zu der Schönen, sog die frische Meeresluft in seine Lungen und sprach sie an: «Nicht diese Ketten verdienst du, sondern die, mit deren Hilfe sich Liebende in ihrem Begehren verbinden ! Verrate mir bitte deinen Namen und deine Herkunft und, warum du Fesseln trägst !» Jene schwieg zuerst, da sie es als Jungfrau nicht wagte, mit einem fremden Mann zu sprechen. Sie hätte sich die Hände schamhaft vors Antlitz gehalten, wären ihre Arme frei, und sie nicht angekettet gewesen. Die Augen jedoch - dazu war sie noch imstande - flossen über von herabstürzenden Tränen.
Als er immer inständiger in sie drang, sprach sie - sie wollte ja den Eindruck vermeiden, als hätte eigenes Verschulden sie in diese Lage gebracht - zu ihm, nannte ihren Namen, Andromeda, und berichtete, sie sei die Tochter der Cassiopeia und des Cepheus, der Königin und des Königs von Äthiopien, und, wie stolz ihre Mutter auf ihre makellose Schönheit gewesen sei und, damit prahlend, schöner zu sein als die Töchter des Meergottes Nereus, die Nereiden erzürnt hätte, die wiederum ihren Vater Nereus soweit gebracht hätten, sein gräßlichstes und gefährlichstes Meeresungeheuer auszusenden, um ihrem Volk Untergang und Verderben zu bringen, und ein Orakelspruch weissagte, nur der Opfertod einer königlichen Jungfrau könne das Ungeheuer davon abhalten, sein grausiges Werk zu verrichten. Und als die Jungfrau noch in ihrer Erzählung war, brauste das Meer auf, eine riesige Welle spülte sich über den Strand und ein schrecklich anzusehendes Untier näherte sich rasch den Klippen.
Die Jungfrau schrie auf, alles Mitleid der Welt verdienend, doch Perseus sprach mit fester Stimme zu ihr: «Androma, wisse, wen Du vor dir hast. Ich bin Perseus, der Sohn des Zeus und der Danae, die der Göttervater einst als Goldregen befruchtete in ihrem Verlies. Derjenige Perseus bin ich, der die Medusa mit ihren Haaren aus Giftschlangen überwand, derjenige Perseus, der es wagte, auf Schwingen sich durch die Lüfte tragen zu lassen und der den Atlas versteinerte. Deine Eltern würden mich wohl jedem Schwiegersohn vorziehen. Du mußt mir - ich werde mir noch viele Verdienste erwerben - geloben, die Meine zu werden, und ich werde Dich retten aus dieser Gefahr.»
In dieser Lage war es nicht angebracht, lange zu feilschen, und - der ungestüme und mutige Perseus gefiel der Königstochter ja außerordentlich - so gab sie ihm das Jawort. Keine Zeit war mehr zu verlieren: das Ungeheuer pflügte mit unheimlicher Kraft durchs Wasser und war nur noch einen Steinwurf weit vom Ufer entfernt, als Perseus - die Morgensonne hatte die Schwingen getrocknet - sich vom Boden abstieß und dem Untier entgegenflog.
Kaum war der Schatten des Perseus auf dem Meere zu sehen, schnappte das Monstrum danach und fletschte seine gräßlichen langen und spitzen Zähne. Perseus stürzte sich von oben herab auf das Ungeheuer, wie der Adler sich auf die Giftschlange stürzt und ihr seine Krallen in die Flanken schlägt, um sich vor den tödlichen Zähnen zu schützen, zog sein Schwert, stieß zu und glaubte, das gräßliche Wesen mit der Waffe zu durchbohren - doch es war, als versuchte er, ein Loch in einen Regenbogen zu schlagen.
Das Untier glitt unverletzt zur Seite, und Perseus mußte erkennen: das unheimliche Wesen war, von Haß, Neid und Mißgunst geboren, nicht von dieser Welt aus Fleisch und Blut. Der Kampf war schon verloren, ehe er begonnen hatte. Perseus, von Grauen geschüttelt, flog an Land, stellte sich vor seine Geliebte, zog sein Schwert mit der Linken und hoffte bei sich nur, als Mann aufrecht im Kampfe zu sterben und durch sein Opfer Andromeda zu retten. Doch als er als letzten Abschiedsgruß die Rechte seiner Liebsten entgegenstreckte und ihr die Brust berührte, erhob sich schauerliches Geheul aus dem Maule des Ungeheuers, denn selbstlose Liebe war das Ende seines Seinszweckes und so sein Verderben. Es erhob sich einen letzten wilden Schrei ausstoßend aus dem Wasser, schlug wieder hart auf der Gischt auf und zerfloß in tausende und abertausende Klümpchen, die das Meer bald unter sich begrub.
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Perseus jedoch wandte, als die Gefahr sich so unverhofft in Nichts aufgelöst hatte, sich seiner Geliebte zu und trocknete ihr die Tränen mit seiner Zunge. Das Schwert schlug, mit kräftigen Hieben geführt, die Kette aus dem Felsen, und Perseus führte die nun unendlich frohe und glückliche Andromeda in ihren Fesseln den langen Weg heim zu ihrem Königshof.
Viele lange, frohe und erlebnisreiche Jahre verlebten sie zusammen, und als die Zeit kam, dem Irdischen Lebewohl zu sagen, fanden Perseus und Andromeda sich, für immer vereint und glücklich, als leuchtende Sternbilder am Himmelsfirmament wieder, aneinander gebunden in alle Ewigkeit, und künden jedem, der zu ihnen aufschaut, von der Kraft der Liebe."
Als der Geschichtenerzähler geendet hatte, schwieg das Mädchen lange, lächelte ihn schließlich an und sprach: "Ich würde Ihnen ja gerne tosend Beifall klatschen, mein Lieber, aber wie Sie sehen, hindert mich ein ledernes Band. Auch mit den Füßen kann ich nicht vor Begeisterung trampeln, Sie sehen das ja auch. Lassen Sie mich Ihnen meine Wertschätzung anders ausdrücken." Und das Mädchen beugte sich langsam nach vorne, bis die Stirn die Knie berührten und verharrte in dieser Stellung. Der Geschichtenerzähler war darob sehr gerührt, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, verbeugte sich nun selbst und schlurfte aus dem Saal.
7. Kapitel, in dem eine Sklavin ihren Kopf durchsetzt.
Es war noch Nacht, als das Mädchen erwachte, da man von fern die Müezzins rufen hörte. Als es sich im Bett umdrehte und die Kette, die seine Hände mit der Wand verband, klirrte, wurde es gewahr, wie eine der Sklavinnen die Türe öffnete, das Schlafgemach betrat, ihm die Wange streichelte und mit einem Schlüsselchen sowohl das Schloß an der Wand als auch das bei seinen Händen öffnete, die Schlösser zu sich nahm, und so leise, wie sie gekommen war, das Zimmer wieder verließ und hinter sich die Türe schloß.
Als das Mädchen, noch schlaftrunken, bemerkte, daß die Kette, die es an der
Wand festgehalten hatte, noch neben ihm lag, kam ihm ein Gedanke, die es sofort
als zu phantastisch verwarf. Doch es loszulassen, diesen Gefallen tat der
Gedanke ihm nicht.
Schließlich setzte sich das Mädchen auf die Bettkante und sprach zu sich
selbst:
"Die Ketten an Händen und Füßen sollen mich also immerzu daran erinnern, fremdem Willen unterworfen zu sein? Was soll mich denn daran hindern, mich selbst ständig daran zu erinnern, einen eigenen Willen zu besitzen und meinem eigenen Willen unterworfen zu sein?
Und als es von ferne das Hämmern und Klopfen des Schmiedes vernahm, war urplötzlich der Entschluß gefaßt. Leise, ganz leise schob das Mädchen die Kette, die neben ihm im Bette lag und noch immer die Wärme seines eigenen Körpers verströmte, zu einem Häuflein zusammen, packte das Häuflein mit beiden Händen und schlich sich aus dem Schlafgemach. Der Palast lag noch in tiefem Schlummer, und das Mädchen durchquerte mit vorsichtigen Schritten ein dämmriges Gemach nach dem anderen, immer dem Klopfen des Schmiedes entgegen.
Als es vor dessen hölzernen Türe stand, pochte es in seiner Brust fast noch lauter als das Pochen des Schmiedes, doch nach einer Weile nahm es sich ein Herz, drückte die Tür auf und betrat die Schmiede.
Wie jüngst erstarb plötzlich jeglicher Lärm, der Schmied stellte das eiserne Gitter, das zu fertigen er im Begriff stand, beiseite und blickte das Mädchen fragend an. Das Mädchen sprach keinen Ton, sondern legte die Kette, die es in seinen Händen trug, auf den Amboß und seine Hände dazu.
Schweigend holte der Schmied sein Werkzeug und ein Schließglied aus dem hölzernen Kasten, zog die Hände das Mädchens auseinander, griff sich die Mitte der Kette, die die Hände verband, und schmiedete die neue Kette daran. Das Mädchen ergriff das freie Ende der neuen Kette mit beiden Händen und deutete mit den Daumen auf seinen Hals. "Wart einen Moment!", brachte der Schmied heraus, kramte in seiner Werkstatt umher und warf schließlich ein ledernes Kissen auf den Haufen von Eisenspänen, der sich wohl über mehrere Schmiedgenerationen hinweg vor dem Amboß breitgemacht hatte. Das Mädchen kniete sich auf das lederne Kissen, drehte den Kopf zur Seite, legte ihn auf den Amboß und schloß die Augen.
Der Schmied holte von neuem ein Schließglied aus dem Holzkasten, schlang dem Mädchen die neue Kette eng um den Hals, verschloß sie und schmiedete sie zu.
Nachdem seine Arbeit vollendet und dem Mädchen der Hals mit den Händen verbunden war, drückte sich das Mädchen am Amboß hoch, hauchte ein Dankeschön und ging im Dämmerlicht mit kleinen Schritten und so leise, wie es gekommen war, Gemach für Gemach zurück, legte sich schließlich auf sein Lager, zog sich die Decke über den Kopf und schlief glücklich und zufrieden ein.
8. Kapitel, in dem eine Sklavin bestraft wird und dadurch nur stärker wird
Als sich das Mädchen später zur Käfigstunde - so nannte es für sich die Zeit, die es tagtäglich bei der Mutter des Sultans erschien, um sich in den Käfig sperren und unterhalten zu lassen - mit einer Sänfte zum Wohnsaal des Sultans bringen ließ und dort sich anschickte, mit ihrer neuen Kette zum Käfig zu gelangen, war die Mutter des Sultans baß vor Erstaunen, gebot Einhalt und sprach: "Ich bewundere Euren Mut, erstaunliche Sklavin, Euren Willen durchzusetzen, doch, wie Ihr verstehen werdet, kann ich eigenmächtiges Handeln in meinem Palast keinesfalls dulden! Ein Rechtsgelehrter weilt in meinen Gemächern, er wird Euch aufklären über die Palastordnung und über die Strafe, die Euch zuteil werden wird."
Sie läutete und wies den kleinen Mohren, der daraufhin erschien, an, den Rechtsgelehrten in den Wohnsaal zu bitten. Und tatsächlich trat wenig später ein Herr im Gehrock in den Saal, eine große eckige Büchertasche in der einen und einen Spazierstock mit silbernem Knauf in der anderen Hand. Er stellte die Büchertasche auf den großen Tisch in der Ecke, und als die Sultansmutter ihn über die Untat des Mädchens ins Benehmen setzte, hub er an zu sprechen: "Verehrte Sklavin, Ihr habt gegen die Palastordnung verstoßen, die eigenmächtiges Handeln den Sklaven ausdrücklich verbietet. Doch", er wandte sich zur Sultansmutter und der Knauf seines Stockes pochte im Takt auf dem Tisch, "Mutter des Sultans, Ihr setzt die Sklaven nicht in Kenntnis dieser Ordnung, wie es denn Ihre Pflicht wäre. Schon seit langem, Verehrteste, bot ich mich an, eben dieser Pflicht genüge zu tun - ein angemessenes Honorar vorausgesetzt -, doch ist nichts geschehen".
Jetzt wandte er sich wieder an die Sklavin und sprach zu ihr: "Nehmt mich zu Eurem Rechtsbeistand, und - ein angemessenes Honorar vorausgesetzt - es wird Euch nichts geschehen!". Doch die Sklavin rief: "Sagt mir doch erst, gelehrter Herr, was mich denn erwartet !" Der Gelehrte sprach: "Ihr müßt geraume Zeit unbeweglich im engsten Verließ schmachten", er senkte die Stimme, "vor und nach der Züchtigung durch Eure Kameradinnen. Jede hat zwei Schläge." Doch das Mädchen war unverdrossen und rief: "Das will ich gerne auf mich nehmen!" Der Rechtsgelehrte blickte sehr erstaunt, doch die Sklavin fuhr fort: "Schon lange träumte ich davon, im Verließ zu schmachten, hinter Kerkermauern, und, da dies nun meine Strafe ist, will sich sie gerne tragen." Der Gelehrte blickte sehr ungläubig und verließ kopfschüttelnd den Saal.
Die Mutter des Sultans sprach nun zu ihrer Sklavin: "Nun denn, laßt uns keine Zeit mehr verlieren!" Sie wies den kleinen Mohren an, den Kerkermeister zu holen, und bald darauf stand ein riesiger Schwarzer im Zimmer, der größte, den die Sklavin glaubte je gesehen zu haben, in der einen Hand eine schwere dunkle Eisenkette, an der ein eiserner Halsring angeschmiedet war, und in der anderen ein großes altertümliches Schloß mit Schlüssel.
Die Sultansmutter wies ihn an, aus der Sklavin eine Gefangene zu machen und sagte: "Doppelte Kerkerhaft mit Züchtigung!". Der Riese klappte den Halsring auf, legte ihn um den Hals des Mädchens und verschloß ihn mit dem alten Schloß. Er ergriff das Ende der Kette und zog die Sklavin aus dem Saal, die ihm mit kleinen Schritten folgte. Er schlug den Weg zur Werkstatt des Schmiedes ein, der auf Geheiß des Kerkermeisters die Sklavenketten an Händen und Füßen des Mädchens abschlug. Man schritt nun viele weite und enge Gänge entlang, der Riese mit der Kette vornweg, die Delinquentin, die fußkettenlos nun besser laufen konnte, am Halsring hinterdrein. Schließlich gelangte man an eine große gemauerte Säule, in die eine eiserne Türe eingelassen war. Der Kerkermeister schloß die eiserne Tür auf und, wie er sie öffnete, gab sie ächzend den Blick frei auf eine enge Wendeltreppe, die in die Tiefe führte.
Der Kerkermeister stieg gebückt in das durch ein paar wenige flackernde Kerzen nur mäßig erhellte Halbdunkel hinab, die Delinquentin an der Kette notgedrungen hinterdrein. Nach vielen Windungen endete die Treppe schließlich in einem schmalen Gang, den man weiter entlangschritt. Links und rechts waren eiserne Türen, die der Kerkermeister jedoch achtlos hinter sich ließ. Der Gang machte eine scharfe Biegung, und als man in sie hineinschritt, endete er an einer groben Mauer.
Neben dieser Mauer war ein mächtiges, durch dicke ineinander verflochtene Eisenstäbe gebildetes
Gitter in die Wand eingelassen, und als der Kerkermeister das Gitter aufschloß und öffnete, gewahrte
das Mädchen dahinter ein winziges Gelaß, den ein großer, speckiger heller Steinblock
fast zur Gänze ausfüllte. Der Block war geformt wie ein ungeschlachter Lehnstuhl, doch statt der
gepolsterten Armlehnen waren uralte,
mattglänzende kurze Ketten in den Stein eingelassen. Statt eines Schemels befanden
sich zwei gleichermaßen alte Ketten am Fuße des Stuhls, kurz über dem Boden, und eine letzte
Kette schließlich statt eines
Kopfpolsters an der steinernen Lehne.
Der Sklavin gefror fast das Blut in den Adern, als sie wahrnahm, wie in der
Sitzfläche des steinernen Stuhles ein dunkles Loch gähnte, denn dies verhieß
nichts anderes, als daß der Stuhl für einen wirklich längeren Aufenthalt
geschaffen worden war.
Der Kerkermeister löste das Halseisen, hieß die Delinquentin sich niederzulassen, und, nachdem er sie mit Hilfe der Ketten an Händen und Füßen eng an den Felsen angeschlossen hatte und auch ihren Hals nicht vergaß, fiel das eiserne Gitter krachend ins Schloß. Der Kerkermeister drehte den Schlüssel zweimal um und ließ sie alleine.
Nachdem sich die Gefangene eine Zeitlang der Enge ihrer eisernen Banden versichert hatte, versuchte sie sich vorzustellen, wer durch all die Jahrhunderte hindurch, die das Verließ wohl schon bestand, an ihrem Platze schon geschmachtet und den Stein geglättet hatte, ein rechtmäßiger Sultan vielleicht, den sein ruchloser Bruder in Kerkerbande warf, um selbst die Freuden der Macht zu genießen, ein Freiheitskämpfer vielleicht, den man als Volksaufrührer ins Verließ gestoßen hatte, obgleich er nicht mehr wollte als Menschen, die genug in ihren Töpfen haben und nicht des Sultans sinnlose Kriege bezahlen sollten, eine der Sultansfrauen vielleicht, die sich standhaft dem Sultan verweigerte und seiner spottete, vielleicht auch ein Wahnsinniger, der mordend im Palast umging und Jungfrauen meuchelte.
Jetzt aber - und sie war stolz darauf -, saß da eine Sklavin, die es gewagt hatte, Ihrer Herrin die Stirn zu bieten und sich vor den Folgen nicht fürchtete. Und wie sie so fest mit dem steinernen Stuhl verbunden saß, halb träumend und halb wach, verging Stund um Stund. Zuweilen erschien der Kerkermeister, um Wasser und Fladenbrot durch das Gitter zu reichen, und, wie sie seinen verständnisvollen großen weißen Augen zu entnehmen glaubte, auch, um ihr Mut zu machen in ihrer Einsamkeit und Unbeweglichkeit.
Schließlich, es kam der Eingekerkerten vor wie eine Ewigkeit, drehte sich der Schlüssel des Kerkermeisters im Schloß des Gitters. Der Kerkermeister öffnete das Gitter und sprach zu ihr: "Die Züchtigung steht nun bevor!". Er öffnete die Kette, die ihren Hals umschlang, und befestigte daran stattdessen den eisernen Halsring, den sie bereits beim Betreten dieser unterirdischen Welt getragen hatte. Nachdem er auch die Ketten an ihren Händen und Füßen geöffnet hatte, stand sie auf, und der Kerkermeister führte sie den Gang zurück bis zu einer Eisentüre, die vorhin verschlossen gewesen war, jetzt aber sperrangelweit offenstand.
