Sklavin aus Liebe
ein orientalisches Märchen
von Ulli Dillis
mit einer durch Fußkettlein ergänzten
Graphik von John Willie
und
Jennifer Albrecht
gewidmet
- Teil 2 -
Der Tag ging langsam zur Neige, und ein langer Ritt lag hinter dem Kaufmannssohn
und seiner Geliebten. Die Pferde waren rechtschaffen müde, und so wurde es
Zeit, sich ein Nachtlager zu besorgen. Die Auswahl an Herbergen entlang des
Weges war mehr als bescheiden, und so fiel die Wahl leicht.
Man hielt also an einer einfachen Herberge, und schon schritt der Wirt aus seiner Türe und pries sein Haus, das vortreffliche Nachtlager, das vorzügliche Essen und seine Erfahrung bei Pferden. Da er sofort erkannte, bessere Gäste vor sich zu haben, einen Herrn auf einem Araberhengst und eine wundervolle Sklavin in Ketten, verkniff er sich den Hinweis auf den günstigen Preis, den er sonst an dieser Stelle anzubringen gewohnt war, und nahm sich vor, hier kräftig zuzulangen. Der Kaufmannssohn stieg von seinem Hengst und ließ sich das Nachtlager zeigen - es war eine recht kleine Kammer, doch ordentlich und sauber -, und da auch die Küche, in der des Wirtes Weib, eine rundliche, fröhliche Frau, mit den Pfannen hantierte, und schließlich der Stall sein Wohlgefallen fand, nahm er des Wirtes Angebot an, und half seiner gefesselten Geliebten, von ihrem Rößlein abzusteigen.
Das Mahl, das nun gereicht wurde, war
einfach, aber gut, und Herr und Sklavin, voll des Hungers nach der langen Reise,
kam es vor wie ein Festmahl. Der Kaufmannssohn betrachtete verstohlen seine
Gefährtin und bewunderte, wie vollendet sie das Mahl zum Munde führte,
während die Kette sich bei jedem Bissen straffte und leise klirrte. Sie mußte
dieser Kette wegen jedesmal den Kopf ein wenig neigen, doch tat sie dies so anmutig, als habe sie
noch nie auf andere Art gespeist.
Bald bezogen beide ihr Nachtlager, denn sie waren recht ermattet, und fielen in
einen erquickenden Schlaf.
Am nächsten Morgen gab der Kaufmannssohn dem Wirt eine schwere Goldmünze in die Hand.
Darob war dieser des Dankes voll und wünschte ihm alles Glück auf der
weiteren Reise. So zogen sie weiter.
Als beide zur Mittagszeit durch ein kleines Wäldchen ritten, ließ die Sklavin
ihr Rößlein plötzlich innehalten, und ihr Gefährte tat es ihr nach. Sie
neigte den Kopf und bedeutete ihm, indem sie einen Finger vor den Mund legte,
stille zu sein. Der Kaufmannssohn ließ seinen Araber, der darüber etwas
ungehalten war und lieber vorwärtsstürmen wollte, zu ihrem Rößlein tänzeln,
und seine Geliebte sprach flüsternd: "Seht Ihr die beiden angebundenen
Pferde rechts vorne an der kleinen Lichtung?" Er spähte in den Wald,
nickte schließlich, und sie sprach leise weiter:
"Die kenne ich. Sie gehören Kumpanen des Teppichhändlers. Es sind
gute Pferde, doch diejenigen, die sie reiten, sind böse Menschen. Es ist gewiß
kein Zufall, sie hier anzutreffen! Laßt uns hören, was sie sich zu sagen haben!"
Der Kaufmannssohn band beider Pferde an einen Baum, beruhigte seinen Hengst, und half seiner Gefährtin, abzusteigen. Diese streckte ihre Arme so weit von sich, als es die Banden eben zuließen, damit kein Klirren sie verriete. Leise schritt man auf dem weichen Waldboden voran und schon hörte man gedämpfte Stimmen. Beide wagten sich noch ein wenig weiter und verstanden nun, was gesprochen wurde. Eine Stimme raunte: "Das ist ja wahrhaft unerhört! Woher hast du denn dein Wissen?" Eine zweite antwortete: "Hör mir zu! Spät am gestrigen Abend saß ich in meinem Geschäfte und zählte die Einnahmen des Tages. Da stürzte Sahtekar der Teppichhändler, wie man ihn nennt, herein, atemlos wie noch nie, und berichtete, man habe ihm das Mädchen geraubt. Ein Schwarzmaskierter mit schweren Waffen auf einem Araber sei es gewesen, wohl ein Mädchenräuber aus Gewohnheit. Bestimmt habe er sie und das Pferd, daß er gewiß zuvor gestohlen habe, auf dem nächsten Sklavenmarkt verkauft, und nenne nun ein hübsches Sümmchen sein Eigen."
