Sklavin aus Liebe
ein orientalisches Märchen
von Ulli Dillis
und
Jennifer Albrecht
gewidmet
- Teil 4 -
Der Morgen nahte, der Himmel rötete sich, und schon spähte die güldene Sonne
ein wenig über den Horizont, als die glücklich gebundene Geliebte erwachte.
Sie räkelte sich wohlig in ihren Ketten und war sehr froh, wie streng ihr Herr
mit ihr verfuhr. Sie nahm sich vor, den Herrn noch ein wenig härter zu
schmieden, und stellte sich bald dies, bald jenes vor in ihrem Tagtraume, als
sie ganz fürchterlich erschrak.
Eine gellende Fratze erschien vor dem Fenster des Gemaches und verschwand im gleichen Augenblicke wieder, Donnergetöse ertönte, ein Knirschen, Krachen und Bersten. Der Herr schrak ebenfalls auf, stürmte zum Fenster, öffnete dieses eilends und spähte hinab. Unten lag zappelnd "Mahmut" inmitten der zersplitterten Reste eines hölzernen Gerüstes, das er sich errichtet hatte, um im Morgengrauen ins Schlafgemach zu spähen, und das nun zusammengebrochen war. "Mahmut" wand sich rasch aus den Trümmern, holte eilig sein Bündel, warf den Sattel auf sein Pferd und ritt in einem Galopp davon, als wäre der Scheitan hinter ihm her. "Den wären wir fürs Erste los", bemerkte der Kaufmannssohn sehr treffend, legte sich neben seine Geliebte und liebkoste sie.
Allmählich erwachte sein Haus zum Leben. Man hörte die Karre des Gärtners, die dringend neuer Schmiere bedurfte, die alte Wäscherin, wie sie das Mädchen ausschalt, und, wie die Köchin mit den Töpfen hantierte. Der Herr befreite seine Sklavin von seinem Lager und machte ihre Hände von dem Kettchen los, das durch den Halsring gezogen war. Er deutete auf die Fußschellen, doch seine Sklavin schüttelte den Kopf, und so beließ er sie dort. Schließlich schloß er ihr das Zaumzeug auf, nahm es ihr ab und trocknete ihre Lippen mit einem seidenen Tüchlein.
Er läutete dem Mädchen und bat es, eine Morgenmahlzeit herbeizuschaffen. Der Herr zog einen kleinen mit Einlegearbeiten verzierten Tisch von der Wand in die Mitte des Gemaches, stellte zwei Stühle hinzu, und, als die Morgenmahlzeit aufgetragen wurde, setzten Geliebter und Geliebte sich an den Tisch und stärkten sich.
Als das Mahl beendet war, sprach der Herr: "Nun könnt Ihr Euch
im Badegemach zum Tag bereiten - Eure Kleidung liegt dort schon bereit. Hierauf wird Euer zarter Mund erneut geschlossen, und wir werden ein wenig
lustwandeln in meinem Gärtchen. Ich werde Euch meinen geheimen Felsen mit der
Grotte zeigen,
und Ihr dürft dort für mich die Sklavenfürstin sein. Er deutete wieder auf ihre
Füße, die immer noch durch die Eisen verbunden waren, und sprach: Wollt Ihr ein
wenig Freiheit?" "O nein", sprach sie, "ich sah ein wenig
Euren Garten. Es ist ein Garten voller Zauber und kleiner Geheimnisse, es wäre
äußerst frevelhaft, durchmäße man ihn einer wilden Kriegerhorde gleich
!"
Die Geliebte begab sich nun zum Badegemach und kehrte nach geraumer Zeit
zurück. Sie war geschmückt mit einem Kleid aus reiner weißer Seide und hatte
ihre Sklavenketten und den stählernen Gürtel zu strahlendem Glanz gebracht.
Sie trug den Schleier in ihrer rechten Hand, ergriff das Zaumzeug für den Tag,
das auf einer Truhe bereitlag, mit der linken und reichte beides ihrem Herrn.