Er ließ sie vor
sich eintreten, und sie erblickte einen halbrunden großen Raum, der ihr nach
der Enge ihres Verlieses wie ein riesiger Saal vorkam. Im Halbrund waren sechs
mannshohe Nischen eingelassen; oberhalb jeder Nische leuchtete eine Fackel, und
links und rechts daneben brannte jeweils eine Kerze. Wie Karyatiden standen in
den Nischen ihre sechs Gefährtinnen, ganz in schwarze Seide gehüllt, und jede trug
eine Peitsche in der Hand.
Dem Halbrund gegenüber, an der Seite, an der sie den
Raum betreten hatte, erhob sich der Boden zu einem kleinen Podest, auf dem kurz nebeneinander zwei eiserne Ringe eingelassen waren. Über diesen Ringen waren in
der Decke des Raumes zwei ähnliche Ringe befestigt, etwa zwei Schritt
auseinander; von diesen Ringen hingen zwei Eisenketten in den Raum.
Der Kerkermeister legte der Gefangenen zwei lederne Manschetten um die Füße und befestigte sie an den Ringen im Boden.
Daraufhin legte er zwei weitere lederne Manschetten um ihre Handgelenke und hing sie in die von oben herabhängenden Ketten ein.
Schließlich legte er ihr eine Augenbinde aus Tüll und ein mit vielen Riemchen gehaltenes enges ledernes Korsett an, das nur ihr Gesäß freiließ und sie von verirrten Schlägen verschonen sollte.
Die Delinquentin stand mit ihren nach oben gezogenen Armen im Raum wie ein großes Ypsilon, konnte den Raum nur wie durch einen dicken Nebel wahrnehmen und harrte der weiteren Dinge, die da kommen mochten.
Nachdem sie eine Zeitlang so gestanden war, trat wie auf ein geheimes Zeichen hin die erste ihrer Gefährtinnen aus ihrer Nische hervor - sie vernahm, wie deren Sklavenkette leise auf dem steinernen Boden klirrte -, stellte sich hinter sie und schlug mit voller Kraft zu. Die Sklavin, die diesen Teil ihrer Aufgabe genüge getan hatte, schritt daraufhin wieder zurück zu ihrer Nische und löschte als Zeichen der vollbrachten Tat eine der daneben angebrachten Kerzen. Nach geraumer Zeit löste sich die Zweite aus ihrer Nische und schlug die Peitsche wie ihre Vorgängerin. Dann war die Dritte an der Reihe, dann die Vierte, die Fünfte und die letztendlich die Sechste.
Nun waren sechs Kerzen gelöscht, und die Hälfte der Strafe war erlitten. Doch die Zeit dehnte sich und es kam der Gefangenen vor, als gewönnen die Foltermägde mit jedem Schlag neue, ungeahnte Kräfte. Doch kein Schreien, kein Seufzen, kein Stöhnen entrang sich ihr, und als schließlich nach dem letzten Schlag auch die letzte Kerze erlosch, durchbebte ein Glücksgefühl ihre Brust, und sie fühlte sich stark wie ein Granit in der Brandung. Nach geraumer Zeit verließen die Gefährtinnen ihre Gelasse, stellten sich vor ihr auf und verbeugten sich voll Hochachtung. Sie salbten ihren geschundenen Körper mit feinstem Öl, und die Gefangene spürte, wie jede beim Rest der Strafe im Geiste bei ihr sein würde.
Nachdem die Gefährtinnen den Raum
verlassen und der Kerkermeister die Delinquentin losgebunden und zurück in ihr Verlies gebracht hatte, saß diese in ihrem steinernen Sessel in ihren eisernen
Ketten wie eine Fürstin, die auf ihrem Throne die ihr angemessenen Huldigungen
entgegennimmt, und die Stunden des Schmachtens vergingen ihr wie im Fluge.
9. Kapitel, in dem sich eine Sklavin entscheiden muß
Als der Kerkermeister ihr Verlies aufgeschlossen und ihr die Ketten gelöst hatte, die sie mit dem steinernen Stuhl verbunden hatten, stand sie stolz auf, ließ sich das Halseisen erneut anlegen und schritt erhobenen Hauptes vornweg, hinter ihr, die Kette in der Hand, der Kerkermeister. Nachdem man die Treppe zur Oberwelt hinaufgestiegen war, stand die Mutter des Sultans zur Begrüßung schon bereit. Sie verbeugte sich vor der Sklavin und sprach "Meine Hochachtung, Verehrteste - nun wollen wir uns etwas stärken!". Sie ließ sich vom Kerkermeister das Kettenende und den alten Schlüssel reichen, hieß ihn, sich zu entfernen und schritt neben der Sklavin durch die Gänge des Palastes, bis der Wohnsaal erreicht war.
Dort wies sie der Sklavin mit einer Handbewegung den Ehrenplatz am Tische zu,
schloß ihr das Halseisen auf, ließ das Eisen an der Kette zum Boden herab,
befahl nun, den Speisenbringer kommen zu lassen, dem sie auftrug, vom
Feinsten aufzutischen, was die Küche hergab, setzte sich neben die Sklavin und
sagte, während diese, die so lange darben mußte, den Speisen und dem Wein
sehr lebhaft zusprach, zu ihr:
"Meine Hochachtung, demütigste und würdigste aller Sklavinnen! Ihr sollt
nun befreit sein von gemeinen Sklavenketten. Ihr könnt nun ganz frei sein, und ich
werde Euch beschenken mit Reichtümern, von denen Ihr niemals zu träumen gewagt
habt. Ihr dürft mich verlassen und mit all den Schätzen ein freies und
glückliches Leben führen.
Doch könnt Ihr auch weiterhin als Sklavin hier dienen, und Ihr werdet die Sklavenfürstin sein. Die Gelenke Eurer Arme und Beine werden Reifen aus Stahl umschießen, ebenso wie Euren zarten Hals, und ihr werdet Euch fesseln und binden lassen, wie hier noch niemals - in Strenge und in Dauer - eine Fürstin gefesselt und gebunden worden ist. Nur mir, den Ihr müßt wissen, daß auch ich einst Sklavin war, ist ähnliches widerfahren, und, ich kann Euch sagen: damit die Seele fliegen kann, muß man den Leib binden. Ich gebe Euch Zeit, bis morgen die Sonne den Zenit erreicht hat - bis dahin seid Ihr frei. Doch Eure Entscheidung ist unumstößlich - denkt daran!"
Als die junge Frau in ihrem Bette lag, versuchte sie sich all die Reichtümer
vorzustellen, von denen die Sultansmutter gesprochen hatte. Gold, Geschmeide,
Seide, Tand, Kisten um Kisten voll. Doch so sehr sie sich bemühte, sich
jauchzend vorzustellen beim Wühlen in all den Schätzen, die Goldketten durch
die Finger gleiten lassend, die Edelsteine sanft befühlend, blieb ihr Herz sehr
kalt.
Aber als sie sich sah als Sklavin und Herrin in Einem, als Sklavenfürstin, für Stunden (Tage?
Nächte?) verdammt zur Unbeweglichkeit durch unerbittlichen Stahl, hilflos, von
ihren Sklavinnen gefüttert, und dabei doch einzig bestimmend über deren
Geschick, von Sklavinnen, die zu beherrschen Ihre Fürstinnenaufgabe war, durchzog eine sehnende Wärme ihren Körper, und als der
Müezzin das erste Mal rief und sie der Schlaf umarmte, stand die Entscheidung fest.
Als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, verließ die junge Frau ihre Lagerstatt und betrat die Badegemächer. Sie wusch und salbte sich in froher Erwartung und begab sich zur Mittagsstunde in den Wohnsaal, in dem die Mutter des Sultans ihrer harrte. Als die Sklavin die Türe hinter sich schloß, erhob sich jene und sah sie fragend an. Statt einer Antwort schritt die Sklavin zum Käfig, der noch immer von der Decke herabhing, und zog eines der beiden darinliegenden Lederbänder heraus, legte es vor der Sultansmutter auf den Tisch nieder, wandte ihr den Rücken zu und streckte ihre Hände nach hinten. Die Mutter des Sultans hatte die Geste wohl verstanden, denn sie ergriff den Riemen und band die Hände der Sklavin hinter deren Rücken mit vielen Knoten eng aneinander. Sie zog die Sklavin auf einen Diwan, und, überraschenderweise - denn die Sklavin hätte eine lange und tiefschürfende Rede erwartet - , küßte sie schweigend ihre Stirn und strich ihr mit feuchten Augen sanft über die Wangen.
Nach geraumer Zeit durchmaß die die Mutter des Sultans den Saal bis zum Käfig und forderte mit einem Nicken des Kopfes die künftige Sklavenfürstin auf, es ihr gleichzutun. Diese schritt, die Hände hinter dem Rücken gebunden, ihr entgegen, und blieb vor der geöffneten Käfigtür stehen. Nun läutete die Sultansmutter ihrem kleinen Mohren und ließ einen Eunuchen herbeiholen, der die Sklavin in den Käfig hob. Die Sklavin strecke ihre Beine aus und ließ sich von der Mutter des Sultans die Beine mit dem zweiten Lederriemen an eine Käfigstange binden, wohl ahnend, daß dies ihr letzter Käfigtag als Sklavin war. Und wirklich, die Sultansmutter sprach zu ihr: "Nun seid Ihr bald meine Gefangene gewesen, meine Teuerste, denn bald seid Ihr Eure eigene Gefangene, und ich nur Euer Werkzeug. Ihr werdet einen Fürstenthron bekommen, für den Ihr Euch wahrlich nicht zu schämen braucht. Doch leistet mir nun noch einmal Gesellschaft in diesem Käfig, der Euch zu mir brachte. Wenn Ihr gestattet, werde ich Euch mit Musik erfreuen."
Die Sklavin sprach aus dem Käfig heraus: "Das ist sehr schön, denn ich
liebe Musik - doch, wisset, Verehrteste, meinen Ohren sind die Töne Eures
Landes sehr fremd. Da ich nicht bezweifle, daß es die besten und bewandtersten
aller Musiker sind, die Ihr aufbieten werdet, bitte ich Euch, sie
Töne des Westens zum Besten geben zu lassen, denn diese bereiten mir wahrhaften
Genuß!" "Aber gewiß doch!" lachte die Sultansmutter und ließ
die Musiker kommen.
Die Musiker waren allesamt in schwarze Kaftane gekleidet und trugen steife Hüte
auf ihren langen Haaren, die an den Ohren in kunstvollen Löckchen
ausliefen.
Nachdem die Musiker sich nach geraumer Zeit mit ihren Instrumenten im Saale so
verteilt hatten, wie sich dachten, es dem Klang ihrer Klarinetten,
Flöten und Geigen schuldig zu sein, und beratschlagt hatten, was denn zu spielen sei, erschollen Töne von geradezu
überirdischer Schönheit. Ergriffen lauschte die Sklavin den Melodien, die
gleichzeitig beschwingt, über- und schwermütig, heiter
und sehnsüchtig waren. Sie hatte noch nie gehört, wie eine Klarinette so
menschliches Glück und Leid auszudrücken vermochte, und war hingerissen von
dieser Musik.
Als der letzte Ton verklungen war, rief die Sklavin: "Bravo,
Bravissimo!" und die Musiker verbeugten sich vor ihr wie vor einem großen
Publikum. Sie verließen den Saal, und endlich sah die Sultanin die Gelegenheit
gekommen, eine Großansprache zu halten. Sie stellte sich in Positur und sprach:
"Nun denn, meine Sklavin, die Zeit ist gekommen, Euch zur Fürstin zu
verwandeln. Ihr werdet beim Stahlschmied die Insignien einer Gefesselten
Fürstin erhalten und Ihr dürft nicht nur Euren Saal und Euren Thron gestalten, wie Euch
angemessen erscheint. Der Teil des Palastes, der Euer Schlafgemach und das der
Sklavinnen beherbergt, sei Euer!"
Habt Ihr aber das Bedürfnis, mir als Sklavin Gesellschaft zu leisten, laßt mich es wissen und Ihr seid mir als solche immer herzlich
willkommen!"
Die Mutter des Sultans öffnete mit diesen Worten den Käfig, löste der Sklavin
die Banden und half ihr herabzusteigen. Nun führte sie die künftige
Fürstin zum Stahlschmied, der ihr stählerne Arm- und Fußreifen und ein
stählernes Halsband anschmiedete. Jeder dieser Reifen war ganz nach ihrem Körper
geformt und lag zu eng an, als daß man einen noch so dünnen Riemen hätte
durchziehen können. An allen Reifen (sie jemals ohne Schmiedekunst und
-werkzeug wieder zu entfernen, war unmöglich) waren bewegliche Ringe
angebracht, am Halsband sogar zwei, vorne und hinten, die es ermöglichten, sie
mittels eines Schlosses jederzeit aneinander oder an irgendwelchen Gegenständen oder
Ketten zu befestigen.
10. Kapitel, in dem eine Thronbesteigung
vorbereitet wird
Als die künftige Fürstin dergestalt geschmückt war, war es an der Zeit, den
Großen Thronsessel zu entwerfen. Die Mutter des Sultans führte sie zum Schreiner, der
unweit des Stahlschmiedes sein Handwerk betrieb. Dort ließ die künftige Fürstin einen hohen hölzernen Lehnstuhl herbeischaffen, setzte sich hinein und
sprach, zum Schreiner gewandt: "In dem Thonsessel, den Ihr anfertigen
werdet, werde ich künftig residieren. Da mir als der Gefesselten Fürstin
mein Leib während meiner Thronzeiten fest an diesem Thron angeschlossen sein
wird, während mein Geist und meine Seele regieren, soll er es doch so angenehm
wie möglich haben. Ein edles Polster soll der Thron haben, nicht zu weich und
nicht zu fest, aus feinstem schwarzen Ziegenleder.
Den Lehnen zuvorderst soll
zu meiner Linken zieren ein silberner Mond und zu meiner Rechten eine güldene
Sonne.
Die Stütze meiner Füße jedoch soll zieren ein gar gräulich Gewimmel aus
Schlangen, Drachen, Lindwürmern und ähnlichem Getier.
Über meinem Haupte jedoch wünsche ich mir ein tiefschwarzes Halbrund mit
diamantenen Sternen.
Der Schreiner, hocherfreut über diesen Auftrag, der von seiner Kunst wahrlich mehr
forderte als das
übliche Flicken und Leimen des palästliches Mobiliars, versicherte, alle Wünsche
getreulich zu erfüllen, erbat für sich und seine Gesellen jedoch eine Woche
Zeit für das großes Werk..
Diese lange Woche war die künftige Fürstin nun befreit von allen Ketten und
Bändern und war doch darob gar nicht froh. Vergeblich harrte sie nachts der
Widerstände, die die eisernen Banden ihr entgegenzusetzen vermochten und sehnte
nichts mehr herbei als den ersten Tag auf ihrem Thron.
Endlich war der große Tag gekommen und die künftige Fürstin wurde von den
Sklavinnen in das Badegemach geleitet, gewaschen und gesalbt. Nun wurde sie zum
Ersten Barbier des Palastes, einem Barbier aus Bagdad, geführt, der ihr
kunstvoll die Haare richtete, wie es ihr geziemte.
Schließlich kam sie zum Schneider, der sie bat, sich auf einem Schemel
niederzulassen, der aus einem Baumstumpfe bestand. Als er eröffnete, ihr das
feinste Gewand aus schwarzer chinesischer Seide anzumessen, und um Geduld bat,
da dies einen Zeitraum mehrerer Stunden in Anspruch nähme, sprach die künftige
Fürstin zu ihm: "O Schneider, gewiß werdet ihr mich kleiden in ein
Gewande, das einer Fürstin zu tragen ansteht. Doch wisset, ich werde die
Gefesselte Fürstin sein und Euer Gewand muß dergestalt beschaffen sein, daß
ich es auch in Ketten zu tragen vermag. Legt mich beim Ankleiden immer in Ketten, und ich bin sicher,
Ihr werdet das Tuch dann solcherart schneidern, wie es diesen Umständen
angemessen erscheint. Der Schneider tat wie geheißen, legte die künftige
Fürstin in Ketten und begann sein Werk.
Stunden später besaß die künftige Fürstin das prächtigste Gewand, das, wie es
ihr vorkam, des Schneiders Werkstatt je hatte verlassen, und wurde
ihrer Fesseln befreit.
Recht ohne Ziel ging die künftige Fürstin nun im Palaste umher, kam an der
Küche vorbei, setzte sich auch in das kleine Gelaß gegenüber, nahm eine kleine, doch
köstliche Mahlzeit zu sich und wanderte weiter umher, in sich allein der
Gedanke, daß die Zeit vergehen möge bis zu ihrer großen Stunde, als sie nach
Sonnenuntergang zur Sklavenfürstin ausgerufen werden sollte. Endlich, sie
befand sich in einem abgelegenen Teil des Palastes, stürzte der kleine
Mohr auf sie zu und rief: "Ach da seid ihr ja! Alles harrt Eurer - man ist
schon versammelt in Eurem Thronsaale - nur Ihr fehlt noch!"
Die künftige Fürstin spielte die Überraschte und ließ sich von dem kleinen
Mohren zum Thronsaal geleiten, den sie selbst ja noch nicht gesehen hatte. Der
kleine Mohr öffnete beide Türflügel zum Saal und rief, sich einen Kommandoton
geben wollend, mit künstlich tiefer Stimme in den Raum: "Die Fürstin tritt ein!"
11. Kapitel, in dem eine Thronbesteigung durchgeführt wird
Die Fürstin trat - nein sie schritt ein. Der Saal war von Kerzen, die an den
Wänden angebracht waren, erleuchtet, und dem Eingang gegenüber war der
prächtige Thron errichtet. Drei der Sklavinnen säumten den Weg zum Throne zur
linken, drei den Weg zur Rechten. Sie sah genauer hin und wurde gewahr, wie die
Sklavinnen auf schwarzen Kissen knieten, die durch die Sklavenketten
zusammengehaltenen Hände vor sich auf den Boden gestützt. Sie trugen Diademe und
jedes dieser Diademe war mit vielen funkelnden Edelstein geschmückt.
Die künftige Fürstin schritt majestätisch durch das Spalier, ließ sich auf
ihrem Throne nieder und legte die Hände in den Schoß.
Einen Augenblick fürchtete sie nun, eine Thronrede halten zu müssen, die sie
mitnichten vorbereitet hatte und - anders als wohl die Mutter des Sultans - auch
nicht aus der Luft zu zaubern hätte vermocht. Doch die Sklavin, die ihr am
nächsten zur Linken kauerte - die künftige Fürstin bemerkte, es war Rubin, die mit den langen Haaren -
stand mit einem Ruck auf, stellte sich in gebührendem Abstand von dem Throne
hin, senkte ihr Haupt und sprach: "Fürstin, ich bin erwählt, Euch zur
Gefesselten Fürstin zu machen! Demütig werde ich Euren Leib an Eurem Thron
befestigen. Euer Wort wird für uns Sklavinnen Gesetz sein, und wir werden Eurem
Wort bedingungslos gehorchen, was immer Ihr auch befehlen mögt."
