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Kettensklavin

 

 

Sklavin aus Liebe


ein orientalisches Märchen

von Ulli Dillis

mit einer Graphik von John Willie

und

Jennifer Albrecht

gewidmet

 

- Teil 1 -


Der junge Kaufmannssohn warf sich schlaflos auf seinem harten Lager in der alten Karawanserei hin und her und verfluchte sich und sein Schicksal. Er hatte am Tage zuvor sein Herz verloren und sah immerzu vor sich die Augen, diese sanften blauen Augen, die ihn so zart und seelenvoll angeblickt hatten, und an deren Besitzerin er es verloren hatte. Niemals zuvor hatte er solche Sehnsucht empfunden und war sich doch zugleich der Aussichtslosigkeit seines Wunsches bewußt. Denn dieses Wesen, das Allah geschaffen hatte - ihm sei Preis und Dank -, war nicht alleine. Nun waren Frauen gewiß niemals alleine in den Karawansereien, denn wer immer seine Tochter oder Schwester in die Ferne ziehen lassen mußte, suchte sich einen Begleiter aus, der sein Vertrauen besaß. Doch der Kaufmannssohn spürte sofort: dieser Begleiter war kein Gefährte für eine einzige Reise, dies war ein Mann - oh, wie er ihn verfluchte -, der einen Anspruch auf Besitz gelten machte.

Der griff nach diesem zauberhaften Geschöpf mit groben Händen wie ein Bauer nach seinem Vieh, wenn er es der Welt zeigen wollte, daß dies sein eigen war. Er hatte eine Anzahl von Kamelen mit Teppichen beladen, und der Kaufmannssohn, dessen Oheim selbst ein Teppichhändler war, sah es der Ware an, daß dieser Mann davon lebte, seine Käufer übers Ohr zu hauen. Die Teppiche waren schlichte Ware, doch hatte man ihnen einen Glanz aufgebracht, der sie schimmern lassen sollte, als seien sie aus echter chinesischer Seide. Am Abend, als die Karawanenhändler bei der Wasserpfeife zusammensaßen, fragte der Kaufmannssohn seine Miteisenden mit Vorsicht aus nach dem seltsamen Gesell.

Er hatte sich in ihm nicht getäuscht, denn die Männer an der Wasserpfeife, die ihn ein wenig kannten, hatten nur Schlechtes zu berichten. Er setze sich nie zur Pfeife, wurde ihm berichtet, und sei im Übrigen ein mürrischer, übler und jähzorniger Mann, der nicht nur seine Kunden zu übervorteilen gewohnt war, sondern auch gerne bei Mitreisenden, bevor sich die Wege trennten, im Verborgenen unter die Kameldecke griff und einen Teil der Waren an sich zu nehmen pflegte. Kein Gold- und Silberschmuck sei vor ihm sicher, doch nachweisen lasse sich ihm nichts, denn durchtrieben sei er wohl.

Der Kaufmannssohn auf seinem Lager war schier voll der Verzweiflung, wie denn ein Himmelswesen wie seine Geliebte sich einlassen konnte mit einem Bösewicht, der jede Kaufmannsehre mit Füßen trat. Als der Müezzin des kleinen Dorfes, zu dem die Karawanserei gehörte, im Morgengrauen zu rufen anhub, begann sofort geschäftiges Treiben, und die Kamele wurden eilig getränkt und beladen, denn jede Strecke, die in der Kühle des Morgens zurückgelegt werden konnte, war bares Gold wert. In der Mittagsglut zu reisen, hieß nämlich, einen gewaltigen Vorrat an Trinkwasser auf die Tiere packen zu müssen, und dieser Platz war für Waren verloren. Zu des Kaufmannssohns Freude reiste der betrügerische Teppichhändler mit ihnen, und er war voll glücklicher und banger Erwartung, seine Liebste wiedersehen zu können. Und, als die Karawane Kameltritt für Kameltritt übers flache Land zog, warf sie ihm zuweilen einen zarten Blick zu, und, als sie schließlich mit ihm durch ihre Blicke so vertraulich verkehrte, als seien beide schon lange bekannt, war es um ihn völlig geschehen.