"Dann hat er eben seinen Meister
gefunden!" sprach nun die erste Stimme wieder. "Er ist doch sonst
nicht nachtragend, haut man ihn selber übers Ohr." Nun ließ sich die
zweite Stimme vernehmen: "Er traut der ganzen Sache nicht. Ein reicher
Kaufmannssohn war dabei in dieser Karawane, und, als das Mädchen verschwunden
war, da suchte man auch den Kaufmannssohn vergebens. Er wird das Mädchen und
das Pferd erstanden haben, denn wer läßt sich, vorausgesetzt, er hat die
Mittel, so einen Kauf entgehen? Als Sklavin sei sie ihm gegönnt, so sprach
Sahtekar ergrimmt, doch als Geliebte nicht! Nun warf Sahtekar einen Beutel mit
Goldstücken auf den Tisch und rief: Berichtet mir über das Schicksal dieser
Beiden, und ich werde es Euch reich vergelten! Er beschrieb mir den Weg zu des
Kaufmannssohnes Haus, und, mein Pferd zu satteln und in die Mondnacht zu reiten
war eins. Kahraman heißt dieser Kaufmannssohn, und hier muß er vorüberkommen.
Es führt kein andrer Weg zu seiner Heimat."
Die erste Stimme rief verhalten aus: "Kahraman! Ich kenne Kahramans Haus!
Das ist vortrefflich! Kahramans Verwalter schuldet mir eine größere Summe
Geldes und wird mir die Gastfreundschaft nicht verwehren! Beteiligt mich an
Eurem Lohne, und ihr werdet erfahren aus Kahramans Haus, was Ihr begehrt."
Offenbar wurde man rasch und ohne Worte handelseinig, denn der Mann, dem wohl
die erste Stimme gehörte, sprang alsbald, ohne sich umzusehen, aus dem
Unterholz, schwang sich auf sein Pferd und ritt eilends davon, um Kahramans Haus
vor diesem zu erreichen.
Der Kaufmannssohn, der also Kahraman
geheißen wurde, und seine Gefährtin schlichen zu ihren Pferden zurück. Die
Geliebte ließ sich auf ihren Falben setzen, senkte ihr Haupt, ließ ihre
gefesselten Arme nach unten sinken und wurde so zur demütigen Sklavin in
Ketten. Ihr Begleiter schwang sich auf sein Roß, ergriff ihre Zügel und ritt
in leichtem Trab an dem unsichtbaren Gegner vorbei als ein stolzer Herr, der
eine wertvolle Ware nach Hause führte.
Kahraman sah sich nun zuweilen um, indem er tat, als bewache er seinen Besitz,
doch in Wahrheit spähte er, ob er denn einen Verfolger wahrnehmen könne.
Tatsächlich erkannte er, wie in weitem Abstand ein Reiter folgte und deutete
dies seiner Geliebten an. Sie lächelte und wußte, was sie ihrem Herrn am Abend
vorzuschlagen hatte.
Als dieser Abend anzubrechen begann und man eine Herberge in einem größeren
Dorfe ausfindig gemacht und sich dort zum Mahle bereitet hatte, sprach das
Mädchen: "Kahraman, eine vortreffliche Vorstellung haben wir gegeben! Doch
ist unser Verfolger sehr wohl wach im Geiste. Er weiß von dem bösen Sahtekar,
wie sehr ich nach Freiheit strebe, wenn mir der Herr nicht behagt. Er
wird, wenn die Sonne sich gänzlich zur Ruhe begeben hat, sich hierher
schleichen und in diese Stube spähen. Wir werden uns zur Ruhe begeben und am
Morgen weiterziehen - und, was wird er berichten?"
Kahraman dachte noch nach, als sie schnell
weiterfuhr: "Er wird berichten, daß ich, obgleich gut zu Fuße, die
Gelegenheit der Nacht zur Flucht nicht genutzt und statt dessen das Nachtlager
geteilt habe mit einem Herrn, dessen Herrschaft mir also so unangenehm nicht
sein kann. Ich bitte Euch, mir zur Nacht Fußketten anzulegen, so, daß der
Späher am Fenster es zu sehen imstande ist. Sucht den Dorfschmied auf und seid
zurück, wenn die Sonne sich zur Ruhe begibt!"