Mit diesem Worten legte Rubin mit den langen Haaren sanft die die linke
Hand der Fürstin auf die linke Armlehne. Die Fürstin nahm wahr, daß die
Lehnen kunstvoll Schlösser eingearbeitet waren, die seitlich ab- und aufgeschlossen
werden konnten und deren Bügel soweit hervorstanden, um ihre stählernen
Armreifen damit fest anzuschließen.
Rubin mit den langen Haaren nahm
einen Schlüssel hervor, schloß zuerst den linken Reif der Fürstin an die linke
Armlehne, darauf den rechten an die rechte, verfuhr dann mit den Fußreifen in ähnlicher
Weise, und verband schließlich durch eine kurze Kette den glänzenden stählernen Halsreif,
in dem sich die Kerzen spiegelten, mit
der Rückenlehne.
Daraufhin wurde der kleine Mohr gerufen, ihm der Schlüssel übergeben und
befohlen, ihn zur Mitternacht zurückzubringen.
Nun ging Rubin mit den langen Haaren an ein kleines Tischlein, das abseits
stand, und nahm dort ein rotsamtenes Kissen auf, und, als sie damit in die Mitte des Saales
kam, war zu erkennen, daß es sich bei dem Gegenstand um eine silberne Krone
handelte. Sie besaß sieben Zacken, sechs kleine und ein großer, und in jedem
der sechs kleinen Zacken war ein funkelnder Edelstein eingelassen, ein
wasserblauer Amethyst, ein glutroter Rubin, ein blaugrüner Smaragd, ein
dunkelroter Granat, ein dunkelblauer Saphir und ein hellblau schillernder Lapislazuli -
die Edelsteine, die die Sklavinnen in ihren Diademen trugen. Schließlich
prangte auf dem vorderen, dem größten Zacken, ein großer Brillant, der im
Kerzenlicht herrlich funkelte.
Die Sklavin mit den langen Haaren stellte sich mit der Kostbarkeit vor den Thron
und sprach: "Fürstin, tragt nun das Zeichen Eurer Macht ! Jeder dieser
kleinen Zacken steht mit dessen Stein für eine Eurer sechs kleinen Sklavinnen.
Denn jede unterwirft sich Eurem Willen, Eurer Strenge, Euren Strafen und Eurer
Willkür. Der große strahlende Stein jedoch steht für
Euch selbst, Große Gefesselte Fürstin!"
Mit diesen Worten hob sie die Krone gen Decke empor und senkte sie sanft
auf das Haupt der Fürstin. Daraufhin sank sie zu Boden und küßte der Fürstin
die Füße.
Nun kamen die fünf anderen Sklavinnen, die bis zu diesem Augenblick still und
ergriffen auf dem Boden gekauert hatten, herbei und strichen demütig ihre
Hände.
Jetzt ergriff die Sklavin mit den langen Haaren wieder das Wort und sprach zur Fürstin gewandt: "Wir wünschen und erflehen uns von Euch, Fürstin, kein mildes und gerechtes Regiment. Wir bitten Euch um eine strenge und willkürliche Herrschaft, um harte, ungerechte und demütigende Strafen für kleine und kleinste Vergehen, und wir wissen, Ihr bringt dafür Verständnis auf und achtet dennoch unsere Würde, denn Ihr seid eine von uns!"
Sie übergab mit einem Handzeichen das Wort der Fürstin, die unbeweglich an
ihrem Throne festgeschmiedet war, doch allen war so, als habe sie sich soeben
erhoben.
Im Saale war es nun so still, daß man hätte eine Stecknadel auf den Boden
fallen hören, und die Fürstin sprach: "Untertänige Sklavinnen! Gern bin
ich eure gestrenge Fürstin und fordere von euch nichts anderes als Demut und
Unterwerfung. Es herrschen hier gewisse Regeln, und wer dagegen zu verstoßen
müssen glaubt, der hat Strafe zu erwarten. Für kleinere Vergehen stehen Ketten
und Lederbänder zur Verfügung, die euch zur Reue führen. So ist es ist euch
nicht gestattet, hier in diesem Saale schwatzhaft zu sein. Auch habt ihr mich
hier als Ehrwürdige Fürstin anzusprechen und dabei das Haupt zu senken. Eure
Sklavenketten habt ihr straff zu halten, auf daß ich nicht das kleinste Klicken
hören muß. Ob ihr sitzt oder gerufen zu meinem Throne euch bewegt, kein Ton
darf davon ausgehen."
Mit erhobener Stimme fuhr die Fürstin nun fort: "Für größere Vergehen
werdet ihr strenger bestraft! Wenn ihr hier zu mir sprecht, was euch nur
nach Aufforderung gestattet ist, habt ihr von euch mit eurem Edelsteinnamen, der
schön genug ist, zu sprechen. Jedes hochmütige "Ich" hat
unweigerlich die Züchtigung mit Peitsche zur Folge! Und wenn ich einer von euch
die Ehre gebe, mich anzusprechen, hat sie mich unverwandt anzusehen, ansonsten
erlebt sie die folgende Audienz im Dunklen."
Während die Fürstin gesprochen hatte, hatten alle Sklavinnen ihre Hände und
Füße ausgestreckt, um die Ketten straff zu halten und so nicht den geringsten Anlaß
zur Klage zu geben.
12. Kapitel: Die erste Audienz
Plötzlich hielt die Fürstin in ihren Ausführungen innen und rief:
"Wenn Wir sprechen, hat Schweigen zu herrschen, und das gilt auch für
Amethyst und Saphir! Eine Audienz ist kein Markttrubel! Steht auf und
empfangt Eure Strafe!"
Betreten und mit gesenkten Häuptern standen
die Übeltäterinnen auf. Die Fürstin befahl: "Holt eure
Kissen und setzt euch nieder, tief zu meinen Füßen, zu den Drachen, Schlangen und
Untieren." Die Sklavinnen nahmen ihre Kissen und schritten dem Throne entgegen, und, ängstlich
bemüht, ihre Fußketten ruhig und straff zu halten, gingen sie breitbeinig
schlingernd einher wie alte Seebären, die alle Weltmeere schon oft befahren
hatten.
Die Fürstin rief:
"Lapislazuli, bring mir die Knebelmasken dieser Beiden und zwei
Lederbänder!" Sie befahl Amethyst und Saphir, sich ihrer Obergewänder zu
entledigen und sich Rücken an Rücken zu ihren Füßen niederzusetzen, und, als die kleine Lapislazuli mit den Knebelmasken und den
Lederbändern wieder in den Fürstensaal zurückkam, ließ sie die zwei die
Masken anlegen, schloß diese ab, und Lapislazuli band auf Geheiß der Fürstin die beiden an
ihren Oberarmen mit den Bändern eng zusammen.
"So bleibt ihr die nächsten Stunden aneinandergebunden Rücken an
Rücken hier sitzen, gezwungenermaßen schweigend, und alle Gefährtinnen werden
euch betrachten und die
Verbüßung eurer Strafe verfolgen!" Wer genau hinsah, konnte jedoch
erkennen, daß Amethyst und Saphir jenseits der zur Schau gestellten
Zerknirschung der strengen Strafe durchaus auch ihre angenehmen Seiten
abgewannen und wohl in heimlichem Einverständnis eine Wiederholung nicht
ausschlossen.
Die Fürstin sprach nun: "Der Geschichtenerzähler hat mir eine wunderschöne alte Sage berichtet, von Perseus und Andromeda! Kennt ihr sie?" Als nun alle Sklavinnen mit Ausnahme von Lapislazuli bedauernd verneinten, fuhr sie fort: "Morgen wird der Geschichtenerzähler euch diese Geschichte erzählen, im Badehof. Ein Lebendes Bild wird euch die alte Mythe nahebringen, und Smaragd wird für euch Andromeda sein !"
Als sich am nächsten Tag die Sklavinnen zum Bade versammelten, befahl die
Fürstin Smaragd, sich auszuziehen, ihre Hände hinter den Rücken zu bringen
und sich an die griechische Säule zu stellen. Als diese nach Übersteigen ihrer
Handkette der Aufforderung nachgekommen war, schob die Fürstin die Ranken mit
den trompetenförmigen, duftenden Blüten ein wenig zur Seite, und es kam ein eiserner
Ring zum Vorschein, der wohl schon in grauer Vorzeit in die Säule eingelassen
worden war.
Die Fürstin ergriff die Handkette von Smaragd, zog sie hinter ihrem Rücken nach
hinten zu dem Ring,
so, daß sich Smaragd ein wenig nach vorne beugen mußte, und schloß sie an diesen an.
Smaragd stand nun eng an die Säule gekettet wie einstmals Andromeda in
Erwartung des Ungeheuers. Die Fürstin sprach: "Damit ihr mitfühlen könnt
mit Andomeda, wird Smaragd nun geraume Zeit hier stehen." Und tatsächlich,
lange, lange mußte Smaragd nun stumm stehen, während das sich in den
Wasserbecken spiegelnde Sonnenlicht wunderbare Lichtspiele auf ihren nackten
Körper zauberte, und die Gefährtinnen sich schon zu fragen begannen, ob nun
eine Sklavin an der Säule stünde oder eine Statue aus antiker Zeit.
Schließlich, es waren wohl eine oder zwei Stunden vergangen, wurde der Geschichtenerzähler herbeigerufen, der die alte Mythe so packend zu berichten wußte, daß manch eine Sklavin in einem der Wasserbecken das Seeungeheuer auftauchen zu sehen glaubte, und fürchtete, es werde Smaragd zerfleischen. Als die Geschichte schlußendlich eine gute Wendung genommen hatte, wurde Smaragd losgeschlossen, der Geschichtenerzähler gebührend gefeiert, und alle tauchten erlöst in das Wasser - den Geschichtenerzähler natürlich ausgenommen, der sich, erfreut über den Anklang, den er gefunden hatte, in den Palast zurückgezogen hatte.
13. Kapitel: Das
Geschenk
Die Türe sprang mit einem Male auf, und ein in prächtiger dunkelroter Uniform mit goldenen Tressen gewandeter schwarzer Lakai stolzierte herein, einen langen Stab in der Hand, tat rückwärts ein paar Schritte zur Seite, stieß den Stab auf den Boden und verkündete mit Stentorstimme: „Die Sultanin und ihr Geschenk!“ Daraufhin schritt die Sultansmutter herein, geschmückt mit allem, was die Schatztruhen des Palastes herzugeben imstande waren, in einer ruhigen Würde, als sei sie das Admiralsschiff des Sultans zur Abnahme der Parade nach einer gewonnenen Schlacht. Und wie das Admiralsschiff des Sultans gewöhnlich ein erobertes feindliches Schiff hinter sich herzog, so zog die Mutter des Sultans Granat hinter sich her, die kleine blasse blonde Sklavin. Granat, ihrer gewohnten Sklavenketten nun ledig und vollkommen nackt, trug eine Kopfhaube aus weichem Leder, die ihr Haupt zur Gänze umschloß und nur eine winzige Öffnung zum Atmen freiließ, und einen eisernen Halsring, an die die Kette angeschmiedet war, an der sie die Sultansmutter im Schlepptau hielt. Granat hatte die Sklavenketten jedoch so lange getragen, daß, selbst als sie nun abgenommen waren, sie sie noch an sich spürte und sich entsprechen bewegte.
Die Mutter des Sultans pflügte nun durch den Raum, bis sie
vor dem Throne der Gefesselten Fürstin zum Stehen kam, beidrehte und mit
erhobener Stimme sprach: „Fürstin, das wahrhafte Geschenk ist dasjenige, das
dem Schenkenden Schmerzen bereitet, weil es den Verlust eines geliebten Besitzes
bedeutet, und doch gleichzeitig auch Freude, weil der Beschenkte nun sich dessen
Besitz erfreuen darf ! Ich schenke dir, Fürstin, hiermit meine Sklavin Granat
und gewähre dir alle Rechte an ihr.“ Die Mutter des Sultans ließ bei diesen
Worten das Kettenende, das sie in ihren Händen gehalten hatte, klirrend zu
Boden fallen, und die Gefesselte Fürstin antwortete: „Verehrteste,
dies Geschenk erfreut mich über alle Maßen! Ihr dürft versichert sein, ich
werde es in Ehren halten. Und, da Granat nun einzig mir gehört, werde ich sie
zur Unterwürfigkeit mir gegenüber erziehen, wie es mir als ihrer neuen Herrin
wohl geziemt. Ich danke Euch von Herzen!“ Nun reichte die Mutter des Sultans
der Fürstin ihre Wange zum Kusse, und, als der sehr herzlich empfangen war,
schritt sie erhobenen Hauptes aus dem Saale.
Die Fürstin erinnerte sich der Worte der Mutter des Sultans, als sie davon
sprach, sie fesseln und binden zu
lassen, wie noch niemals - in Strenge und in Dauer - eine Fürstin gefesselt und gebunden worden
sei, und wußte, nun hatte jene einen Weg gefunden, sie stärker zu binden als
es Eisen und Stahl je vermochten. Sie hatte ihr Herz mit einer Gefährtin
verbunden.
Granat stand nun vor ihren neuen Herrin, die zu ihr sprach: „Liebe Granat, ich werde dich in nun in mein Schlafgemach führen und an mein Lager anketten lassen! Sobald meine Feier hier zuende ist, werde ich zu dir kommen. Morgen wirst du in deinen Pflichten unterwiesen. Rubin, bring mir das Geschenk in mein Gemach, und sieh vor, daß es keiner stehle!“
Kurze Zeit später, als die festliche Sitzung ihr Ende genommen und die Gefesselte Fürstin wieder frei war, strebte diese nach kurzem Aufenthalt im Bade ihrem Gemache zu und fand dort auch richtig ihr Geschenk vor, am Halse angekettet und immer noch mit der ledernen Haube auf dem Haupt. Die Fürstin strich sanft über den nackten Leib und sprach zu Granat, die in ewiger Nacht lag: „Geliebte Granat, bist du bereit, dich mir ganz und gar zu unterwerfen?“ Granat stieß sofort unter ihrer Haube ein heiseres „Ja!“ hervor.
„Du wirst nicht mehr die alten Sklavenketten tragen wie ein Bergmann seinen Schurz und seine Lampe! Du wirst die Ketten, wirst die Fesseln, wirst die Knebel, wirst die Hauben tragen, die ich aus einer Laune heraus dir, meiner eigene Sklavin, anzulegen gewillt bin. Gehorsam werde ich von dir verlangen, einen ganz eigenen Gehorsam, denn oft werde für dich neue Regeln erfinden, die du unmöglich sofort zu erkennen vermagst. Du wirst dich ins Unrecht setzen, denn, bis du die Regel begreifst, und bis es soweit ist, daß du dich danach verhältst, werde ich dich bestrafen, fesseln und vielleicht auch züchtigen, denn du bist die Ungehorsame!“
Granat wälzte sich von einer Seite auf die andere und
schien ob dieser Worte kein großes Ungemach zu empfinden. Die Fürstin befreite
nun Granat von ihrer Haube, strich deren zerzaustes Haar zurecht, küßte sie
auf die Stirn, griff hinter sich auf ihr Nachkästlein, zog zwei Lederbänder
hervor, band Granats Hände und Füße jeweils ganz, ganz eng zusammen, küßte
sie wiederum auf die Stirn, zog die Decke über Granat und sich, und schlief ein.
Granat jedoch war zu aufgewühlt, um einzuschlafen – nicht eine Palastsklavin
war sie nun, mit (sie mußte dabei lachen) Dienstkleidung,
besser Dienstketten, und Dienstrang, sondern eine echte Sklavin,
einer echten Herrin unterworfen, die nichts unversucht lassen würde, sie zu
Demut und Gehorsam zu zwingen. Wieder und wieder bewegte sie die gebundenen
Hände und Füße gegeneinander, um sich zu vergewissern, nicht in einem
schönen Traume zu leben, sondern in erlebter Wirklichkeit.
14. Kapitel: Die ersten
Vorbereitungen
Als die Fürstin am nächsten Tag erwachte, schlief Granat jedoch tief und fest.
Die Herrin zog die Decke zurück und betrachtete ihren neuen Besitz mit
Wohlwollen. Und als sie sie so ansah, wurde ihr das Herz ein wenig schwer und
sie gedachte mit Wehmut ihrer eigenen Sklavenzeit. Was lag nun jetzt nicht alles
vor ihr, was hatte sie nicht alles in die Wege zu leiten, um Granat ein schönes
Sklavinnenleben zu bieten. Doch der Gedanke, Granat als Werkzeug ihres Willens
zu sehen, sie binden und sich am Anblick des ihrer Ketten ausgelieferten und
hilflosen Besitzes erfreuen zu dürfen, versöhnte sie mit ihren neuen Rolle.
Mit einem Ruck stand die Fürstin auf, schritt zum Badegemach, kleidete sich an,
strebte zur Werkstatt des Stahlschmiedes und gab diesem Anweisungen für die
Ausstattung von Granat. Sie ging tüchtigen Schrittes zurück in ihr
Schlafgemach und betrachtete ihre schlafende Sklavin.
Nach geraumer Zeit schlug Granat die Augen auf und blinzelte
ihrer Herrin zu.
Diese sprach zu ihrer Leibsklavin: "Geringste, heute und morgen ist viel zu
tun! Viele Handwerker haben wir aufzusuchen, um dich mir den Dingen
auszustatten, deren eine Leibsklavin bedarf! Doch zuvörderst geht es ins
Badegemach!" Die Fürstin band Granat die Füße und die Hände los und
fuhr fort: "Ich bin nicht Freund großer Worte und langer Reden," -
die Fürstin und ihre Sklavin schmunzelten, da beide hierbei an die
Sultansmutter denken mußten - "sieh also auf meine Hände!" Granat
sah aufmerksam auf der Fürstin Hände.
Diese hakte ihre kleinen Finger ineinander, zog daran und sagte: "Dieses
Zeichen bedeutet für dich stets, daß ich deine Hände auf den Rücken zu
fesseln gewillt bin, wann, wo und womit auch immer. Auf dieses Zeichen hin wirst
du schweigend deine Arme hinter dem Rücken übereinander legen in Erwartung der
Banden. Das Fesseln der Hände hinter dem Rücken ist eine Fesselung mittleren
Grades. Fesselungen mittleren Grades bestimmen das Leben der Leibsklavin; sie
wechseln sich ab und dauern selten länger als einen Tag oder eine Nacht. Bist
du mittleren Grades gefesselt, hast du mich mit "Herrin" oder
"Fürstin" anzusprechen und von dir als "Eure Leibsklavin"
zu reden."
Die Fürstin hakte ihre kleinen Finger nun erneut ineinander und zog daran.
Gehorsam drehte sich Granat auf den Bauch und kreuzte ihre Arme hinter dem
Rücken, wo sie durch das Lederband festgebunden wurden.
Granat drehte den Kopf ein wenig zur Seite und fragte: "Welche Grade der
Fesselung habe ich denn zu erwarten?"