Als man zur Mittagsrast in einen Olivenhain schritt und sich unter die Bäume verteilte, zog der Teppichhändler einen gerollten Teppich unter der Kameldecke hervor, ein zerschlissenes Ding, das er sicher einem Ahnungslosen als uraltes und wertvolles Stück zu verkaufen beabsichtigte, und legte es auf den Erdboden. Er legte sich nun selbst rücklings auf die Erde, bettete seinen Kopf auf die Rolle und schlief sofort ein. Seine Begleiterin schritt nun langsam dem Kaufmannssohn entgegen, der vor Aufregung nicht vermochte, sich zu rühren, und streckte ihm ihre Rechte entgegen. Er ergriff ihre Hand und versuchte, all das Zarte, das er für sie empfand, in diesen Händedruck zu legen. Sie sprach unter ihrem Schleier: "Ihr wundert Euch sicher, edler Jüngling, wie ich zu so einem Gesellen gekommen bin!" Der Kaufmannssohn nickte und sie fuhr fort: "Meinen Vater - Allah sei's geklagt - nahm vor kurzem der Tod zu sich, und der", sie sah voll Verachtung auf den schnarchenden Teppichhändler, "wußte sofort nichts Besseres zu tun, als ein gewisses Papier hervorzukramen. Er hat nun eine Urkunde, auf der mein Vater verspricht, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Wir können nichts beweisen, denn mein Vater sah am Ende nicht mehr gut, und, Allah sei's geklagt, die Unterschrift ist echt."

Der Kaufmannssohn  war voll Entrüstung und sprach als Held: "Ich rette Euch. Mein Handel bringt mir weit mehr ein als ein nur bescheidenes Einkommen, es wird uns reichen. Was kann denn dieser Mensch uns tun?" "Ihr kennt ihn nicht!", erwiderte sie, und Tränen füllten ihre Augen. Sie fuhr mit gebrochener Stimme fort: "Er ist nicht nur selbst ein böser Gauner, er kennt auch alle Räuber auf den Karawanenstrecken. Wenn sein Stolz verletzt ist, weil ich einen anderen als ihn erwählt habe, ist er imstande - ich weiß, er wird es tun -, die Räuber auf Euch zu hetzen. Sie werden Eure Ware rauben, doch nicht, bevor sie nicht Euch die Augen ausgestochen haben!" Beide schwiegen eine Zeitlang betreten, doch plötzlich wischte sie sich die Tränen hinweg und lächelte, denn sie wußte nun, wie der Widersacher zu besiegen war. Sie sprach nun heiter: "Er mag ein übler Kerl sein, doch besitzt er dennoch eine gewisse Ehre, eine Schurkenehre. Er ist ein Räuber, doch wenn man ihn selbst beraubt, zollt er dem Anderen als dem Besseren Respekt und läßt ihn ziehen. Ihr müßt mich rauben und zu Eurer Sklavin machen!"

Der Kaufmannssohn sprach betrübt: "Er wird doch schnell dies Spiel durchschauen!". "Ja, wenn wir händleinschwingend durch die Straßen ziehen!", versetzte sie, "Ihr habt mich zur Sklavin zu machen - zur Sklavin in Ketten, und jeder muß es sehen können!" Er war sehr verdutzt, doch sie, die den Plan nun genau in ihrem klugen Köpflein hatte, sprach weiter: "Bevor die Karawane am morgigen Abend die große Stadt Konya erreichen wird, wird sie sich zur Mittagsrast legen. Der da wird schlafen, und Ihr werdet plötzlich mit einem weißen Hengst herbeisprengen, Euer Antlitz mit einem schwarzen Tuch verhüllt, und mich rauben, eh er sichs versieht. Wir werden eilends in die Stadt reiten und Ihr werdet mir Sklavenketten anlegen, als hättet Ihr mich als Ware auf dem Sklavenmarkt gekauft. Dann werden wir in deine Heimat reiten und glücklich werden."

Der Kaufmannssohn hatte begriffen, nickte, ergriff und küßte ihre rechte Hand. Sie sprach: "Nehmt nun meine Maße!"

Er zog wie im Traum aus dem Gepäck eines seiner mit Gold- und Silberschmuck reich beladenen Kamele eine lange Goldkette und eine Goldschmiedzange hervor, legte die Kette um ein Handgelenk, zwickte sie ab, und nahm in gleicher Weise an ihrer zweiten Hand und schließlich an ihrer schlanken Leibesmitte Maß. Es war nun auch schon höchste Zeit, sich rasch zu trennen, denn die Sonne brannte nun nicht mehr so stark, und die Karawane war im Begriffe, weiterzuziehen.

Als man am  Abend die nächste Karawanserei erreichte, verkaufte der Kaufmannssohn sofort seine Ware und seine Kamele an einen mitreisenden Händler und erwarb bei einem Bauern ein Pferd. Das war ein wahrer Klepper und ohne rechte Kraft, aber es trabte zuverlässig der Stadt entgegen. Dort tauschte der Kaufmannssohn den Klepper und viele Goldmünzen gegen einen feurigen weißen Araberhengst und nahm Quartier in einer einfachen Absteige, in der man ihn nicht erkannte.