Der Kaufmannssohn eilte zum Dorfschmied, der glücklicherweise sein Handwerk
unweit der Herberge betrieb. Der Schmied stand mit einer speckigen ledernen
Schürze bekleidet vor einem glühenden Feuer, zog mit einer riesigen Zange ein
weißleuchtendes Stück Eisen aus der Glut, legte es auf einem Amboß und drosch
mit einem großen Hammer darauf ein. Als er mit dem Ergebnis zufrieden war,
wandte er sich um und fragte den Fremden nach dessen Begehr.
Kahraman sprach mit fester Stimme, er benötige eine Fußfessel. Der Schmied sprach: "Da seid Ihr bei mir richtig! Gewiß seid Ihr ein Sammler dieser schönen Dinge, gleich mir. Schon der Vater meines Vaters war ein Meister darin, Fuß- Hand- und Halsketten anzufertigen für Gefangene, für Sklaven und Sklavinnen, und jeder und jede fühlte sich darin wohl." Dies bezweifelte der Kaufmannssohn zwar sehr, doch sagte er dazu nichts und ließ sich des Schmiedes Sammlung zeigen. Er hatte keinen Sinn für die Schönheit dieser Handwerkskunst, da die Zeit drängte, versprach, ein andermal sich eine ausführlichere Führung angedeihen zu lassen, und entschied sich rasch für ein Paar mit einer kurzen Kette verbundener eiserner Schellen, die wohl die richtige Größe hatten. Sie waren durch ein Scharnier auf- und zuzuklappen und konnten durch zwei Schlösser fest zugeschlossen werden.
Kahraman erwarb also diese Schellen samt den Schlössern und Schlüsseln und begab sich eilends zurück in die Gaststube der Herberge, in der seine Geliebte ihn bereits sehnsüchtig erwartete. Beide nahmen nun das Mahl ein, und, gerade als sie es beendeten und die letzten Sonnenstrahlen eben verloschen waren, erkannten sie, wie sich wie erwartet ein Schatten vor die Fensteröffnung schob. Feierlich hob der Kaufmannssohn nun die Füße der Sklavin auf einen Sitzschemel, zog die Fußfessel hervor, klappte die erste Schelle um den linken Fuß und die zweite um den rechten. Schließlich schloß er die Schellen mit den Schlössern ab und wollte schon die Schlüssel in seine Taschen stecken, als seine Gefährtin ihn scharf ansah.
Wie ein Blitz fuhr es durch ihn, daß dies
ein unverzeihlicher Fehler gewesen wäre. Was nützen Fußketten, wenn die
Schlüssel zur Freiheit nur ein paar Handbreit daneben zu liegen kamen! Und der
Verfolger hätte sich wahrlich seinen Teil dazu gedacht. Also nahm
Kahraman einen ledernen Beutel, steckte ein paar Münzen, ein gefaltetes
Papier, ein wenig Tand und schließlich die Schlüssel hinein, setzte eine
wichtige Miene auf und rief den Wirt. Er bat diesen, den wertvollen Beutel in
Verwahrung zu nehmen und ihn ihm erst am Morgen wieder auszuhändigen.
Der Kaufmannssohn sprach zu seiner Begleiterin mit gespielter Strenge:
"Sollte Euch heute nacht der Gedanke zur Flucht kommen, begrabt ihn
schnell, denn aus den Eisen kommt Ihr nicht heraus!"
Kahraman führte nun seine Sklavin zum Nachtlager. Hierzu hatte man eine
hölzerne Stiege emporzusteigen, die, Allah sei Dank, dem Späher am Fenster
nicht einsichtig war. So konnte dieser nicht erkennen, wie voller Liebe der
Kaufmannssohn seine Gefährtin umarmte und ihr, die in ihren Fußketten nur
Schrittchen für Schrittchen zu gehen imstande war, so half, das gemeinsame Lager
zu erreichen.