Die Fürstin erklärte: "Der geringste Grad ist die völlige Freiheit. Doch
die völlige Freiheit ist kein Spaß. Denn in Banden sich unterwürfig zu
zeigen, ist keine große Kunst. Die völlige Freiheit ist die Bewährungszeit
für die Sklavin, die hierin zeigen muß, was sie gelernt hat. In mittlerer und
schwerer Fesselung hast du dich nur der richtigen Ansprache zu befleißigen -
bei sehr strenger Fesselung nicht einmal das - und dich richtig zu benennen, doch auf
Anstand, Disziplin und das richtige Benehmen wird bei völliger Freiheit und leichter Fesselung allergrößter Wert gelegt. In
völliger Freiheit wirst du
sein, selten genug, wenn die Herrin anwesend ist, und es ihr so beliebt.
Leichte Fesselung kennst du aus diesem Palaste zur Genüge, denk nur an die
Sklavenketten. Leichte Fesselung ist, was Unterwürfigkeit, Anstand und
Disziplin betrifft, der völligen Freiheit gänzlich gleichgestellt und ist
zeitlich völlig unbeschränkt. In leichter Fesselung wirst du dich gewöhnlich
befinden und stets, wenn die
Herrin abwesend ist und euch nicht strenger zu binden beliebt.
Über Fesselungen mittleren Grades habe ich bereits gesprochen; du wirst viele
kennenlernen und dich daran gewöhnen. Die Herrin wird meist in deiner Nähe
sein, doch oft für dich nicht sichtbar. Sie wird sich ihres Besitzes freuen und
dich von Zeit zu Zeit mit Wohlgefallen betrachten. Hüte dabei jedoch deine
Zunge!
Fesselungen schweren Grades sind für die Leibsklavin ein herausragendes
Ereignis. Die Dauer ist sehr begrenzt, meist nur eine bis wenige Stunden. Sie werden auch
nicht täglich angewendet - auch wenn sie der Herrin besonderen Genuß bereiten.
Die Herrin ist hierbei immer anwesend. Du hast mich als "Hohe
Fürstin" oder "Gestrenge Herrin" anzusprechen und von dir als
"Geringe Leibsklavin" zu reden.
"Wenn ihr mich züchtigt, wohl", warf Granat ein; die Fürstin nickte
und sprach weiter: "Ja, wenn ich dich züchtigen werde, wirst du stets in schwerem Grade gefesselt - doch auch sonst" - sie wiegte ihr Haupt,
"so ab und zu, ganz, wie es mir beliebt."
Eine Fesselung sehr strengen Grades hat den Rang einer Züchtigung - die Herrin wird
dir und der Unbequemlichkeit, die damit einhergeht, stets nahe sein, und es
wird hierbei nie Zuschauer geben. Eine Fesselung sehr strengen Grades mündet stets in
völliger, wenn auch nur kurzer Freiheit, in der du dich zu bewähren hast."
"Nun habt Ihr, Herrin, Euch ganz gegen Eure Absicht, doch einer Menge Worte bemächtigt!", sprach Granat, und Herrin und Leibsklavin lachten darob herzlich.
Die Fürstin schloß nun die Halskette ihrer Sklavin vom
Lager, ließ diese sich erheben, und führte sie, nachdem sie die lederne Haube
mit der Linken an sich genommen hatte, an der Kette ins Badegemach. Dort löste
sie die gefesselten Hände, wusch ihren künftigen Besitz sehr sorgfältig, salbte
ihn und kleidete ihn an.
15. Kapitel: Stählernes
Nun zog sie ihre Sklavin bis zur Werkstatt des
Stahlschmiedes. Dort angekommen, legte sie ihr die Ledermaske um, denn sie
sollte nicht wahrnehmen, was der Herrin ihr anzufertigen im Sinn stand, und löste ihren Halsreif. Die
Leibsklavin in ihrer ledernen Nacht wurde auf einen Schemel geführt; und der Schmied
begann, Maß an Hand- und Fußgelenken und am Halse zu nehmen.
Von ihrer Haube gedämpft, nahm sie nun ein Klopfen, Hämmern und Rasseln wahr. In kurzen Abständen erstarb der Lärm, und die Leibsklavin spürte dann kaltes Metall an ihren Gelenken und an ihrem Halse, ja, einmal gar um ihren Leib.
Schließlich, es waren wohl schon mehrere Stunden
vergangen, wurde
sie von ihrer Haube befreit und nahm vor sich auf einem großen und breiten
massiven hölzernen Tisch viele stählernen Gegenstände wahr, die vor ihr
ausgebreitet worden waren. Die Herrin deutete auf den Gegenstand ganz links und
sprach "Dies ist dein leichter Birlik!"
An einem glänzend stählernen Reif im Umfange ihres Halses, der über
ein verdecktes Scharnier zu öffnen und zu schließen war, war an einem Ring eine
ebenso stählerne, lange Kette
angeschmiedet. An dieser Kette waren weitere Ketten angeschmiedet; die erste,
vielleicht zwei Spannen vom Halsring entfernt, führte rechts und links zu zwei
weiteren Reifen im Umfange ihrer Handgelenke, und die zweite am Ende der Kette,
die vom Halsring ausging, führte schließlich rechts und links zu zwei Reifen im
Umfange ihrer Fußgelenke. Alle Reifen besaßen verdeckte Scharniere wie der Halsring und
waren wie dieser durch Schlösser abzuschließen.
Die Herrin fuhr in ihrer Erklärung fort: "Der leichte Birlik wird dir ein
guter Freund werden. Du wirst ihn oft und gerne tragen, er hindert dich nicht
stark und wird dich mit seinem stählernen Glanze schmücken in vielen schönen
Stunden. Die leichten Arbeiten, die du zu verrichten hast, mich zu bedienen und
Ordnung zu halten, wirst du meist im Birlik verrichten!"
Sie wies nun auf den nächsten
Gegenstand, der ganz ähnlich gearbeitet war. Allein, die am Halsring
angeschmiedete Kette war viel stärker und erheblich kürzer. Die Herrin
erläuterte: "Das ist dein kurzer Birlik! Ihn wirst du öfters tragen, vor
allen Dingen, wenn ich dich für geraume Zeit alleine lassen muß. Er wird dich
etwas krümmen, du wirst auf dem
Teppich kauern, auf dem Lager hocken oder liegen, und deine Gedanken werden sich dank des kurzen Birliks nicht von mir abwenden lassen. Des weiteren siehst du
hier den Hareket."
Der Hareket besaß zwei mit Scharnieren zu öffnende und zu schließende Ringe im Umfange
der Sklavin Handgelenke, gleich denen ihrer Birliks; diese waren jedoch mit weichem
Leder gefüttert und durch ein Kettenglied eng verbunden. An dieses Kettenglied
war eine weitere Kette geschmiedet, vielleicht anderthalb Spannen lang. Am Ende
dieser Kette wiederum war eine weitere längere in derer Mitte befestigt. Die Fürstin
erklärte: "Der Hareket ist für unterwegs. Die lange Kette wird dich
umgürten und durch den Schritt mit deinen auf dem Rücken befestigten Händen
verbunden sein. Oft wirst du den Hareket tragen zusammen mit der Yaka, wenn ich
dich führe".
Die Yaka schließlich war ein stählerner Halsring mit Kette, wie ihn die Sklavin
kennenzulernen schon Gelegenheit hatte, nur ungleich feiner gearbeitet. Der
Halsring war glattpoliert und wiederspiegelte das matte Licht, das sich durch
die blinden Werkstattscheiben in den Raum gestohlen hatte.
Nun wies die Herrin auf den nächsten Gegenstand: "Dies ist deine Hoca!" Die Hoca bestand aus zwei Teilen; der eine war ein dünner Halsring
aus rundem Stahl, an dem eine schlanke Kette angebracht war, und der andere
waren zwei dünne Fußreifen aus ebenfalls rundem Stahl, die auch durch eine schlanke,
recht kurze Kette verbunden waren. Die Fürstin sprach: "Den Hoca wirst du
beim Lesen, beim Lernen und beim Schönschreiben tragen. Er ist sehr leicht gearbeitet, denn ihn
sollst du nur wenig spüren, wenn du dich ins Lese- oder Lernbuch vertiefst oder
mit dem Pinsel schreibst." Er wird dich am Halse mit dem Tisch verbinden, um die
Vertiefung zu erzwingen, und an den Füßen mit dem Fußboden. Du kannst so
nicht wie die Studenten mit den Füßen scharren, wenn dir des Autors Stil nicht
behagt."
Die Sklavin mußte lachen, und die Herrin fuhr
fort: "Das soll an Stählernem fürs Erste nun genügen!"
Die Fürstin hakte
ihre kleinen Finger ineinander, und gehorsam legte ihre gelehrige
Leibsklavin die Hände auf den Rücken. So wurde ihr der Hareket und die Yaka
angelegt. Die Herrin nahm den leichten Birlik mit der linken Hand an seiner
langen Kette auf, ergriff das Kettenende
des Yaka mit der Rechten und führte Granat in ihrem Hareket am Yaka aus der
Schmiedewerkstatt hinaus. Sie führte sie bis zur Küchentür, aus der bereits
köstliche Gerüche strömten, öffnete das kleine Gelaß, das der Küche
gegenüberlag, und hieß ihre Leibsklavin Platz zu nehmen.
16. Kapitel:
Ein Mahl und ein Spiegel
Diese setzte sich
vorsichtig - den Hareket, der ihre Hände auf den Rücken band, war sie ja
noch nicht gewohnt - und harrte der weiteren Dinge. Ihre Herrin sagte, indem sie
den Birlik zur Seite legte: "Wir
werden öfters, wenn wir auf Wanderschaft sind, hier einkehren und frohen Mutes
sein!"
Sie verließ das Gelaß und kam bald darauf mit einem Speisenbrett
zurück, auf dem sich zwei Schalen mit einer kleinen, doch köstlichen heißen
Mahlzeit sowie zwei gutgefüllte Gläser mit Ayran befanden.
Sie schob ihrer Sklavin Bissen für Bissen in den Mund, und, während diese
kaute und schluckte, vergaß sie sich selbst nicht. Schließlich flößte die
Herrin ihrer Dienerin das Getränk ein und wischte ihr den weißen Bart mit
einem Tuche ab. Sie trank selbst aus und schob das Speisenbrett zur Seite.
Das Mahl war nicht üppig gewesen, doch beiden war noch nicht nach Aufstehen.
Man schwieg eine Zeitlang, und in die Stille hinein sprach die Sklavin:
"Herrin, Ihr beschämt eure geringe Dienerin. Sie fühlt, wie sie eiserne
Bande stärker und stärker an Euch schmieden werden!" und nach kurzer Pause: "Werdet
Ihr sie feierlich aufnehmen als Eure Sklavin?" "Ei,
gewiß!", versetzte darauf die Herrin. "Mit Schmerzen?" fragte
Granat mit großen Augen zurück. "Jede feierliche Aufnahme ist
gewöhnlich mit Schmerzen verbunden,", antwortete ihre Herrin unbestimmt,
"sei es der Sünnet der kleinen Knaben, sei es der Ritterschlag!"
Nachdem beide wiederum eine Weile geschwiegen hatten - Granat lächelte still in
sich hinein - ergriff die Fürstin das Kettenende der Yaka der Sklavin, ließ
sie aufstehen und führte sie in ihr Schlafgemach. Dort wurde ihr Hareket und Yaka
abgenommen - die Reise war ja nun zuende. Die Herrin sprach: "Nun wirst du
eine erste Bekanntschaft mir deinem leichten Birlik machen!
Da dir der Schuster den Rahat, Köstek, die Huni und das Große
Züchtigungskorsett erst morgen anfertigen wird, wirst du den Birlik jetzt nur tragen bis zum
nächsten Morgen - du sollst dich ein nur wenig an ihn gewöhnen."
Als Granat noch überlegte, wie der Rahat, Köstek, die Huni und das Große
Züchtigungskorsett nun beschaffen wäre, sprach ihre Herrin weiter:
"Morgen, nach dem Besuch des Schusters, des Schneiders und des Gold- und
Silberschmieds, wird dir der leichte Birlik erneut angelegt werden. Du wirst ihn
nach deiner feierlichen Aufnahme eine geschlagene Woche tragen, vierundzwanzig
Stunden am Tag, sieben Tage lang. Auch die Thronsitzung deiner Fürstin, die in
diese Zeit fällt, wird du im Birlik besuchen, und du wirst uns bedienen. Der
Birlik ist wie geschaffen zum Bedienen!
Auch zum Anlegen des
leichten Birlik gibt es eine Geste, sie geht so - " die Herrin
verschränkte
ihre Arme, " - und nach diesem Kommando
hast du dich ein wenig gebückt hinzustellen, die Beine ein wenig auseinander, und
die Arme im Winkel nach vorne zu strecken. Wir werden es probieren." Die
Herrin verschränkte erneut ihre Arme, und
Granat, die sich auch jetzt als sehr gelehrig erwies, stand in kürzester Zeit
da wie ihr befohlen. Jetzt wurde ihr der Birlik angelegt; die Fürstin klappte
zuerst den Halsring auf und über Granats Hals wieder zu und verschloß ihn
sorgfältig und verfuhr ebenso mit Granats Hand- und zu guter Letzt mit ihren
Fußgelenken. Sie ließ Granat alleine zurück in ihrem Schlafgemach und
besuchte den Schuster, den Maurer, den Grobschmied, den Schreiner, den
Kalligraphen und den Goldschmied.
Währenddessen ging Granat in Gedanken versunken
im Schlafgemach auf und ab. Sie fühlte sich in ihrem Birlik, der sich als recht
bequem
erwies und
seiner Trägerin erheblich mehr Freiheit gewährte, als von seinem martialischen Aussehen zu
erwarten gewesen war, und sie gerade im rechten Maß, um seiner nie
überdrüssig zu werden, der Freiheit beraubte, äußerst wohl. Der Schmied
hatte ihr die stählernen Reifen so genau angepaßt, daß sie nirgendwo
drückten oder rieben.
Auch stellte sich als ein nicht geringzuschätzender Vorteil des Birliks heraus, daß die Fußketten durch die lange
Kette mit ihren
Händen und ihrem Halse verbunden waren, und nicht mehr mit dem Boden in
Berührung kommen konnten. Das Klirren ihrer alten Sklavenketten auf dem Fußboden,
wenn er nicht mit einem Teppich bedeckt war, und die Vorstellung vor all dem
Unrat, mit dem sie in Berührung kommen konnten, und den sie vielleicht in ihr
Lager schleppte, hatte die Trägerin schier zum Wahnsinn getrieben.
Nun bewegte die ihre Arme, nach rechts und links, nach oben und unten, soweit es
eben möglich war, und wie
sie die Arme ganz nach unten sinken ließ, das ließ der Birlik eben noch zu,
wurde sie zu ihrer Freude gewahr, wie die sich die in Höhe ihres Nabels an der
langen Kette angebrachten Armketten strafften, und ihre Arme ohne Last waren. Was
hatte sie ihre alten Armketten darob verflucht, daß sie ihr Gewicht nie
verloren! Sie wünschte sich, daß es allen Kettensklavinnen dieser Welt
gestattet sei, einen Birlik gleich ihrem zu tragen.
Als sie nun den Blick über die Wände schweifen ließ, stellte sie zu
ihrer Überraschung fest, wie neben dem Lager ein riesiger silberner Spiegel
angebracht worden war, den sie zuvor nie bemerkt hatte - sie hätte ihn bemerkt,
wäre er vorhanden gewesen -, schritt vor ihn und erbebte vor der prächtig
geschmückten Sklavin, die sie aus dem Spiegel ansah. Der glänzend
glattpolierte Stahl sah aus wie riesiger Silberschmuck, und die
daumennagelgroßen Schlösser aus Messing wie Goldtupfer darin. Sie dachte bei
sich: "Nicht nur Sultansfrauen, Kaiserinnen, Königinnen und Prinzessinnen
lassen sich schmücken wie Klein- ", sie rief sich die Mutter des Sultans
in Erinnerung, "und Großode, nein auch die geringsten ihrer
Sklavinnen!"
Als sie so weiter im Schlafgemach
herumschritt, erfand sie immer neue Ausreden, um an den Spiegel herantreten und
sich betrachten zu können; einmal fühlte sie eine Wimper im Auge, einmal eine
Unebenheit auf der Haut, einmal eine wirre Stelle in ihrem Haupthaar, und
schließlich mußte sie noch kontrollieren, ob der Birlik wirklich in völligem
Gleichmaß angebracht worden war, was sich in der Tat als richtig herausstellte,
denn jeweils sechs Kettenglieder verbanden ihre Hände, und ebenfalls sechs
Glieder ihre Füße mit der langen Kette. Nun setzte sich Granat auf das Lager,
legte die Hände in den Schoß und versuchte sich ihre Zukunft
vorzustellen.
Wie grausam würden die schweren und die sehr strengen Fesselungen und gar die
Züchtigungen sein? Sie nahm sich fest vor, dies alles herauszufinden, und, wenn
es denn sein mußte, auch mit offen zutage gelegter Unaufmerksamkeit, und wenn
das nichts nutzte, sogar durch Ungehorsam.
Wie war es, im Rahat mit Köstek an den Füßen, zu
schlafen? Was war der Rahat überhaupt? Was Köstek waren, wußte sie schon von
den Weidetieren, denen die Füße zusammengebunden wurden, damit sie es nicht
vermochten, sich allzuweit von den Weidegründen zu entfernen, doch wie sahen
ihre Köstek aus?
Wie lange und wohin würde ihre Herrin sie mit auf dem Rücken gebundenen
Händen in ihrem Hareket am Yaka, dem Halsring, führen? Und würde sie
weiterhin so gastfreundlich sein und mit ihrer gehorsamen Dienerin im Gelaß
nahe der Küche einkehren?
Würde sie gut lesen, lernen und Schönschrift üben können, an den Tisch
gekettet durch den Hoca, ihren stählernen Lehrer?
Welches Geheimnis bargen die Huni und ihr Großes Züchtigungskorsett?
"Fragen über Fragen!", sagte Granat laut und ein wenig spöttisch zu
sich selbst, stand auf und betrachtete sich, diesmal ohne Ausrede, noch einmal
eingehend und mit Wohlgefallen in dem großen Spiegel. Sie begann, in ihrem
Birlik Posen einzunehmen: die Demütige Dienerin, die Schmachtende Gefangene, die
Tänzerin in Ketten und schließlich die Kriechende Sklavin.
Plötzlich öffnete sich
die Türe, und ihre Herrin stand darin. Die Leibsklavin sank gänzlich zu Boden und
kniend, ihre Hände so weit nach oben gestreckt. wie es sie im Birlik nur eben
vermochte, bat sie um Verzeihung ob ihrer ungeziemlichen Eitelkeit. Doch die
Fürstin sprach, die Türe schießend: "Dienerin, du hast nichts
Unbotmäßiges begangen, denn wahrlich keine Lumpensklavin sollst du sein! Du
sollt ein Schmuckstück sein und dich auch dessen freuen! Dann wirst du, selbst
wenn ich dich ins dunkelste aller Verliese sperrte, in Staub und Dämmerlicht,
freigelassen in Schönheit wieder aufsteigen wie einst der Vogel Phönix aus der
Asche."