Sie öffnete ihre Lippen ein wenig, und ihr Herr legte ihr das Zaumzeug an, sehr
darauf bedacht, die Haartracht nicht zu stören, schloß es ab und ließ den
Schlüssel in ein Kästchen fallen. Nun wurde ihr der Schleier umgebunden, unter dem
die ledernen Riemchen zur Gänze verschwanden.
Im Morgenlichte betrat man nun den Garten,
und der Kaufmannssohn ergriff die Hand seiner Geliebten, denn nach
"Mahmuts" schmählichem Abgang hatte man jetzt keinen Späher mehr zu
fürchten.
Der Tag war noch ganz jung, und so glitzerten winzige Tautröpfchen in den
kunstvoll geknüpften Netzen der Spinnen. Ein Eidechslein reckte den Rücken der
wärmenden Morgensonne entgegen, und in einer winzigen Handelsstraße begegneten
sich Karawanen von Ameisen, teils ohne jedes Gepäck, teils schwer mit
Kiefernnadeln beladen. Die Geliebte sah ihnen bei ihrem Treiben zu und fragte
sich: Womit mochten sie wohl handeln? Waren die Kiefernnadeln es wert, sich so
schwer mit ihnen zu belasten, und gab es vielleicht einen kleinen
Kiefernnadelnmarkt, auf dem die Kiefernnadelnhändler ausriefen:
"Kiefernnadeln, beste Kiefernnadeln, wohlfeil wie noch nie!"?
Und die Ameisen, die ohne Last gekommen waren, würden sie eine Kiefernnadel
kaufen, stolz, einen so wertvollen Schatz heimzutragen und zu Hause verkündend, was für eine einzigartige Kiefernnadel sie erstanden hätten?
Beide verließen die Handelsstraße, und immer tiefer ging es in den verwunschenen
Garten hinein. Alte Bäume waren über und über mit Efeu umwuchert, und einer
grünbemoosten Quelle entsprang plätschernd ein kleiner Bach.
Man folgte dem Bächlein, und plötzlich versperrte eine hohe Wand aus Schilfrohr mit dicken braunen Kolben
den Weg,
doch der Herr trat vor seine Gefährtin, zerteilte die Schilfrohrwand und gab ihr
so den Blick
frei auf einen kleinen Teich, der von dem dichten Röhricht umsäumt war. Er war über und über mit
weiß- und rotblühenden Seerosen bedeckt, blau und grün schillernde Libellen summten
darüber, und goldene
Fischlein durchschwammen ihn. Seine Mitte bildete ein Inselchen, aus dem
ein kleiner Felsen aufragte. Am
Ufer war ein kleines Boot vertäut, und der Geliebte half ihr hinein. Als man das Inselchen erreichte, nahm die
Geliebte wahr, daß der Felsen eine mit roten Blumen umrankte Grotte umschloß.
Darin stand nun ein Fürstenthron, aus
feinstem dunklen Holze geschnitzt. Die Armlehnen liefen in zwei Koboldköpfen
aus, und über der Rückenlehne wölbte sich ein Halbrund wie ein Sonnenkranz.
Als sie den Thron nun genauer besah, nahm sie die kleinen eisernen Ringe wahr,
die in ihn eingelassen waren. Je einer dieser Ringe war am Ende der Armlehnen
befestigt, ein weiterer in der Rückenlehne und ein letzter
schließlich ein wenig über dem steinernen Boden.
Der Herr half seiner Sklavin auf den Thron, drehte ihren ledernen Halsring, der
nicht mehr abzunehmen war, vorsichtig, bis die an ihm angebrachte Öse nach
hinten zu liegen kam, zog ein Schlößchen hervor und schloß die Öse fest an
das Ringlein in der Rückenlehne. Die Sklavin legte ihre Hände auf die
Armlehnen, und als sie an die Ringlein dort angeschlossen waren, kniete sich ihr Herr
zu ihren Füßen und schloß die Fußringe eng aneinander. Nun nahm er das
Kettchen, das die Fußringe verband und nun schlaff herunterhing, und
schloß es an das vierte und letzte Ringlein.