Am nächsten Morgen führte
Kahraman die in ihren Fußeisen trippelnde Geliebte noch zarter, als er sie
hinaufgeleitet hatte, die Stiege hinab und führte sie zum Tische. Die Wirtin
reichte beiden ein erstes Mahl, und als dies beendet war, ließ der
Kaufsmannssohn den Wirt kommen, beglich mit Großmut seine Rechnung, nahm seinen
Beutel in Empfang und schloß zu guter Letzt der Sklavin, die darob ein leises
Bedauern nicht verhehlen konnte, die eisernen Schellen von den Füßen.
Um sich Gewißheit zu verschaffen, schritt man um die Herberge zum Fenster,
durch das der Späher geblickt haben mußte. In der Tat hatten derbe Schuhe
tiefe Spuren in dem feuchten Boden hinterlassen, und beide waren froh, dies
Spiel so gut gespielt zu haben.
Als
Kahraman im Begriff stand, seiner Gefährtin aufs Pferd zu helfen, mußte
er erkennen, wie ihr seidenes Gewand beim Ritt gelitten hatte und ihrer nicht
mehr würdig war. Er wußte: der Schuft, der ihm voranritt zu seinem Hause, war
nicht mehr einzuholen, und, da es ihn mit heimlicher Freude erfüllte, den
zweiten, der irgendwo am Wegesrand auf ihn lauerte, ein wenig schmoren zu
lassen, schlug er vor, den Frauenschneider des Dorfes aufzusuchen, und ließ den
Wirt wissen, sein Lager erneut in Anspruch zu nehmen.
Als beide das Haus des Schneiders betraten, erbleichte dieser ein wenig, war er
es doch seit Jahren nur noch gewohnt, umfänglichen Bauersfrauen Pluderhosen und
weite Umhänge auf den Leib zu schneidern und schon lange nicht mehr, seidene
Gewänder für eine entzückende Sklavin zu fertigen.
Doch während der Kaufmannssohn mit ruhiger Stimme schilderte, wie diese
Gewänder beschaffen zu sein hätten, aus feinster Seide und mit verdeckten
Knopfleisten, damit seine Sklavin in ihren Ketten an- und ausgekleidet werden
könne, erinnerte sich der Schneider all der Handwerkskunst, die er einst
erlernt hatte. Er sprach, die Frau des Bürgermeisters, für die er feinste
Seide auf Lager hatte, müsse sich eben gedulden, sollte sie bei ihm vorstellig
werden, legte sich die Stoffe, Schere, Nadel und Zwirn zurecht und begann Maß
zu nehmen.
Kahraman war nicht gewohnt, Schneidern bei der Arbeit zuzusehen, und lief
in der Stube des Schneiders hin und her wie ein gefangenes Tier. Die Sklavin
hatte ein Einsehen und deutete ihm mit einem Blicke an, er sei für geraume Zeit
entlassen aus dieser grauenvollen Haft. Doch bevor er sich zum Gehen wandte,
räusperte sie sich vernehmbar, und der Kaufmannssohn erinnerte sich seiner
Pflicht. Er zog die eisernen Schellen hervor, schloß der Sklavin die Füße
zusammen und begab sich zum Schmied, um dessen Sammlung zu betrachten, das eine
oder andere Stück käuflich zu erwerben oder auch sich etwas Neues anfertigen
zu lassen.
Die Mittagsstunde war weit vorüber, und es kündigte sich bereits der Abend an,
als
Kahraman frohgemut zurückkehrte, denn er hatte wundervolle Dinge vom
Schmied erworben, aus feinstem Sarazehnerstahl, ein Schmuck für eine Sklavin,
wie schöner er nicht sein konnte.
Der Schneider hatte unterdessen Seidenkleid
um Seidenkleid gefertigt, und fragte der Sklavin Herrn, ob er zufrieden sei.
Dieser war voll Vertrauen auf den Geschmack seiner Gefährtin, verzichtete auf
eine Prüfung, beglich großzügig die Rechnung und griff nach dem Beutel mit
den Schlössern, um die Sklavin zu befreien, doch der Beutel war verschwunden.
Kahraman wurde kreidebleich, überlegte, ob er ihn bei dem Schmied
zurückgelassen habe, oder ob gar der Schneider ein Dieb war. Als er um Hilfe
suchend der Sklavin ins Antlitz blickte, nahm er wahr, wie sie still in sich
hineinlächelte, und wußte sogleich: sie war die Klügere.