Sie begann zu deklamieren, was ihr eben eingefallen war:
"Nur wenn du an dir selbst Gefallen findest,
Trägst innre Schönheit du in dir,
Die deine strenge Herrin so sehr schätzet,"
und, als die Fürstin stockte und offenbar nicht mehr weiterwußte, fiel ihre
Sklavin nach kurzer Pause ein:
"Wie sonst nur Raki, roten Wein und Bier."
Als die Herrin dies vernahm, wußte sie nicht mehr an sich zu halten und lachte,
bis ihr die Tränen kamen. Als sie allmählich wieder zu sich kam, stand Granat
vor ihr, trocknete ihr mit einem Tüchlein ehrfürchtig das Antlitz und sprach:
"Herrin, ich will euch noch oft erfreuen mit Geist und Witz, doch dürft
Ihr keinesfalls von Eurer Dienerin denken, sie wolle versuchen, Euch in Kumpanei
gemein zu machen mit ihr. Sie ist Eure geringe Kettensklavin und versteht es als
edle Aufgabe, Euch nicht nur unterwürfig mit ihrem Leib zu dienen, sondern
ebensosehr mit ihrem Verstande. Und, soweit ich Euch kenne, seid Ihr einem guten
Scherze nie abgeneigt."
Die Fürstin war wieder zu Kräften gekommen, nickte, strich Granat über die
Wangen und sprach warm: "Wir werden uns wohl gut verstehen, du, Sklavin,
und ich, Deine gestrenge Herrin."
Granat sang nun ganz leise, doch beschwingt vor sich hin:
"Nur wenn du, Fürstin, an mir selbst Gefallen findest,
Nur dann bis du die rechte Herrin über mich,
Je strenger, fester und je härter du mich bindest,
Nun, desto härter, umso fester lieb ich dich -
Nun, desto fester, umso härter lieb ich dich!"
Die Fürstin schwieg lange, doch nach einer Pause straffte sie sich mit den Worten: "Die Abendtafel
ist, wie ich annehme, nun bereitet."
Sie öffnete die Türe ihres Schlafgemachs und ließ Granat in ihrem Birlik
hinaustreten, folgte ihr und hakte ihre Sklavin unter. Beide erreichten
gemessenen Schrittes, den der Birlik erzwang, den Wohnsaal des Sultans. Ehrfürchtig
stand die Tischgesellschaft, die fünf Sklavinnen der Sultansmutter
und die Mutter des Sultans selbst, auf, und wartete, bis sich Granat und ihre
Herrin gesetzt hatten.
Als die Speisen durch den tolpatschigen Speisenbringer gebracht waren und sich
alle darüber hermachten, stellte die Fürstin voll Stolz fest, daß sich ihre
Leibsklavin der allerbesten Tischsitten am Tische befleißigte. Gewiß war es
noch der Zwang des Birliks, der die Sklavin mit seinen Ketten nötigte, ihre
Arme streng abgewinkelt zu halten und sie keinesfalls auseinanderzubewegen,
doch Granats Herrin wußte, daß Granat, die ihren Birlik ja künftig fast ständig
zu tragen hatte, sich gezwungenermaßen diese Haltung zueigen machen und auch
später außerhalb des Birliks diesbezüglich keinen Anlaß zum Tadel geben
würde. Sie dachte bei sich, wievielen es guttäte, ein paar wenige Wochen im
Birlik zu verbringen und dort zu lernen, sich selbst zu beherrschen.
Schließlich war das Mahl beendet, und alle sahen gespannt auf die Fürstin und
ihre Sklavin. Rubin war die erste, die die Fürstin fragte, was alle bewegte:
"Werdet Ihr Eure Leibsklavin feierlich in ihr Amt einführen - wird es ein
Fest geben?"
"Ja", sprach diese, "morgen in einer Woche wird dies Fest
stattfinden! Ich bitte Euch alle, Euch nach Sonnenuntergang in festlichem Rahmen
in meinen Fürstensaal zu begeben. Meine Sklavin und ich werden auch bis dahin
am Palastleben teilnehmen, meine Sitzung wird selbstredend stattfinden, und meine Sklavin und
ich werden den Fastentag in unseren Masken mit Euch Mitsklavinnen begehen.
Bedanken möchte ich mich bei allen, die mir bei der Vorbereitung dieses großen
Ereignisses zur Hand gehen werden, und ganz besonders natürlich bei der Mutter
des Sultans, die mir ihren Palast mit seinen Räumen und den darin tätigen
Händen zur Verfügung stellt."
Nach dieser Förmlichkeit griff
man zum Weine, und Granat bewies eine außerordentliche Geschicklichkeit darin,
als manierliche und sittsame Sklavin in ihrem Birlik dazusitzen und doch trotz
aller Trinksprüche, die auf sie ausgebracht wurden und dem dementsprechenden
Zwange, ihr Glas zu leeren, immer wieder rechtzeitig aufs Neue ihr Glas zu befüllen.
Als der fröhliche Abend seinen Höhepunkt überschritten hatte und sich dem
Ende zuneigte, gab die Herrin ihrer Sklavin einen Wink, und beide erhoben sich,
dankten für die Gastfreundschaft und die Trinksprüche und begaben sich ins
Schafgemach.
Dort ließ die Fürstin Granat sich kurz zur Nacht bereiten; beide kleideten
sich aus, sanken tief erschöpft aufs Lager und schliefen sofort ein.
17. Kapitel:
Ledernes
Am nächsten Tage erwachte die Herrin, als der Müezzin schon zum zweiten Gebet
rief, das Haupt noch etwas schwer des roten Weines, betrachtete eine Zeitlang
ihre sanft schlummernde Sklavin in ihren Birlikketten mit Wohlgefallen, und erinnerte
sich an die Besuche beim Schuster und beim Schneider, die beiden noch
bevorstanden. Rasch kleidete sie sich an, berührte ihre Bettgefährtin, die
schlaftrunken Unverständliches brummte, wieder und wieder, bis diese sich dem
Schlafe entriß, einen Morgengruß murmelte, frische Gewänder ergriff, die ihr
zurechtgelegt worden waren, und entschwand, um sich selbst zum Tag zu bereiten.
Nach geraumer Zeit stand Granat wieder im Schlafgemach, und aus der schlafenden
Raupe war ein wunderschöner Schmetterling geworden, die Haare sorgfältig
gerichtet, bestens gekleidet in den frischen Gewändern und prächtig geschmückt in
ihrem glänzenden Birlik, den ihr ihre Herrin zu ihrem eigenen Bedauern nun
abzunehmen begann.
Die Fürstin sprach: "Laßt uns den Schuster besuchen - er wird dir den
Rahat, Köstek, die Huni und das Große
Züchtigungskorsett anfertigen - dies wird seine Zeit in Anspruch nehmen!"
Nun hatte die Neugier bei Granat entgültig die Oberhand über den Schlaf
gewonnen, und gespannt sah sie dem Besuche beim Schuster entgegen. Ihre Herrin
ergriff sie an der Hand, deren Freiheit die Dienerin sehr seltsam berührte, und
eingedenk der Fürstin Worte, völlige Freiheit sei die Bewährungszeit der
Sklavin, bemühte sie sich sehr, beim Gang durch den Palast Demut und
Unterwürfigkeit zu zeigen.
Der Schuster, der der Herrin Lob auf sein Werk, zu Zeiten, da diese noch selbst
eine Sklavin war, nie vergessen hatte, begrüßte beide sehr herzlich, hoffend,
mit seinen neuen Werken ähnliche Anerkennung zu finden wie damals.
"Trefflicher Schuster", hub die Fürstin an, "wir sprachen
gestern über den Rahat. Hier steht nun diejenige, die ihn tragen wird."
Der Schuster bat nun Granat, an die Stange zu treten, schlang dort einen breiten
Riemen um ihren Leib und die Stange und schloß ihn hinter ihr. Er sagte:
"Ich hab schon vorbereitet, was ich konnte", zog eine Lade unter
seiner Werkbank auf und holte den dort verwahrten Gegenstand hervor. Dieser
bestand aus schwarzen und dickem, doch nicht zu hartem Leder, und seine
Bestimmung war unschwer zu erraten: Er war eine feste Verbindung zwischen Hals
und Händen.
Der Schuster begann sofort, das Geschirr, das der Rahat werden sollte, Granat um
den Hals zu legen, markierte mit Schusterkreide zwei Stellen an ihm hinter ihrem
Nacken, und legte es auf seine Werkbank. Nun befestigte er mit zwei Nieten eine
kleine hervorstehende Eisenöse auf der ersten Markierung - der Schusterhammer klopfte
fröhlich - und schnitt schließlich auf der zweiten Markierung mit einem
scharfen Messer einen senkrechten Schlitz ins Leder. Geübt griff er sich die
Lochzange und stanzte an den Enden des Schnittes zwei Löcher ins Leder.
Als er
die bewundernden Blicke der Herrin und ihrer Sklavin im Rücken spürte, knurrte
der Fachmann: "Damit es nicht ausreißt!" Er kramte ein kleines
Schloß hervor, legte den Lederring erneut um der Sklavin Hals, die von
selbst das Haupt neigte, zog in ihrem Nacken die Öse durch den Schlitz, das
Schloß durch die Öse und drückte es zu. "Paßt er genau?", wollte
der Schuster von Granat wissen, "Dies ist wichtig, denn Eure Herrin gab mir zu
verstehen, Ihr werdet den Rahat nächtelang zu tragen haben. Er soll Ihnen
so viel Behaglichkeit schenken sein wie möglich!"
"Es paßt
wirklich genau! " sprach Granat, und der Schuster fuhr mit seinem Werke
fort. Am Halsgurt waren etwas seitlich mit zwei Nieten zwei Lederbänder
angebracht, etwas mehr als fingerlang, die beide in einen großen eisernen Ring mündeten. An
diesem Ring waren zwei kurze Gurte angebracht, die der Schmied,
nachdem er die Sklavin gebeten hatte, sie gen Halse zu richten, ebenso markierte
als er es mit dem Halsring getan hatte. Er nahm ihr den künftigen Rahat ab,
befestige zwei Ösen an den Handringen, schnitt sie ein, lochte sie, kramte zwei
weitere Schlösser aus den Tiefen seiner Werkbank, legte das Ganze Granat um
Hals und Hände, schloß es ab und sprach kurz: "Gut?" "Ja, sehr
gut!", antwortete Granat, und ihre Herrin sprach: "Ihr seid ein
erfahrenen Schuster, Ihr wißt, wo der Leisten drückt. Ihr wißt ja auch, daß
Schusterwerk sich einzutragen hat. Meine Dienerin wird noch heute den
Rahat eintragen, dann wissen wir mehr."
Der Schuster bemerkte: "Kommt des Nachmittags wieder! Dann geht's an die
Köstek, die Huni und das Große
Züchtigungskorsett", löste Granat von der
Stange und nahm ihr den Rahat ab. Er überreichte das Geschirr ihrer Herrin, und
diese führte ihre Dienerin aus der Werkstatt.
Nun ging es zum Schneider, der beide ebenfalls schon erwartet hatte. Der
Schneider kannte Granats Maße schon sehr genau, da er ein sehr
gewissenhafter Handwerker war und in ein großes Buch mit säuberlicher Schrift
alle Maße seiner Auftraggeberinnen einzutragen pflegte. Er hatte es zur
Meisterschaft darin gebracht, wunderschöne Kleider zu entwerfen und zu
schneidern, die es der Trägerin gestatteten, sie dank verdeckter Knopfleisten
auch kettentragend an- und wieder auszuziehen, und war darum zum Lieblingsschneider
aller Sklavinnen im Palaste geworden.
Die Fürstin ließ sich nun vom
Schneider Tuchrollen aus feinster chinesischen Seide zeigen und entschied:
"Das Festtagskleid meiner Sklavin wird aus drei Teilen bestehen. Sie wird
einen weiten Rock tragen aus schwärzester Seide, ihr Oberkleid jedoch wird aus
allerreinstem Weiß bestehen. Und schließlich wird sie eine rote Schärpe
tragen." "Ebenholz, Schnee und Blut", sagte der altgediente, mit
den Farbwünschen seiner Kundschaft bestens vertraute Schneider. Die Herrin
überließ ihre Sklavin der Obhut des Schneiders, dem die Aussicht, ein
Festtagsgewand zu schneidern, rote Flecken freudiger Aufregung auf seine Wangen
zauberte, und der sich sofort an die Arbeit machte.
Die Fürstin strebte nun ihrem Schlafgemach entgegen, wo Baulärm zu vernehmen
war. Sie hatte Anweisung gegeben, das Nachbargemach, das ihr für ihre Sklavin
überlassen war, in zwei Räume zu teilen, in die große
"Himmelszelle", wie sie es nannte, und in die kleine "Höllenzelle". Die
Himmelszelle mit den großen Fenstern wurde als ein heller, freundlicher Raum
errichtet mit einer versteckten Türe nach draußen, zu einem verschwiegenen,
efeuumrankten Balkon. Vier weiße Säulen taten in der Himmelszelle so, als
stützten sie die Decke, doch waren sie nur die Eckpfeiler einer großen
Lagerstatt, die die Mitte des Raumes bildete. In jede Säule war ein glänzender
eiserner Ring eingemauert.
Die Höllenzelle jedoch war fensterlos. Die Fürstin ließ kleine Nischen
mauern, um die Höllenzelle mit dort angebrachten Kerzen erleuchten zu
können. Auch war hier der Schreiner mit seinen jungen Gesellen, die
allesamt fast noch Knaben waren, tüchtig bei der Arbeit. Eine Unzahl düsterer,
etwas unfreundlich wirkender Gerätschaften mit eisernen Ringen und Ketten wurde
in die Höllenzelle geschafft und dort angebracht. Die Herrin betrachtete mit
Wohlgefallen den Fortschritt der Arbeiten.
Als die Mannschaft des Schreiners ihr Werk vollendet hatte, rief die
Höllenzelle durchaus den Eindruck einer Folterkammer aus versunkener Zeit
hervor. Gruslige Gegenstände befanden sich nun darin, eine Streckbank, ein
Andreaskreuz, ein Pranger, zwei lange Ketten, die von der Decke herabhingen;
selbst ein Strafbock mit Hals- Hand- und Fußlöchern harrte einer Gefangenen.
Nur eine einzige Ecke war noch frei, und die Fürstin ließ den Grobschmied
kommen. Die Scheinergesellen ließ sie ein lederbezogenes Brett auf dem
Fußboden anbringen und befahl nun dem Grobschmied, einen engen eisernen Käfig
darüber zu schmieden, nicht leicht, geschwungen und luftig, wie es ihr eigener
Vogelkäfig gewesen war, sondern viereckig und nur zwei Fuß hoch. Sie malte es
sich in freudiger Erwartung aus, wie die helle Haut ihrer Sklavin zwischen
dem Käfiggitter herausschimmern würde, besann sich doch sogleich wieder auf
ihre weiteren Pflichten.
Sie begab sich zum Schneider, der eben
das Festtagsgewand sozusagen fertiggestellt hatte. Nun, die Teile, aus denen es
bestand, waren mit Heftgarn noch festgesteckt, allein der Wirkung tat dies
keinen Abbruch. Der schwarze Rock stand in reizvollstem Widerspruche zu Granats
elfenbeinerner Haut, und hinter dem durchsichtigen weißen Seidenoberteil
schimmerte ihre Brust. Granat war eben dabei, vor dem großen Spiegel des
Schneiders zu posieren und eine Schleife in ihre rote Schärpe zu binden, als
ihre Herrin, zart ihre Schulter berührend, sie ansprach: "Wir haben den
Schuster noch zu besuchen, liebe Dienerin". Granat überließ dem Schneider
Festtagsgewand und Schärpe, zog sich artig an und folgte ihrer Herrin.
Der Schuster ließ Granat, die sich doch soeben so züchtig bekleidet hatte,
sich splitternackt ausziehen, doch sah er sie um keinen Deut anders an, als er
nackte Füße anzublicken pflegte. Seine Aufgabe war, Leder zu schneidern - was machte es
für einen Unterschied, ob er streng riechende Soldatenfüße mit Stiefeln
versah oder einen weißen Frauenkörper mit einem Züchtigungskorsett. Dies
hatte er bereits vorbereitet und zog es der Sklavin an. Es war aus feinstem
weichen Lammleder gearbeitet, reichte von ihren Knien bis zum Halse, saß recht eng und ließ Granats Gesäß und Brust
frei. Es wurde hinter ihrem Rücken und unterhalb ihres Gesäßes mit vielen
Lederriemchen zusammengeschürt. Nach ein paar wenigen Verbesserungen hatte das Korsett einen nicht zu
übertreffenden Sitz, und der Schuster sprach, er mache sich nun an die Huni.
Granat kannte "Huni" nur aus der Küche, es waren Trichter, in denen
man Flüssigkeiten umgoß oder Mehl einfüllte. Dies äußerte sie auch ihrer
Herrin gegenüber, die jedoch sprach: "Wenn du stehend für mich oder
andere ausgestellt wirst, oder wenn du stehend gezüchtigt werden wirst, werden
dir deine Hände weggenommen werden. Sie werden mit Ketten zur Decke hin
befestigt, und gewöhnliche Armbänder werden hierbei sehr schnell lästig und
schnüren dich ab. Doch die Huni, die ledernen Trichter, werden deine Hände
liebevoll umfangen, wenn du in lustvollem Schmerze dich windest, sie werden dich
tragen und dir Halt und Stütze sein."
Der Schuster setzte sich an die Werkbank und winkte die Sklavin zu sich. Diese
konnte, eingesperrt in das enge Korsett, ihre Beine nur abwärts der Knie
bewegen und trippelte vorsichtig der Werkbank entgegen. Auf diese legte der
Schuster nun Granats rechte Hand und schlang ein breites Lederband um sie,
markierte mit Schusterkreide, nahm das Band wieder ab, schnitt und nietete. Mit
ihrer Linken verfuhr er in derselben Weise, und als er das Werk schließlich
vollendet hatte, legte er beiden Händen die Hunis an, zog einen Ledergurt durch
die beiden großen eisernen Ringe, die an den Hunis angebracht waren, befestigte
den Gurt an seiner Werkbank und ließ Granat in den Hunis nach Leibeskräften
daran ziehen.