Sehr früh am nächsten Tag betrat er den Basar, gerade, als dort das Leben erwachte, und begab sich zur Straße der Stahlschmiede. Dem Schmied, dessen Handwerkskunst ihm am besten zusagte, vertraute er sein Vorhaben an: einer Sklavin ihre Sklavenketten anzulegen. Dem Schmied war diese Kunst wohl bereits vertraut, denn er fragte wie nebenbei: "Lebt die Sklavin zu Hause?" "Nein!", erwiderte der Kaufmannssohn, "Und sie muß reiten können!" "Wenn sie Zügel halten muß", entgegnete der Schmied, "bekommt sie den Kuschak, wie wir Schmiede ihn nennen, den stählernen Gürtel, der ihre Hände mit Ketten fest mit diesem Gürtel verbinden wird. Er ist aus Stahl und somit unerbittlich, doch er ist zugleich auch ein wunderbarer Schmuck, der seine Trägerin noch schöner machen wird, als sie gewiß schon ist. Habt Ihr ihre Maße?" Der Kaufmannssohn zog die abgemessenen Goldkettlein hervor und reichte sie dem Schmied. Dieser versprach ihm, zur frühen Nachmittagsstunde sein Werk beendet zu haben; der Kaufmannssohn wandte sich zum Gehen, kaufte im Vorübergehen einem kleinen Händler ein schwarzes Tuch ab und eilte zu seinem Rosse, holte sein Bündel aus der Absteige und ritt nun eilends dem Rastplatz entgegen, den er von früheren Reisen schon kannte.

Als er in dessen Nähe ankam, nahm er wahr, daß die Karawane sich bereits zum Schlafe gelegt hatte, und sein Widersacher schnarchte, als wolle er den Hain zersägen. Er nahm all seinen Mut zusammen, legte sich das schwarze Tuch um, stob mit dem Schimmel in die schlafende Gesellschaft, zog die Geliebte auf sein Pferd und ritt in rasendem Galopp zurück in die Stadt, zum Schmied. Der Schmied hatte sein Werk - Allah sei Preis und Dank - bereits fertiggestellt und legte es nun der, wie er dachte, Sklavin an. Der Kuschak paßte ihr wie angegossen, und die Armreifen, die durch Ketten fest mit ihm verbunden waren, ebenso. Der Schmied fragte nun: "Schlösser oder festgeschmiedet?" Der Kaufmannssohn wollte schon "Schlösser" sagen, doch seine Geliebte sah ihn so streng an, daß er antwortete: "festgeschmiedet". Nun wurden also die Armreifen festgeschmiedet und ebenso der stählerne Gürtel, der Kuschak. Der Schmied nahm seinen Lohn entgegen, und Kaufmannssohn und sein Schatz wandten sich zu den Pferdehändlern, denn ein einziges Pferd war für die lange Reise zuwenig. Während des Gehens sprach die Geliebte: "Du bist ein lieber und weicher Mann, und, trüge ich Schlösser, wärest du imstande, mich zu lösen aus den Ketten. Doch damit brächtest du mich und dich in allerhöchste Gefahr. Denn wenn nur einer dieser Räuber und Schurken, die dieser Teppichhändler kennt, mich ohne Ketten sieht, wird er es ihm hinterbringen, und der wird glauben, aus freiem Willen sei ich bei Euch. Das darf niemals geschehen!"

Bei den Pferdehändlern wurde man schnell fündig, und bald wurde ein falbes Rößlein für die Sklavin erworben. Nun war aber höchste Eile geboten, denn jede Minute konnte die Karawane in der Stadt eintreffen. Man ritt also in schnellstem Gang zur Stadt hinaus, und der Kaufmannssohn bewunderte seine Geliebte, wie sie ihr Pferd in ihren Ketten zu führen vermochte. Sie war eine meisterhafte Reiterin, und ganz im Gegensatz zu ihm, der sein Pferd immer ein wenig zwingen mußte, ihm zu gehorchen, schien sie eine geheime Verbindung zu ihrem Rößlein zu haben, das ihren Willen zu erraten schien. Langsam beschlichen ihn Zweifel, wer nun die Sklavin war und wer der Herr.

So begann die lange Reise zurück in die Heimatstadt des Kaufmannsohnes. Selbst dann, wenn nichts dazwischenkäme, war es eine Strecke von mehr als sieben Tagen, und beide ritten also flott dahin. Die Geliebte trug ihre Ketten mit einer Anmut, die dem Freunde oft schier den Verstand raubte und in ihm den sehnlichsten Wunsch weckte, seine Geliebte möge mit ihm dereinst in ebensolcher Weise verfahren.

ã 2001 by Ulli Dillis

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