Von der einen Seite des Dorfes bis zur anderen, auf der die Herberge stand,
mußte der Kaufmannssohn seine Sklavin nun führen. Eine Sklavin, schön wie das
Morgen- und das Abendrot zusammen, die Hände in Ketten und die Füße in
Banden, die kleinste Schritte erzwangen, auf den Dorfstraßen, vorbei an Bauern,
Hirten und Eseln: dieses Ereignis wurde in diesem verschlafenen Dorfe gewiß,
einem Lauffeuer gleich, von einem zum anderen weitergegeben und von diesem Dorf
zu anderen Dörfern und wohl nie mehr vergessen. Besser konnte man es wahrlich
nicht anstellen, unter das Volk zu bringen, daß
Kahraman eine Sklavin erworben hatte.
Als endlich die Herberge erreicht war, erwartete dort die Wirtin ihre Gäste
bereits zum Mahle.
Man setzte sich zu Tische, als der Schneider hereinstürzte, den Beutel in der
Hand, und ausrief: "Herr, als ich eben den Verschnitt wegräumte, fand ich
darunter Euren Beutel!" Der Herr dankte ihm sehr, belohnte ihn, und der
Schneider zog sich zurück.
Der Kaufmannssohn sah streng seine Geliebte an, die ihm einen solchen Streich
gespielt hatte,
doch als sie ihm anmutig zulächelte, schmolz sein kurzer Grimm, das Herz wurde
ihm weich, und er wußte: wie immer hatte sie das Richtige getan. Der Beutel
wurde dem Wirt übergeben, und als die Zeit zur Nachtruhe kam, führte
Kahraman seine Gefährtin behutsam die Stiege empor, ganz wie den Tag
zuvor.
Am nächsten Morgen brach man zeitig auf, denn fünf lange Tage der Reise lagen
noch vor den beiden. Der Herr befreite die Füße seiner Sklavin, die so lange
miteinander verbunden waren, half ihr aufs Pferd, und schon ging es in den
erwachenden Tag hinein.
Die Reise verlief nun ohne Zwischenfälle, und ein Schauspiel wie in jenem Dorfe war nun auch nicht mehr vonnöten. Überall erwartete man Herr und Sklavin
bereits, und in den Teehäusern raunten sich die Männer, deren Frauen die Hosen
anzuhaben pflegten, ehrfurchtsvoll zu, was für ein gestrenger und
unerbittlicher Herr der Kaufmannssohn Kahraman doch sei.
Tags halbwegs frei, zur Nacht die Füße fest gebunden, so führte er die
Sklavin heimwärts.
Am letzten Tag der Reise war man auf einer Anhöhe angelangt, als Kahraman seinen
Araber zum Stehen brachte. Seine Gefährtin tat mit ihrem Falben desgleichen und
der Kaufmannssohn wies auf ein großes Haus in der Senke darunter und sprach:
"Seht, dies ist mein Heim!"
Von oben konnte man bereits den riesigen und wunderschönen Garten erkennen, der
das Haus des Kaufmannssohnes umgab, und die Geliebte fragte: "Ist das alles
Euer?" "Es ist der Besitz meiner Familie", erwiderte dieser, und,
als er den sorgenvollen Ausdruck auf dem Antlitz seiner Gefährtin wahrnahm,
fügte er eilends hinzu: "Mein Vater und meine Mutter zogen sich vor kurzer
Zeit für immer in die Hochebene zurück, meine Mutter liebt die Kühle dort. Ich bin das
einzige Kind, und, da ich oft auf Reisen bin, versorgt ein Verwalter dies
Haus."
"Der mit den Schulden!", rief seine Gefährtin. Kahraman war sehr
zerknirscht, als er den leisen Vorwurf heraushörte, sein Haus nicht ordentlich
zu führen, doch seine Geliebte brach in lautes Lachen aus und sprach: "Ihr
wißt ja nun, daß in Eurem Hause ein Kumpan von Sahtekar dem
Teppichhändler Eure Gastfreundschaft genießen wird. Nun seid ein strenger Herr, auf
daß er nichts Schlechtes zu berichten weiß!"
"Ihr werdet nichts verraten?"
fragte
Kahraman. Seine Geliebte sah ihm tief in die Augen und sprach: "Das habt
Ihr zu verhindern. Ihr seid der Herr, und Sklavinnen sind recht
geschwätzig."
Schweigend ritt man nun zur Senke, und endlich wußte auch Kahraman den einzigen
Weg, wie seine Gefährtin vor Geschwätzigkeit zu retten war.
ã 2001 by Ulli Dillis
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