Granat spürte, wie geschickt die Huni gearbeitet waren, die an den Gelenken eng
waren und dann breiter wurden, und die sich im Zuge an ihre Hände schmiegten,
denn sie konnte ohne Schmerz und Einschnürung ihre Kraft in diesen Zug legen
wie, die Beispiel fiel ihr ein, wie Zugochsen in einem gutgearbeiten Joch. Wie sie so
dastand und zog und zog, hatte der Schuster bereits wieder Lederbänder
ergriffen und kniete am Boden, um ihren Fußgelenken Köstek
anzupassen. Sie waren mit Schlitzen und Eisenösen in gleicher Weise gearbeitet
wie der Rahat, das Geschirr, dessen Aufgabe es war, ihre Arme und den Hals zu
verbinden. Granat hatte wieder die Köstek der Weidetiere im Kopfe und sprach:
"Recht so, ein Zugochse braucht auch Ruhe und Fressen".
"Na", lachte die Herrin, "du scheinst ja die Gabe des Weissagens
zu besitzen, denn einen kleinen Happen, einen Lokma, haben wir schon
vorbereitet". Der Schuster zog an den Griff einer großen Lade unter seiner
Werkbank, die sich ächzend öffnete. Er griff hinein und zog einen Gegenstand
heraus, der gewiß der Lokma war. Der Lokma bestand zunächst aus einem Gurt, in
den ein Knebelchen eingearbeitet war; an dem Gurt waren zwei kleine Riemen mit
Nieten befestigt, die durch eine dritte Niete zusammengehalten wurden, an der
schließlich ein weiterer Gurt hing.
Der Schuster, der befürchtete, Granats Haartracht zu beschädigen, übergab den
Lokma ihrer Herrin, die nun begann, mit ihm das Haupt der Sklavin zu schmücken.
Granat öffnete ihren Mund etwas, und die Fürstin schob ihr das Knebelchen
hinein. Sie führte an dem Mundgurt angenieteten kleinen Riemen links und rechts
an ihrer Nase nach oben, bis die dritte Niete auf ihrer Stirn lag, und führte
nun den dort angebrachten Gurt über Granats Haupt nach hinten, vorsichtig
bemüht, Granats Haartracht nicht zu zerdrücken oder gar zu zerraufen. In ihrem
Nacken wurde der Mund- und der Stirngurt verbunden und mit einem Schlosse
abgesperrt. Granats Herrin sprach zu ihrer Sklavin: "Oft ist Reden Silber und
Schweigen Gold". Granat nickte mit zwinkernden Augen und wer sie nur ein
klein wenig kannte, ahnte, wie sich auf ihren hinter dem Lokma versteckten Mund
ein wissendes Lächeln zauberte.
Nun standen die drei ein wenig verloren in der Schusterwerkstatt herum, der
Schuster, dem es unpassend erschien, sich sogleich an die Reitstiefel zu machen,
die er heute noch anzufertigen hatte, die Herrin, die ihre Sklavin buchstäblich
zum Schweigen gebracht hatte, nun mit ihr keine Unterhaltung mehr beginnen
konnte und Fachsimpeleien mit dem Schuster vermeiden wollte, und schließlich
Granat, unbeweglich, Köstek an den Füßen, in das enge Korsett geschnürt, die
Hände in den Huni Richtung Werkbank gestreckt und den Lokma vor und in ihrem
Mund.
Doch alle drei wußten, wie wichtig eine Anprobe war, und so legte der Schuster
sich in Gedanken schon das Leder für die Reitstiefel zurecht und überlegte,
wie er beim Ausschneiden möglichst geschickt vorzugehen habe, denn die Reste
durfte er behalten. Er handelte ein wenig mit diesen Stücken, und so konnte er
sich ab und zu einen Schluck Raki oder ein Wasserpfeifchen mit seinen Freunden
gönnen, und seine Frau wußte nichts davon.
Der Herrin Gedanken schweiften bereits zur großen Feier, die Granat bevorstand,
und sie überlegte, was bis dahin noch zu tun sei. Granat selbst versuchte, so
empfindlich zu sein wie irgend möglich; sie dachte an die Prinzessin, die eine
Erbse unter einem Dutzend Matratzen aufspürte und achtete peinlich auf jedes
Zwicken und Drücken, das vom Schusterwerk ausginge. Doch, Allah zum Danke, paßten ihr
Köstek, Korsett, die Huni, an denen sie immer wieder heftig gezogen hatte, und
der Lokma wie angegossen, und erst als sie sicher war, keine unangenehmen
Überraschungen von diesen Gegenständen mehr erwarten zu müssen, nickte sie
heftig.
Ihre Herrin band ihr nun das Korsett auf und nahm es ihr ab, löste den Köstek
von ihren Füßen, nahm
die Huni und den Lokma ab und sprach, während sich Granat ankleidete, zum
Schuster: "Vortreffliche Arbeit habt ihr geschaffen, doch der Rahat bedarf
noch der Prüfung!" Der Schuster, schon ganz in Gedanken bei seinen
Reitstiefeln, reichte der Herrin stumm den Rahat, der in einer Ecke der Werkbank
lag.
18. Kapitel: Der Schreiner
Diese wandte sich an ihre Sklavin und sprach: "Willst du ein wenig
Tee?" "Gewiß", antwortete diese, und in stillem Einverständnis
verließen beide die Werkstatt, strebten zur Küche und betraten das kleine
Gelaß, das ihnen schon ein wenig vertraut war. Dort legte die Herrin den Rahat
auf den Holztisch, und Granat führte gehorsam ihre Hände zu Halse, auf daß
man ihn ihr anlege. Nachdem dies geschehen war, verschwand die Herrin kurz nach
draußen und erschien kurze Zeit wieder mit einem Speisenbrett. Dies trug zwei
aufeinandergesetzte Kannen mit heißem Wasser und Tee sowie zwei goldgeränderte
Tulpengläser mit silbernen Löffelchen und ein Tellerchen mit Zucker.
Die Herrin mischte Tee und Wasser, fragte nach der Menge Zucker, die Granat
wünschte, rührte um, fühlte am Tulpenglase, bis sich der Tee soweit
abgekühlt hatte, daß sich Granat damit nicht verbrühte, und flößte ihrer
Dienerin dann den heißen Tee Schluck für Schluck ein. Nun dachte sie auch an
sich selbst und trank ihren Tee. Dies wiederholte sich, bis die Kannen geleert
waren, und die Fürstin schließlich von Granat erfragte, wie sich denn der
Rahat trage.
"Er trägt sich so sehr gut, Herrin", antwortete diese, "doch ist
nun gerade ein Stündlein verstrichen und ich soll ihn doch oft nächtelang
tragen!" "Ich verstehe gut", sprach die Fürstin, "du
ängstigst dich, er könne dir nach langen Stunden das Blut abdrücken in der
Beuge deiner Arme! Doch siehe selbst, es ist vorgesorgt. Die Hände ruhen nicht
direkt am Halse, zwei Riemchen geben Spiel - und zwar genug, ich weiß wovon ich
spreche.". Die Herrin trug dies so überzeugend vor, daß Granat ihr
vertraute und sich fragte, wann ihre Herrin denn selbst den Rahat getragen hatte
und beschloß, sie werde es herausfinden.
Die Fürstin nahm ihr nun den Rahat ab, schob das Teegeschirr zur Seite,
verschwand kurz nach draußen und kehrte kurz darauf mit einem neuen
Speisentablett zurück, auf dem sich zwei Gläser mit einer trägen Flüssigkeit
darin sowie eine kleine Karaffe mit Wasser befanden. Sie sprach: "Liebe
Granat und meine zukünftige Sklavin, die Anproben sind nun beendet. Du wirst die
Woche bis zu deiner großen Feier vollkommen in Freiheit verbringen - du sollst
Abstand gewinnen zu deinen alten Sklavenketten und dich freuen auf eine neue
Zeit."
Sie goß das Wasser in die Gläser, und die träge Flüssigkeit darin wurde
plötzlich trübe. "Löwenmilch!", lachte Granat, und ihre Herrin
verbesserte ebenso lachend: "Löwinnenmilch! Oder hast du schon mal einen
Löwen Milch geben gesehen?" und beide stießen an und tranken auf ihre
gemeinsame Zukunft.
Nachdem Herrin und Sklavin ihre Gläser ausgetrunken hatten, verließen beide
einträchtig das kleine Gelaß und schritten zur Werkstatt des Kunstschreiners,
der sich, wie der Einrichtung der Werkstatt unschwer zu entnehmen war, auf das
Erstellen von Einlegearbeiten verlegt hatte. Sie war vollgestellt mit
Schränken, Kästen und Truhen, Tischen und Tischlein, großen und kleinen
Kassetten, kleinen, kleinsten, allerkleinsten und noch klitzekleineren Kästchen
und hölzernen Döslein.
Der Kunstschreiner stand an einem großen Schrank und
fügte sorgfältig Holzplättchen an Holzplättchen. Herrin und Sklavin warteten
geduldig, bis er seine Arbeit zu unterbrechen wagte, und als dies schließlich
geschah, sprach die Fürstin zum Schreiner: "Meine Sklavin hat sich neu
einzurichten. Sie wird einen großen Schrank benötigen für ihre Kleider und
Gewänder, eine Kommode für ihre Wäsche, ein Nachtkästlein für ihre
Siebensachen, manch andres Kästchen und Döslein wohl, und eine
Schatztruhe für ihre Sklavendinge". Der Schreiner sprach erwidernd:
"Den Schrank und all die anderen Dinge wählt Euch bitte aus dem, was
reich vorhanden hier herumsteht. Doch eine Schatztruhe ist nicht im Vorrat - bei
diesen Zeiten!"
Die Zeiten konnten so beschaffen sein, daß Milch und Honig flossen, und er
hätte nichts anderes von sich gegeben, denn den Schreiner, der für den Palast
auf eigene Rechnung arbeitete und nicht schlecht dabei fuhr, plagte fortwährend
nichts mehr als die Furcht, man könne ihm sein Einkommen neiden, und so pflegte
er die Zeiten, die Löhne der Gesellen und die Preise für sein Holz
beständig schlimmzureden, und er legte dabei sein Gesicht in kummerselige
Falten.
Die Fürstin sprach ein wenig von oben herab: "Um den so schlechten Zeiten
etwas entgegenzuwirken, hätte ich einen Auftrag für einen Kunstschreiner -
eine Schatztruhe".
Das Kummergesicht des Schreiners hellte
sich auf und nahm plötzlich einen freudig gespannten Ausdruck an, er selbst
winkte Granat und ihre Herrin zu einem von ihm geschaffenen Tisch mit Stühlen,
holte Bleistift und Papier, legte beides auf den Tisch, trat hinaus auf den Gang
vor seiner Werkstatt und wies den ersten Diener, dem er dort begegnete, an,
Apfeltee zu bringen. Als der Apfeltee, vorgesüßt, in schmucklosen Tulpengläsern
auf dem Tische stand, konnte man beginnen, das Geschäftliche zu regeln.
Die Fürstin erläuterte nun mit einem Tone, der auch seitens des Schreiners
keinen Widerspruch duldete, wie sie sich die Schatztruhe ihr vorzustellen
beliebte. Sie habe auszusehen wie eine Seeräubertruhe, beschlagen mit Eisen, doch
solle der Raum unterhalb des der halbrunden Deckels nur etwa Spannenhoch dein.
Den Rest des Raumes innerhalb der Truhe sollten sich drei Schubladen teilen, und
sowohl der Kasten unterhalb des Deckels als auch die Schubladen sei mit
Sammet auszukleiden.
Der Schreiner, der sich als schöpfender
Künstler verstand und Auftragswerke ungern annahm, und, wenn er es tat, es sich
gut bezahlen ließ, wiegte bedenklich sein Haupt und meinte: "Sammet ist
schwer zu bekommen in diesen Zeiten".
Voller Hohn antwortete ihm die Fürstin: "Ich habe einen guten Rat für
ihn. Er möge doch bitte die lange, beschwerliche und gefährliche Reise zum
Großen Basar antreten und sich dort zu der Straße der Sammethändler
durchfragen. Er wird dort einen Händler finden, dessen Ware vor seinen Augen
Gnade finden wird, und - Allah ist allmächtig und unergründlich sind seine
Wege - es wird sein eigener Schwager sein, den er täglich im Teehause zu
treffen pflegt. Er wird dem Schwager das Sammet abkaufen, der Schwager wird ihm
eine Rechnung über eine Summe ausstellen, für die man die Straßen
Konstantinopels mit Sammet pflastern könnte, und er wird seine Schritte
heimwärts lenken und meine Schatztruhe fertigstellen."
Der Schreiner war etwas beschämt, da man seine Gedanken erraten hatte und
sprach "Ihr bekommt die Truhe zum Freundschaftspreis. Und kein Wort über
meinen Schwager." "Welchen Schwager?", fragte die Fürstin, und
der Schreiner wars zufrieden.
19. Kapitel:
Der Teppich
Am nächsten Tage zur frühen Nachmittagsstunde begaben sich die Herrin und ihre Sklavin
in das Schlafgemach, und die Herrin fühlte, wie ihr Herz pochte. Sie wußte, eine der
Prüfungen des Lebens stünde
ihr nun bevor, denn dies war die Stunde des Teppichhändlers. Sie hatte ihn
- bei Allah - nicht bestellt, doch der Teppichhändler hatte, die
Ohren seinesgleichen waren ja überall, wohl Wind bekommen von der
Baustelle und der Notwendigkeit, dort einen Teppich zu legen. Seine Gehilfen
hatten bereits eine Unzahl von Teppichrollen vor ihr Gemach geschafft, und, als
Herrin und Sklavin dort eintrafen, begann der sie erwartende Teppichhändler
sofort beredt, die Vorzüge seiner Teppiche zu preisen.
Er sprach angewidert von billigem Schund, der anderorts angepriesen würde,
rühmte die Doppelknüpfung seiner Ware, die, wie er versicherte, länger hielt,
als die Sonne Strahlen zu senden imstande sei, entlarvte seine
Konkurrenten, die, "sogenannten", wie er genüßlich hinzufügte,
Teppichhändler, die ahnungslosen Leuten ihren Schmutz andrehten, als
Scharlatane, und stellte fest, daß er seine Teppiche nur ungern verkaufe, da
ihm jedes Stück ans Herz gewachsen sei.
Seine Teppiche hätten, was ein Blick darauf nur allzu verständlich mache,
naturgemäß ihrer Preis, da er nicht auf den Märkten
der Großhändler einkaufe - "Ihr
werdet nicht glauben", sprach er vertraulich, "was da alles angeboten
wird", sondern er kenne alle seine Teppichknüpferinnen persönlich und
zahle ihnen einen anständigen Lohn, der es ihm erlaube, nur die allerbesten
Stücke in seinem Angebote zu haben.
Er erbot sich nun, den neugeschaffenen Raum mit seinen Teppichen zu belegen, auf daß die Pracht und Herrlichkeit seiner Ware da zur Geltung käme, wo sie auch künftig zu liegen hätte. Die Fürstin willigte ein, da dem Raume ein Teppich wahrlich nottat, und sie wußte, daß ihr dazu ein einziger Teppichhändler reichte - mehr hätte sie nicht verkraftet.
Die Herrin öffnete die Türe zur
Himmelszelle, und die Gehilfen des Teppichhändlers breiteten so schnell und
geschickt den ersten
Teppich über den nackten Fußboden - sie warfen ihn nach vorne in die Luft und ließen ihn sich selbst entrollen -
, daß man glauben konnte, Allah selbst habe einen
Goldregen über die Erde geschickt.
Der Teppichhändler sprach ohne Unterlaß, über die feine Wolle, die er aus den
Bergen bezog, über die Färber, die er unter Vertrag habe, und die nur die
feinsten, besten und haltbarsten Farben verwendeten - er habe ein gestrenges
Auge darauf, da die Grundlage seines Geschäftes nicht die Masse und der Preis,
sondern die unvergleichliche Güte sei - und schließlich über seine
Teppichknüpferinnen. Er ließe sie in seinem Betriebe das Knüpferhandwerk
lernen - wie er einflocht, sei er ja in erster Linie Teppichproduzent und erst
in zweiter Linie Händler, doch was nützten all die feinen Teppiche, wenn man
sie nicht auch verkaufe - und, wenn sie zu ihren Familien in die armen
Landstriche zurückkehrten, einen von ihm zur Verfügung gestellten Knüpfrahmen
im Gepäck, fertigten sie voll Dankbarkeit, einen nicht unbeträchtlichen Teil
zum Einkommen ihrer Familien beisteuern zu können, ihm Teppiche von
unvergleichlicher Schönheit, Pracht und Güte.
Die Fürstin war überzeugt, daß der Teppichhändler geschmeidig genug war,
einer weniger gutbetuchten Kundschaft, als es der Sultanspalast war, gerade den
günstigen Preis seiner Ware herauszustellen, ließ ihn jedoch in seinen
Ausführungen weiterfahren. Er wies auf den Goldregenteppich und sprach von den
Safranfarben, die schon seit Menschengedenken Verwendung fänden, denn Teppiche
seien schon seit jeher ein Schatz der Völker gewesen, vererbt von Geschlechte
zu Geschlecht. Doch die Herrin war nicht sehr überzeugt, da sich der Goldregen
bei näherer Betrachtung doch als recht gelb erwies.
Den Händler verdroß dies in keinster Weise, da er ein geschickter Kaufmann war
und es verstand, das Interesse seiner Kundschaft durch Steigerung zu wecken, und
sich die wirklich schönen - und teuren - Stücke seiner Sammlung für später
aufzuheben pflegte. Die Gehilfen rollten also in Blitzgeschwindigkeit den
Goldregen wieder zusammen und ließen schon das nächste Stück über den Boden
gleiten. Dies zeugte in seinen Farben schon von etwas mehr Geschmack, doch war
es von einer Art, wie es zu Dutzenden in den Wohnräumen der zu etwas Wohlstand
gekommenen Bürger herumlag, die auch stolz in ihren Schränken ihre sechs
goldgeränderten Teegläserchen auf gläsernen Tellerlein mit ihren silbernen
oder vergoldeten Löffelchen hinter Glas dem Besucher zur Ansicht
freizugeben beliebten.
Der Teppich, der also auch keine Gnade fand vor dem gestrengen Blick der
Fürstin, wurde blitzschnell eingerollt, und es folgte schon der nächste, der
übernächste, der überübernächste und der überüberübernächste. Die Ware
des Händlers gewann an Klasse, und nun waren schon gute und edle Stücke zu
besichtigen. Der Händler versäumte nun nicht, zu jeder seiner nun auch
preislich hochwertigen Ware die Geschichte deren Entstehung preiszugeben.
Es waren nur noch wenige Rollen übrig, und als die Gehilfen einen weichen
Teppich entrollten, der etwas anders aussah als alle anderen, trat auch die
Sklavin, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, hervor und betrachtete
ihn mit Wohlgefallen. Der Händler spürte das Interesse an seiner Ware und
erklärte: "Dies ist eine wahrhaftes Einzelstück; den Kennern" - so
schmeichelte er Granat und ihrer Herrin - "fällt dies gleich auf. Es ist
dies der Teppich meiner begabtesten Knüpferin, und sie war in ihrer Lehre
voller Sehnsucht nach ihrem Heimatdorfe und knüpfte um das Muster herum all die Häuser ihres Dorfes. Hier
seht Ihr die bescheidene Moschee mit ihrem Kuppeldache, hier die kleine Schule,
dort die Bauernhäuser, klein, doch keines dem anderen gleich, das
Teehaus, und, dies
etwas stattlichere Haus, dies ist das Haus des Bürgermeisters, des
Muhtar."