Er stand auf und betrachtete seine Gefährtin
aufmerksam,
denn sie schien ihm etwas mitteilen zu wollen. Jedoch das Knebelchen im
Zaumzeug, das recht einfältig war und nicht zu unterscheiden wußte zwischen
leerem Geplapper und wichtigen Dingen, die es zu bereden galt, ließ sie nahezu stumm bleiben, und nur
ein dumpfes, leises Brummen drang an des Herren Ohr.
Er sprach zart: "Dann zeiget mir, was Euch zu Eurem Glück noch fehlt!", und sie
zog ihre Knie auseinander und schob sie wieder zusammen. Wieder und wieder
wiederholte sie dieses Zeichen, bis ihr Herr mit seinen Händen die Beine
festhielt, und die Sklavin nickte. "Gebt mir einen Augenblick Zeit!",
bat der Herr, setzte mit dem Bötchen über und kehrte kurze Zeit später mit
einer Handvoll lederner Riemen zurück. Er schob der Sklavin auf dem
Fürstenthrone den weißen Seidenrock nach oben und band ihr von dort oben nach
unten, Riemen für Riemen, jeder ein Stückchen tiefer, die Beine fest
aneinander und zog, als er sein Werk vollendet hatte, den weißen Seidenrock
wieder herab, bis keiner der Riemen mehr zu sehen war.
Nun wars die Sklavin zufrieden und sah ihm
dankbar in die Augen.
Der Herr sprach zu ihr: "Soll ich Euch nun Gesellschaft leisten?", und
sie schüttelte das Haupt. Er sprach nun: "Soll ich Euch hier alleine lassen?", und
sie schüttelte das Haupt erneut. Da glaubte er zu spüren, was ihr Begehr war,
und sprach zum drittenmal: "Soll ich mich ein wenig abseits halten, Ihr
seid Euch selbst überlassen, doch ganz alleine seid Ihr nicht!" Sie sah ihn
glücklich an und nickte. Nun
setzte er über den kleinen Teich, vertäute das Boot, und lagerte sich an einen
geschützten Platz nahe des Ufers.
Die Geliebte in ihrem Fürstenthrone versicherte sich der Festheit ihrer Banden
und fühlte sich frei, so frei wie noch nie in
ihrem Leben. Alle Last, die sie je bedrückt hatte, fiel von ihr ab, und sie
erinnerte sich des klugen Spruches, den sie von einer weisen Frau einst
vernommen hatte: "Denn soll die Seele fliegen, hat man den Leib zu
binden!".
Und ihre Seele flog! Die gebundene Fürstin sah den Bläschen zu, die von den
Mündern der goldenen Fischlein aufstiegen, sie sah die Sonne im Teiche
sich spiegeln in den sich kräuselnden kleinen Wellenkämmen, sie verspürte den
süßen Hauch der Blüten und hörte die Bienen sie umsummen. Sie sah
blauglänzenden Libellen bei deren Liebesspiel und einem kleinen grünen Frosche zu, der beim Versuch, ein Seerosenblatt zu erklimmen, mehr als einmal
rücklings ins Wasser fiel. Sie sah die kleinen Vögelchen beim Turteln und
bemerkte, wie das Vogelmännchen Hochzeitsgeschenk für Hochzeitsgeschenk
heranbrachte, um seine Liebste für ihn einzunehmen.
Oft schloß sie für lange Zeit die Augen, lauschte dem Gesang der Vögel und dem Gesumm der Bienen, Hummeln und Libellen, sog den Duft der Blumen in sich auf und war des Glückes voll.
ã 2001 by Ulli Dillis
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