Granat hatte sich sofort in diesen Teppich verliebt, und ihre Herrin, die dies
spürte, sprach zu ihr mit ihren Augen: "Dieser Teppich wird dein Eigen
werden, doch zeige dein Begehren nicht so deutlich, den Handel mit dem
Teppichhändler, den überlasse getrost mir."
Der Teppichhändler führte nun unverdrossen auch den Rest seiner Ware vor, unter
denen sich schöne und wertvolle Stücke befanden, doch kein Teppich war so
einzigartig wie der mit den Häusern des Dorfes. Die Fürstin deutete nun
vorsichtig ihr Interesse an einem Kaufe an, interessierte sich jedoch mal für
das eine, mal für das andere Stück. Wie zufällig zog sie dabei sie auch das
Kunstwerk mit den Häusern in Betracht und ließ sich den Preis nennen. Er war
natürlich viel zu hoch, und das Spielchen des Feilschens konnte beginnen.
"Es ist ja beim Handel immer dasselbe", dachte die Herrin bei sich,
"der geforderte Preis liegt gewöhnlich genau um die Hälfte über demjenigen, den der Händler zu erzielen gewillt ist, und unter dem er seine
Ware auch nicht loszuschlagen bereit ist. Der Kunde bietet ein Drittel davon,
und wundersamerweise einigt man sich nach zähen Verhandlungen auf genau den
Preis, den Verkäufer und Käufer zu Beginn schon kannten."
Es wurde also gefeilscht, was das Zeug hielt, der Teppichhändler klagte über
seine immensen Auslagen und die Kosten, die erstklassige Ware nunmal mit sich
brächte, und warf ein, der Sultanspalast verfüge doch über genug Mittel, um
ihn zufrieden zu stellen. Die Fürstin hingegen beklagte, die Ausgaben des
Sultanspalastes würden von einem kleinlichen, pedantischen und geizigen Stab
von Rechnungsführern überwacht, die ihr bei zu hohen Ausgaben Schwierigkeiten
in unermeßlichem Ausmaße zu bereiten gewohnt wären, und nach einigem Hin und
Her einigte man sich schließlich auf den Preis in der Mitte.
Der Teppichhändler nahm nun die Goldmünzen in Empfang und schrieb nun wie
gewohnt die
Rechnung säuberlich in zwei Ausfertigungen aus, die erste mit einer Summe, die etwas über
dem bezahlten Preis lag, für die Fürstin, und die zweite mit einer Summe, die
darunter lag, für seine Bücher.
Daraufhin zog er sich zufrieden mit seinen Gehilfen, die die übrigen
Teppichrollen schon weggebracht hatten, zurück, nicht ohne hinzuzufügen, wie
begeistert man von seiner Ware sein und ihn gewiß schon bald wieder für einen
neuen Kauf rufen werde.
20. Kapitel:
Das Unwetter
Am darauffolgende Tage besuchte die Fürstin den Goldschmied und bestellte dort
den Schmuck, den sie ihrer Sklavin zur Einführung in ihr Amt zu schenken
gewillt war.
Nun wurde der Barbier aus Bagdad aufgesucht, und die Herrin bat ihn, den Tag der
feierlichen Aufnahme sich freizuhalten für ihre Dienerin.
Dann gings zum Schuster, der ungewohnt guter Laune war. Er war beim Zuschnitt
der Reitstiefel sehr geschickt vorgegangen und konnte große Stücke
zurückbehalten, die er einem Flickschuster bereits verkauft hatte. In seiner
Schustertasche klimperten fröhlich die Geldstücke, und der Schuster fragte
nach dem Begehr.
Die Herrin erläuterte ihm die Notwendigkeit einer Züchtigungspeitsche für die
nahende Feier und bat ihn, zusammen mit dem Stahlschmied - sie wünschte
nämlich einen glänzenden Griff aus Stahl - ein derartiges Kunstwerk
herzustellen. Sie fügte hinzu, es solle das Szepter einer Fürstin sein und
einer zarten Sklavin dienen - nicht einem Wasserbüffel. Der Schuster
versicherte, sein Bestes zu geben, erklärte, der Stahlschmied und er seien
ein gutes Gespann, und beide hätten gemeinsam schon viel Schönes geschaffen.
Granat wartete unterdessen in ihrer Himmelszelle auf dem neuen, wunderbar
weichen Teppich, betrachtete die Häuser des Dorfes der unbekannten
Teppichknüpferin, und war ihrer ungewohnten Freiheit gar nicht froh. Sie hatte
natürlich bereits versucht, in die Höllenzelle zu spähen, doch die Tür war
abgeschlossen, und, da der Raum ohne Fenster war, konnte man auch durch das
Schlüsselloch nichts erkennen.
Sie stellte sich in wohligem Grusel schlimme Dinge vor, die sich künftig darin
abspielen würden. Ein paar Gegenstände, die die Lehrknaben in die Höllenzelle
geschleppt hatten, hatte sie wahrgenommen, und so stellte sie sich immer wieder
von neuem vor, wie sie nackt in den unbequemen Strafbock geschlossen und zu
Recht für mangelhaftes Betragen von ihrer Herrin gepeitscht wurde. Jedesmal gab
es einen neuen Grund.
Wie sie so vor sich hinsann, hatte sich unbemerkt das Firmament vor den Fenstern
der Himmelszelle verdüstert, und als sie spürte, wie etwas an ihr feucht
wurde, zuckte ein heller Blitz, und fast gleichzeitig tat es einen
infernalischen Knall. Voll Angst hielt Granat in ihren Träumen inne, als
fürchtete sie, ihr zürnte Allah. Doch im selben Moment betrat ihre Herrin ihre
Zelle, lächelte ihre Sklavin an, die sich vor sie hinkniete, und sprach:
"Du bist wohl recht erschrocken!". Granat, die noch blasser geworden
war als sonst, nickte, und die Fürstin sprach: "Es ist nur ein Unwetter!
Laß uns dies Spektakel nicht entgehen!"
Sie öffnete die verborgene Tür zum kleinen Balkon. Er war wohl in alter Zeit
ein hölzerner Altan mit kleinen Fenstern gewesen, doch der Lauf der Zeit hatte
das Holz der Wände verfaulen lassen. Stattdessen rankte sich Efeu um den Balkon, schon
fast wieder so dicht, als es die alten Hölzer gewesen waren. Das alte Dach
stand noch und bot Schutz vor dem prasselnden Regen, der nun plötzlich
einsetzte. Die Herrin faßte ihre etwas furchtsame Sklavin an der Hand, und
beide traten nun hinaus. Zuckende Blitze wechselten sich mit Donnerschlägen ab,
mal schneidend und grell, mal dunkel grollend.
Im Licht der Blitze konnte man die ungeheuren Wassermassen erkennen, die sich
von oben ergossen, und Granat faßte ein tiefes Vertrauen zu ihrer mutigen
Herrin, die ihr die Hand hielt, während wahre Sturzbäche von den Dächern
herniederschossen.
Ein Viertelstündlein dauerte der Spuk, dann leuchteten die Blitze nur noch
matt, und auch die Donner verloren ihre Kraft. Der Regen wurde schwächer,
hörte schließlich ganz auf, und die Vögel begannen wieder zu zwitschern und
zu singen. Die Sonne, die wohl auch nicht besonders mutig war und sich nun
wieder hervorwagte, tauchte die nasse Welt in silbrig spiegelnden Glanz, und die
Luft war klar und rein wie selten.
Die Fürstin lud nun ihre Sklavin zu einem Mahle ein, und als man dem kleinen
Gelaß bei der Küche entgegenschritt, legte ihre Sklavin die Hände auf den
Rücken und stellte sich vor, den Hareket, ihr stählernes Geschirr für
Unterwegs, zu tragen. Bald war es ja, Allah sei Dank, soweit, die sogenannte
Freiheit, die ihr nur wie Einsamkeit voller Sehnsucht vorkam, verloren zu haben
und all die herrlichen Dinge tragen zu dürfen, derer sie bereits ansichtig
geworden war.
21. Kapitel: Der Schönschreiber
Nun war bereits der Tag vor dem großen Feste
angebrochen, und Granat war vor freudiger und doch banger Spannung. Sie war ein
wenig abergläubisch und fürchtete, bei allzugroßen Erwartungen nur
enttäuscht zu werden. Sie hatte es zu oft erlebt, daß freudige Dinge
unerwartet geschahen, und Ereignisse, die zur Vorfreude Anlaß gaben, dann doch
ganz anders abliefen, als sie es erträumt hatte.
Ihre Herrin führte sie zum Kalligraphen, dem Schönschreiber des Palastes. Der
Schönschreiber stand vor einem großen alten Tisch, auf dem ein riesiges
Pergament ausgebreitet war - kleine Bleigewichte an jeder Ecke hinderten es
daran, sich zusammenzurollen - , hielt einen gewaltigen Pinsel in der Hand und
war darin versunken, ein Ornament zu schaffen. Er war schon ein alter Mann, doch
die einzigartig ruhige und zielbewußte Art, den Pinsel zu führen, konnte
Jüngere vor Neid erblassen lassen. Als er den Pinsel absetzte, um ihn in Farbe
zu tauchen, erkannte er, daß er Besuch hatte, und mit dem Lächeln des Weisen
fragte er, was man von ihm wünsche. "Meine Dienerin soll die Kunst des
Schönschreibens erlernen", erwiderte die Herrin.
Der Alte wiegte bedenkenvoll sein Haupt und zu Granat gewandt sprach er:
"Dies ist ein recht schwieriges Unterfangen, denn nach dem Glücke, das der
Erfolg des Anfangs mit sich bringen wird, wird eine Zeit kommen, da Fortschritte
nicht mit Siebenmeilenstiefeln einherschreiten. Ihr braucht sehr viel Geduld und auch viel Zeit." Granat jedoch war hingerissen von dem Ornament des
Schönschreibers und erwiderte: "Ich bin mit viel Geduld ausgestattet und
hoffe, meine Herrin gewährt mir genug Zeit. Sie ist eine sehr
verständnisvolle, gütige und hoffentlich auch strenge Herrin und wird mich
zwingen, das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, schlußendlich auch zu
erreichen."
Der Schönschreiber sprach skeptisch zur Fürstin: "Das beste wäre wohl, Ihr
kettet
meine künftige Schülerin mit einer stählernen Kette am Zeichentische fest", und
Sklavin und Herrin, die ja genau dies ins Auge gefaßt hatten, sahen sich
wissend an und lächelten sich zu.
Der Kalligraph rollte sein im Entstehen begriffenes Ornament zusammen, legte es
zur Seite, holte ein kleines Papier hervor, tauchte einen kleinen Pinsel in
blaue Farbe, drückte ihn Granat in die Hand und bat sie, einen Lamalif aufs
Papier zu bringen. Sie tat wie geheißen, und kurze Zeit später schmückte ein
tadelloser großer Lamalif das Papier.
Der Schönschreiber betrachtete den Buchstaben und sprach: "Ihr habt
Talent, doch ich sehe schon, was Euch noch fehlt. Dies ist ein Lamalif, und er
ist richtig. Doch ist er tot und ohne Schwung. Würdet Ihr eine Schleife an
Eurem Kleide dergestalt binden? Zeichnet doch den Lamalif, als wäre er eine
Schleife an Eurem Gewande. Haltet den Pinsel, wie ich es Euch zeige, und laßt
ihn Teil Euer selbst sein. Und lockert Eure Hand. Ihr müßt das Zeichen - die
Schleife - auf dem Papier schon sehen, bevor ihr den Pinsel überhaupt
bewegt." Der zweite Lamalif hatte nun schon viel mehr Schwung, und der
Kalligraph nickte zufrieden. "Ich denke, Ihr werdet schnell dazulernen -
doch seht auf dies Papier und darauf!"
Er öffnete eine Schublade, griff hinein, holte ein zwei Finger breites blaues
Seidenband hervor, schlang es wie einen Lamalif und legte es auf den Tisch. Er
sprach weiter: "Wenn ihr von oben auf das Band herabseht, wirkt dies Band
an manchen Stellen breiter, an manchen schmäler. Wenn Ihr den Pinsel geschickt
führt, mit mehr oder weniger stark ausgeübtem Drucke, wird kein Betrachter
Euer Zeichen von diesem Band zu unterscheiden wissen.
Ihr könnt es lernen, doch ist es ein höchst beschwerlicher Weg dahin." Er
nahm Granat den Pinsel aus der Hand und zeichnete nun selbst den Buchstaben, und
der war von der Schleife nicht zu unterscheiden. Die Sklavin nahm sich nun fest
vor, diese wunderbare Kunst zu erlernen - die Kette, die es ihr unmöglich
machen werde, sich vom Üben einfach so davonzustehlen, half ihr hoffentlich
sehr dabei.
22. Kapitel: Der Anfang des
großen
Tages und kein Wasser, aber eine neue Frisur
Jetzt war Granats großer Tag gekommen, und, wie sie es erwartet hatte, er fing
mit Ärger an. Kaum hatte sie sich des Morgens mit einer kostbaren Seife zu
waschen begonnen, um sich für ihren Auftritt zu richten, versiegte auch schon
das Wasser. Das geschah zuweilen, doch darüber, daß es heute geschah, war
Granat gar nicht glücklich, grollte ihrem Schicksal und zischte erbost:
"Kismet, Kismet". Sie schleuderte voll Wut das kostbare Seifenstück mit
solcher Wucht zu Boden, daß es in zwei Stücke sprang, und stampfte heftig mit
dem Fuße auf.
Auf den Lärm hin kam ihre Herrin zur Badetür herein und mußte, als sie die
Bescherung sah, zu allem Überflusse auch noch herzlich lachen. Granat war voller
Enttäuschung und fing an, zu zittern, zu schluchzen und bittere Tränen zu
weinen. Die Fürstin stellte sich zu ihr, umarmte sie, die sich anfangs dagegen
sträubte, trocknete ihre Tränen mit einem Tüchlein und versprach ihr, alles
wieder schnell ins rechte Lot zu bringen.
Sie hieß ihre Dienerin, auf sie zu warten, verließ das Badegemach mit einem
großem Tuche, eilte zu Küche, ließ dort das Tuch in warmes Wasser tauchen,
eilte zurück, und rieb Granat die eingeseiften Stellen damit ab. Die erste Katastrophe war nun
abgewendet, doch Wasser floß deswegen noch lange nicht.
Die Fürstin zog Granat zurück ins Schlafgemach und bat sie, dort auf sie zu
warten. Sie kannte sich in der Kunst der Wasserwirtschaft nicht im geringsten
aus, und überlegte, nachdem die das Schlafgemach verlassen hatte, wer ihr da
Beistand geben könne.
Vielleicht waren die Köche eine Hilfe; sie pflegten ständig einen großen
Vorrat Wasser auf dem Herde heißzuhalten, damit der Kalk abschiede und der Tee
seinen vollen Geschmack entfalte. Doch wer konnte sich mit diesem Wasser
waschen? Die Seife braucht den Kalk, soviel wußte sie schon auch.
Nun zwang sie sich dazu, nachzudenken. Das warme Wasser im
Badegemach kam vom Dache. Dorthinauf wurde das kalte Wasser in einen großen eisernen
Kasten
geleitet, auf daß es sich im Sonnenlicht erwärme. Sie ging in die Werkstatt
des Grobschmiedes und fragte diesen, ob sein kaltes Wasser, dessen er ja ständig
bedurfte, um sein Eisen zu härten, denn fließe. "Ja", sprach dieser,
"es fließt schon seit Wochen und es fließt auch heute". Nun wußte
die Herrin, wo sie zu suchen hatte.
Die Fürstin wußte, daß es einen Abortreiniger gab im Palaste, und ließ ihn
sich kommen. Sie schilderte ihre Not; doch der Abortreiniger konnte
zuerst kein Wort herausbringen, da er doch Abortreiniger war und sie eine Fürstin.
Die Herrin schalt ihn einen Narren, da sie doch jetzt dringend seines Könnens
bedürfe, und sprach, sie schätzte jeden, der sein Handwerk verstünde.
Als der Abortreiniger dies begriff und Anerkennung für sein meist im Verborgenen ausgeübtes Handwerk verspürte, ging er in seine Kammer, griff sich
seine Tasche mit Werkzeug und eine hölzerne Leiter, ging auf den Hof des
Palastes, zog die Leiter auf und stieg aufs Dach.
Kurze Zeit später stieg er heiteren Mutes wieder herunter und, unten
angekommen, erklärte er, bei dem Unwetter, das jüngst auf den Palast
niedergegangen sei, sei Erde, Blätter und ähnliches ins Wasser geraten und hätte
das Rohr vom Kasten auf dem Dach zum Badegemach hinunter einfach verstopft.
Es sei aber nun gereinigt, und seine Arbeit sei getan. Die Fürstin dankte ihm gar
sehr, und der Abortreiniger nickte sehr glücklich. Ob nun dafür sein Erfolg,
ihr Dank, die schwere Münze, die sie ihm dabei in seinen Kittel schob oder
alles drei ursächlich war, weiß nur Allah, der Allmächtige. Der
Abortreiniger jedenfalls zog sich sehr froh zurück.
Die Fürstin begab sich zurück ins Bad und stellte fest, daß jetzt das Wasser
ganz prächtig floß, ging zum Schlafgemach und fand Granat an ihrem Bette
sitzend vor. Sie hatte ihren Kopf in beide Hände gestützt und sah so
verdrießlich drein, als stünde der unvermeidliche Untergang des Morgenlandes
unmittelbar bevor.
Als jedoch ihre Herrin verkündete, der Fehler sei nunmehr behoben, hellte sich
ihre Miene spürbar auf, und als ihr ein neues kostbares Seifenstück in die
Hand gedrückt wurde, wagte sie einen zweiten Versuch. Dieser war nun von Erfolg
gekrönt.
Granat nahm sich vor, am heutigen Tage höchste Vorsicht walten zu lassen, um
das Schicksal nicht herauszufordern. Das nächste Abenteuer, wie es ihr vorkam,
stand nämlich schon unmittelbar bevor: der Besuch beim Barbier.
Was konnte da nicht alles geschehen! Vielleicht war der Barbier sehr gläubig,
schenkte dem Ruf des Müezzins mehr Aufmerksamkeit als ihrem Haar, und wähnte,
einen Mann vor sich zu haben. Sie sah schon ihre Locken fallen und ihr Haupt so
kahlrasiert wie das manchen Eunuchen.
Doch zwang sie sich sogleich zur Vernunft. Sie war schon oft beim Barbier aus
Bagdad gewesen, kannte ihn sehr gut, und war immer sehr zufrieden gewesen ob
seiner Kunstfertigkeit.
Und sie wurde wahrlich nicht enttäuscht, denn der Barbier widmete ihr all seine
Aufmerksamkeit, auch als der Müezzin zu rufen begann. Sie rief sich in
Erinnerung, daß ihr vor geraumer Zeit der Barbier stolz berichtet hatte, selbst
ein Müezzin zu sein - seiner schönen Stimme wegen hatte man ihn erwählt -,
und die Gesänge kannte er dann wohl im Schlafe, sie brachten ihn nicht draus.
Nun fiel ihr auch ein, wieviel er ihr schon von sich erzählt hatte, von seiner
Heimatstadt, der Stadt der Kalifen, von seiner Liebe zum Gesang, zur Kunst und
vielen anderen schönen Dingen, und auch, daß Allah es ihm verwehrte, wie andere
Männer Weib und Kind zu haben. Er setzte hinzu, er habe sich seine Neigung wahrlich nicht selbst
ausgesucht.
Der Barbier formte mehr, als daß er schnitt und war sehr vertieft in seine
Arbeit.
Als er endlich Granat den Spiegel vorhielt, erschrak sie ein wenig, doch nicht,
weil des Barbiers Arbeit Schund gewesen war, sondern vielmehr, weil sie die edle Dame,
die ihr aus dem Spiegel entgegensah, einfach nicht sogleich erkannte.
Ihr war nun schon sehr viel leichter ums Herz, und sie legte dem Barbier mit
warmen Druck eine Münze aus purem Gold in die rechte Hand. Der Barbier steckte
blitzschnell die Münze ein, dann stellte er sich gerade hin, zog mit
seiner Hand von der Brust einen großen Kreis in weitem Bogen nach außen,
während er ein Bein nach vorne stellte und sich so formvollendet verbeugte, als
stünde er vor einem großem Publikum, ihm tosend Beifall spendend.
Den Besuch des Schneiders ging sie schon viel gelassener an. Ihr Festgewand war
ja bereits fertiggestellt, vielleicht waren hie und da noch Korrekturen
anzubringen. Tatsächlich paßte es ihr wie angegossen, es wurde ja in den
vergangenen Tagen genug maßgenommen, abgesteckt und angepaßt. Der Schneider
hatte ein Mädchen bei sich, das das Schneiderhandwerk erlernte; es zeigte ein
freundliches rundes Gesicht unter ihrem mattweißem Kopftuch, und diesem
Mädchen trug der Schneider nun auf, das "ütü" zur Hand zu nehmen.
Granat wußte, was "ütü" bedeutete: Ein dampfendes, heißen Plätteisen,
um die Kleidung in Form zu bringen, doch schon in ihren Kindertagen
mußte sie sich, wenn sie "ütü" hörte, ob des absonderlichen
Klanges dieses Wortes schier ausschütten vor Lachen. Und so lachte sie auch
jetzt, und, auch wenn der Schneider und sein Mädchen sie ansahen wie eine
wunderliche Alte, fiel alle Last dieses Tages ab im Lachen über das
"ütü". Das Festgewand war bald in Form; und so wurde Granat
angekleidet.
Viel war nun nicht mehr zu tun, und, als sie an der Küche und an dem kleinen
Gelasse gegenüber vorbeikam, begegnete ihr ihre Herrin. Diese, den linken Arm
voll lederner Kleidung, fragte sie, ob die Geschäfte zur Zufriedenheit
verlaufen seien. Granat bejahte, und beide stärkten sich im Gelaß für das
große Ereignis mit Löwinnenmilch.
Danach schritt man gemeinsam zum Schlafgemach, und die
Herrin wies ihre Dienerin an, sich in ihre Himmelszelle zu begeben. Rubin, ihre
Sklavenpatin, werde sie um die achte Stunde dort erwarten, um sie zum Festsaal
zu geleiten.
Granat wartete in ihrer Festtagstracht, auf dem noch unbenützten Lager sitzend.
Sie versuchte, an nichts zu denken, um nicht durch ihre Träume die Wirklichkeit
zu zerstören.
23. Kapitel:
Das Fest
Endlich öffnete sich die Tür. Rubin trat ein in ihren Sklavenketten, gekleidet ganz in rubinrote Seide, und trug erhobenen Hauptes in ihren Händen der Herrin Peitsche mit dem Griff aus glänzendem Stahl - auf einem schwarzsamtenen Kissen. Sie bat Granat, ihr zu folgen und schritt würdig dem Festsaale entgegen. Vor der Türe dieses Saales standen zwei kleine schwarze Lakaien, die den beiden stumm die Türflügel öffneten und sich tief verbeugten.
Der Festsaal war mit flackernden Kerzen erleuchtet, und an
jener Stelle, an der gewöhnlich der Fürstin Thron stand, war nun eine kleine
Empore aufgebaut. Zwei stahlglänzende Ringe waren in diese Empore eingelassen,
und zwei ebenso im Kerzenschein schimmernde Ketten hingen von der Decke herab.
Amethyst, Smaragd auf der einen und Saphir und die kleine Lapislazuli auf der
anderen Seite bildeten ein Spalier. Sie waren in feierliche Roben gekleidet,
jede in der Farbe, die ihrem Edelsteinnamen entsprach.
Granats Herrin stand vor der Empore und begrüßte ihre Sklavin mit einem Kusse
auf die Stirn.
Sie war in feinstes Leder gewandet, und jeder Zoll in ihr war eine unerbittliche
und unnahbare Herrscherin.
Rubin ließ Granat auf die Empore steigen und fragte laut: "Seid Ihr
bereit, Euren Geist zu unterwerfen dem Willen Eurer Herrin?" Granat
antwortete kräftig: "Ja, ich bin bereit!" Rubin fuhr fort: "Seid
Ihr bereit, Euren Leib zu unterwerfen dem Willen Eurer Herrin?". Granat
antwortete kräftig: "Ja, ich bin bereit!". Rubin fuhr fort:
"Seid Ihr auch bereit und willens, in dieser feierlichen Stunde den Bund
mit Eurer Herrin zu schließen, die Euch sogleich Schmerz und Leid zufügen
wird, auf daß der Schmerz und das Leid Euch und Eure Herrin verbinde, Euer
Schmerz zu ihrem Schmerze wird und Euer Leid zu ihrem?" Granat schrie es
fast heraus: "Ja, ich bin bereit!"
Rubin legte nun das Kissen mit der Peitsche auf einem Tische ab, der etwas
abseits an der Seite stand, entkleidete Granat mit feierlichen Gesten, legte
sehr behutsam deren Festtagstracht auf diesen Tisch, legte ihr das Große
Züchtigungskorsett an, befestigte ihre Füße mit ledernen Manschetten an den
stahlglänzenden Ringen, legte den Gelenken ihrer Hände die Huni, die ledernen
Trichter, an und befestigte sie an den Ketten, die von oben herabhingen.
Rubin nahm nun ihr samtenes Kissen mit der Peitsche wieder auf und reichte es
der Herrin entgegen, die sich mit der Linken die Peitsche griff, und Rubin trat
zur Seite. Die Herrin strich Granat mit ihrer Rechten zart über beide Wangen,
dann stellte sie sich hinter ihre Sklavin, nahm die Peitsche mit dem Stahlgriff
in die Rechte und schlug zu. Granat schrie auf voll Schmerz und voll Lust, und
schon setzte es den nächsten Schlag, noch einen, noch einen, noch einen, noch
einen. Granat hing nur noch in ihren Huni, sie schrie und schrie und schrie.
Doch endlich hatte ihre Herrin Erbarmen, ließ Rubin sie salben, küßte ihre
tränenfeuchten Augen und ihren Mund, doch bevor sie losband von der Decke
und dem Boden, legte sie ihr an ihrem Oberarm den Sklavenschmuck an, der sie
künftig begleiten sollte. Es war eine Eidechse aus purem Gold, die auf ihrem
Rücken unzählige Granate trug.
Granat, nun losgebunden, umarmte ihre Herrin, küßte glühend ihre Wangen,
glitt an ihr ab bis zum Boden und küßte voll Demut und Inbrunst ihre Füße.
Nach geraumer Zeit zog ihre Herrin sie nach oben, und beide umschlangen sich und
verharrten so lange Zeit.
Schließlich winkte die Herrin Rubin heran, die Granat das Große
Züchtigungskorsett abnahm und ihr wieder ihr Festtagskleid anlegte. Rubin ging
nun zu dem Tisch an der Seite und holte Granats Birlik.
Die murmelnden Gespräche der Sklavinnen verstarben, alle nahmen wieder Haltung
an und sahen nach vorne. Die Fürstin begann, ihrer Sklavin den Birlik
anzulegen und sprach feierlich: "Diesen Schmuck wirst du nun tragen eine
geschlagene Woche lang." Leise, so daß es nur Granat hören konnte, setzte
sie hinzu: "eine kleine
Unterbrechung ausgenommen".
Als ihr der Schmuck angelegt war, nahm die Fürstin Granat herzlich in den Arm und sprach zu ihr: "Nun wollen wir ein
wenig feiern - an unserm großen Tag." Das war natürlich ein wenig
untertrieben, denn alles war schon vorbereitet. Kräftige Eunuchen schleppten
einen schweren Eichentisch in den Saal, die Köchinnen aus der Küche
breiteten ein weißes Tuch darüber, Stühle wurden herbeigetragen, auf die sich
die festliche Gesellschaft nun setzte. Granat und ihre Herrin nahmen die Ehrenplätze an
den Stirnseiten ein, und die Musiker mit den steifen Hüten, die
die Herrin ja schon
hören durfte, betraten den Saal und begannen, ihre zauberhafte Weisen zu spielen.
Auch Granat war voller Entzückung über diese Musik, die ihr bislang fremd war,
schloß die Augen und litt und freute sich mit der Klarinette über das Leben,
das sie erzählte.
Als die Vorspeisen
hereingetragen wurden, stellten die Bläser und Geigenspieler zum allgemeinen
Bedauern ihr Spiel ein, nahmen von allen den Beifall und von der Fürstin
zusätzlich ein Bahschisch entgegen und verließen unter
tiefen Verbeugungen den Saal.
Der Speisenbringer hatte heute seinen geschäftigsten Tag. Mit großem Ernst, als ob die Zukunft der Welt von ihm alleine abhinge, brachte er Speisenbrett um Speisenbrett voller Vorspeisen herein. Dann schleppte er eine derartige Anzahl Flaschen voll des roten und weißen Weines heran, als habe er alle Soldaten des Sultans für eine Siegesfeier zu bewirten.
Granat sah zauberhaft aus in ihrem frischpoliertem Birlik mit dem stählernem Halsreif und der artigen Haltung, doch auch alle anderen Sklavinnen hatten ihre Sklavenketten säuberlich herausgeputzt, daß sie glänzten wie Silberschmuck.
Zum Einschenken des Weines war eigens der Kellermeister
des Palastes erschienen, ein würdiger, rundlicher und gemütlicher Herr mit
einer etwas roten Nase. Er stellte seine Weine vor, erläuterte die Sorte der
Reben, und, wo sie gewachsen waren. Er kannte alle diese Orte durch eigene
Reisen und schilderte sie so anschaulich, daß die Tischgesellschaft die Reben
in der warmen Herbstsonne reifend vor sich sah. Er einigte sich mit Granat und
ihrer Herrin auf die Weinfolge und sprach: "Jetzt ist aber genug gesprochen
worden vom Wein. Der ist nicht wie Sultane, Kalifen und Großwesire gewachsen
dafür, daß man lange Reden über ihn hält, sondern dafür, daß man ihn
trinkt!"
Er schlang ein weißes Tuch über die ausgesuchte Flasche, ließ die Herrin
kosten, und da sie den Wein für gut, ja für ausgezeichnet befand, füllte der Kellermeister
allen die Gläser, und der zweite Teil des Festes konnte beginnen.
Es wurde eine sehr fröhliche Feier, die Vorspeisen waren ebenso vorzüglich wie
alles, was danach aufgetragen wurde. Doch das köstlichste war der Wein. Der
Kellermeister hatte wohl die besten Tropfen seines Kellers geplündert.
Die Gesellschaft wurde immer lustiger, und schließlich wurde ein Preis
ausgelobt für den Begriff mit den meisten "ü" darin. Der Preis ging
an die Zollbehörde, die "gümrük müdürlügü", und alle stießen
auf die Zollbehörde an und auf deren langes Leben.
24. Kapitel: Die
Birlikwoche
Zurück im Schlafgemach nahm Granats Herrin ihr zu ihrer Überraschung den Birlik ab, - "nur für
eine kurze Zeit!" - wie sie sagte, und fragte sie voller Ernst: "Liebe
Sklavin, du hast mir geschworen, daß dein Leib und deine Seele mein Eigen sei,
doch bist du auch bereit, dein höchstes Glück mit mir zu teilen?" Granat
sah ihr tief in die Augen und sprach: "Herrin, es gibt kein höchstes
Glück, das nicht geteilt ist. Ein höchstes Glück, empfunden nur alleine, ist
kein höchstes Glück, es ist ein fahler Abglanz dessen, schal und leer."
Die Fürstin entkleidete Granat und öffnete die Tür zur Himmelszelle, steckte
dort eine Kerze an und ließ ihre Sklavin sich auf das Lager dort niederlegen. Sie
hatte plötzlich lederne Manschetten zur Hand, die sie um Granats Arme und Beine
schlang und an den Ringen der Säulen, die das Lager begrenzen, befestigte.
Granat lag nun auf dem Rücken, unfähig, sich zu bewegen.
Die Fürstin war nun nicht mehr kaltblütig und küßte heiß ihre Stirn, ihren
Mund, ihre Wangen und ihre Ohren. Sie nahm ein Ohrläppchen in den Mund und zog
sehnsüchtig daran, tat mit dem zweiten desgleichen, und küssend glitt ihr Mund
nieder bis zu den Knospen ihrer Brust, die sich ihr bereits entgegenstreckten.
Mit ihre Zunge umkreiste sie wild diese Knospen, mal die eine, mal die andere,
und küßte schließlich - ihren Fuß. Jeder Zeh war ihrer Liebkosung sicher,
und Granat war schon halb im Paradies.
Als der Herrin Küsse ihre taufeuchte Blume erreichten und dort die
Blütenblätter und den Stempel liebten, begann Granat, sich selbst völlig zu
vergessen. Die ganze große Welt war geschrumpft auf diese kleine Blume und
begann, eine dunkelsamtblaue Farbe anzunehmen. Das wunderschöne Dunkelsamtblau
dieser kleinen Welt wurde immer dichter und dichter, und Granat schrie dabei
voll Lust, bis das Dunkelsamtblau sie mit ins Paradies nahm.
Allmählich lichteten sich die dunkelsamtblauen Nebel, und Granat nahm wahr,
noch auf dieser Welt zu sein. Ihre Herrin hörte nicht auf, sie zu küssen, doch
waren diese Küsse nicht mehr voll der Leidenschaft, sondern zarte Küsse der Liebe.
Schließlich band die Herrin ihre Sklavin los, half ihr aufzustehen, nahm die Kerze, und führte ihre Dienerin, eine Hand um ihre Schultern gelegt, in
ihr Schlafgemach. Granat legte sich rücklings auf das Lager, und ihre Herrin legte ihr wieder den
schönen Birlik an und schloß sorgfältig die Schlösser.
Sie ließ Rubin kommen, übergab ihr die Schlüssel und gab ihr Anweisung, sie
an einem nur ihr bekannten Ort niederzulegen und pünktlich in einer Woche zur
selben Stunde wieder mit den Schlüsseln zur Stelle zu sein, sie keinesfalls
jedoch vor dieser Stunde herauszugeben, und Rubin schritt davon, nicht ohne
Granat noch eine gute Nacht gewünscht zu haben.
Danach nahm die Herrin ein
weiteres Schloß zur Hand, zog es durch diejenige Stelle, an der
Granats Handkette mit der langen Kette, die von ihrem Halsreif zu ihren
Füßen führte, verbunden war, und schloß es an Granats Halsreif. Sie sprach
dabei: "Meine geliebte Sklavin, du sollst im Schlafe nicht versehentlich Teile deines Leibes berühren, die deiner Herrin
vorbehalten sind. Dies Nachtschloß wirst du nur nächtens zu tragen haben; am Tage bist
du davon befreit."
Granat verstand, dankte ihr und bat demütig, dereinst auch die Fürstin zum Paradies
bringen zu dürfen. Die Bitte wurde ihr gnädig gewährt, und ihre Herrin deckte
sie mit einer Decke, die ihrer eigenen aufs Haar glich, zu - denn sie wußte,
eine geteilte Nachtdecke in einer einzigen Nacht konnte Ursache sein für
Zerwürfnisse bis ins fünfte Glied -, zog sich die eigene Decke hoch und
umarmte die glücklich neben ihr liegende, im Birlik mit dem Nachtschloß gefesselte Dienerin, gab ihr noch
einen Kuß zur guten Nacht, und beide schliefen froh ein.
Am nächsten Morgen erwachte Granat vor ihrer Herrin und bewegte voll stillem
Vergnügen ihre Beine, soweit es der Birlik eben zuließ. Sie konnte sie ohne
weiteres Zutun fast ganz ausstrecken, und wenn sie sich nach vorne beugte,
gelang auch das.
So räkelte sie sich wohl ein, zwei Stunden lang, bis auch ihre Herrin, die dem
Wein wohl noch mehr als sie selbst zugesprochen hatte, erwachte und ihr das
Nachtschloß löste. Beide begaben sich ins Badegemach, und Granats Herrin wusch
und salbte ihre Sklavin und kleidete sie an.
Es war eine schöne Woche, die Birlikwoche - die erste, aber wohl nicht die
letzte, wie Granat hoffte.
Heiße Sommertage waren das, und oft saßen Granat und ihre Herrin auf dem
kleinen verschwiegenen Balkon im Schatten des Efeus und des alten Holzdaches und
erzählen sich Geschichten. Granat wußte viel zu fabulieren, von verzauberten
buckligen Zwergen, von fliegenden Teppichen, von Flaschengeistern, von Magiern
und ihren geheimnisvollen Pülverchen, von Räuberbanden und von Marktfrauen mit
dem bösen Blick. Sie selbst trug, abergläubisch, wie sie war, immer einen
blauen Stein gegen den bösen Blick mit sich. Die Stunden flogen nur so dahin,
und wann immer beiden Tee zu trinken im Sinne stand, wurde eine silberne Schale
tief in den Garten hinabgelassen und dort von dienstbaren Geistern mit
Tulpengläsern voll frischem Tee befüllt.
Granats Herrin achtete sorgsam darauf, ihr nachts das Nachtschloß anzulegen.
Sie liebkoste ihr dann ein wenig ihr Kätzchen, das ja der Herrin Besitz war und
für Granat selbst unerreichbar, und so verbrachten sie neben den schönen Tagen
auch wunderschöne Nächte.
ã 2001 by Ulli Dillis
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