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Sklavin aus Liebe


ein orientalisches Märchen

von Ulli Dillis

mit einer Graphik von John Willie

und

Jennifer Albrecht

gewidmet

 

- Teil 5 -

 

Eine kleine Dau mit zwei geblähten Segeln zog südwärts über das tiefblaue Meer, und am Achterdeck stand die Sklavin im Seewind und sah zurück auf die im frühen Sonnenlichte glitzernden Wellen, die das Schiff bei seiner Fahrt aufwarf.

Wunderschöne Tage hatte sie verbracht im Garten ihres Geliebten, lustwandelnd und im Fürstinnenthrone, und herrlich stille Nächte, angekettet an die Lagerstatt ihres Herrn. Ganz besonders gerne entsann sie sich des Tages, an dem sie - sie war zu dieser Stunde von ihrem Zaumzeuge befreit - sich ihrem Herrn zugewandt hatte und zu ihm gesprochen hatte: "Ihr habt Euch sicher schon gefragt, was für einen gar sonderbaren Falken Ihr Euch eingefangen habt! Er dürstet nicht nach Freiheit und ist zufrieden und sehr glücklich in seinem Häubchen und den Kettlein!"

Er hatte verstanden, zart ihre Hand in die seine genommen und ihr geantwortet: "Mein kleiner Falke, Ihr wißt gar nicht, welch Freude, welche Lust Ihr mir zu bereiten vermögt, wenn Ihr in Banden seid. Ich werde es Euch jetzt gestehen: All meine Sehnsucht stillt Ihr und weckt sie anders wieder, wenn ich Euch so sehe, ausgeliefert einzig meiner Macht und meinem Willen. Stets träumte ich davon, doch ziellos mußte mein Verlangen bleiben. Jetzt halte ich Euch, die schönste aller Frauen, in meiner Hand, unter meinem Häubchen und in meinen Kettlein, und Euch, Geliebte und Verehrte, Sklavin und Begehrte, Euch lasse ich bei Allah nie mehr los!". Dann hatte er sie fest und liebevoll umschlungen und ihr tausend Küsse voller Leidenschaft geschenkt.

Tags darauf, man war gerade beim Mahle gesessen, war ein reitender Bote zum Haus des Kaufmannssohnes gekommen und hatte ihm ein Schreiben überreicht. Der Hausherr hatte den Brief erbrochen, ihn gelesen und zu seiner Gefährtin gesprochen: "Man erwartet mich zu einem Geschäfte. Gold- und Silberschmiede aus Ägypten erbitten meinen Besuch." Er hatte ein wenig nachgedacht und dann mehr zu sich selbst als zu ihr gesprochen: "Daraus wird wohl leider nichts - ich lasse Euch nicht alleine!"

Da hatte sie blitzenden Auges ausgerufen: "Ein Jäger hat zur Jagd zu gehen, und seinen Falken nimmt er mit!". Er hatte sie angesehen und war sich sogleich bewußt, nichts, aber auch gar nichts wäre dazu imstande gewesen, sie von diesem Entschlusse wieder abzubringen.

Ein Schmied war daraufhin gerufen worden, der der Sklavin den stählernen Gürtel und die Sklavenketten abgenommen hatte. Sie hatte sich dagegen ein wenig gesträubt, doch ihr Herr hatte sehr ernst zu ihr gesprochen: "Euren Schmuck dürft Ihr dann wieder tragen, wenn wir glücklich in unsere Heimat zurückgekehrt sind. Wir haben zur Oase ein gutes Stück die Wüste zu queren, und Ihr habt keine Vorstellung, wie ohne Barmherzigkeit die Sonne dort brennt. Eurer Gürtel würde Euch dort rösten wie die Pfanne das Fleisch. Wir werden den Sattler rufen, er wird uns zufriedenstellen!" Und so war es auch geschehen.

Der Sattler hatte ihr im Schlafgemach lederne Reifen um die Gelenke ihrer Arme und Füße gelegt, dem Reif um ihren Halse gleichend und wie dieser mit jeweils einer eisernen Öse versehen und von ihr nicht mehr abzunehmen. Schließlich war ihr ein Ledergürtel um den Leib befestigt worden, der nun vier von diesen Ösen aufwies, eine vorn, zwei an der Seite und die dritte schließlich hinter ihrem Rücken. Nun war der Schmied  erneut erschienen und hatte stählerne Ketten mitgebracht, die zum Teil miteinander verbunden waren, und eine Handvoll kleiner Schlösser.

Ihr Herr hatte den Schmied seine Ware auf das Tischlein mit den Einlegearbeiten legen lassen, dem Sattler und den Schmied gedankt und sie mit guter Münze entlohnt. Sattler und Schmied hatten sich tief verbeugt und das Gemach verlassen.

Ihr Geliebter hatte die erste Kette ergriffen, an der zwei kleinere Kettchen befestigt waren und zu ihr gesprochen: "Ihr seht hier den kleinen Birlik. Dessen Bestimmung ist es, Eure Füßlein und Eure Händchen miteinander zu verbinden!" Sie hatte gebeten: "Legt ihn mir sogleich an, den kleinen Birlik!", und ihr Herr hatte die ledernen Reifen an ihren Füßen mit einem der beiden kurzen Kettlein zusammengeschlossen, war in nämlicher Weise mit den Reifen an ihren Händen verfahren und hatte zu guter Letzt das Ende der langen Kette an die vordere Öse ihres ledernen Gürtels geschlossen.

Daraufhin hatte ihr Herr die zweite Kette emporgehoben und erläutert: "Hier seht Ihr den großen Birlik. Er ist gearbeitet ähnlich seinem kleinen Bruder, doch ergreift er Besitz auch von Eurem Halse!". Seine Sklavin hatte ihm entgegnet: "Den legt mir an vom Untergang der Sonne bis zu ihrer Wiederkehr!". Beide waren nun ein Weilchen im Garten umhergestreift, und sie, recht froh in ihren Birlikketten, hatte zu träumen begonnen von der weiten Reise, die am nächsten Tage ihren Anfang nehmen sollte, von der glühend heißen Wüstenei und von der grünen Oase in ihr. Ihr Herr hatte ihr berichtet, daß er jedes Jahr diesen schönen Ort aufzusuchen pflege und dazu bemerkt: "Dort wohnt ein guter Freund, er heißt Arkadas. Er läßt mich in seinem Hause das Gastrecht genießen, und er genießt es in gleicher Weise bei mir. Doch wenn wir sein Haus betreten werden, wird er noch auf Reisen sein. Er wird erst ein paar Tage später eintreffen, ich hoffe, Ihr seid ihm deshalb nicht gram." 

Als sie diese Worte vernommen hatte, hatte ihr Herz zu hüpfen und zu jauchzen begonnen, und nur zu genau wußte sie nun, zu welchen Missetaten sie ihren geliebten Herrn im Hause des Freundes verleiten werde, zu all den Missetaten, vor denen ihr Herr bislang ihrer Ehre zuliebe in seinem eigenen Hause zurückgeschreckt war.

Abends zum Mahle war ihr feierlich der große Birlik angelegt worden, und auch im strengeren der beiden Brüder hatte sie sich sofort wohlgefühlt. Nachts hatte sie ihr Herr wie gewöhnlich an sein Lager gekettet, nicht ohne ihr zuvor die Hände eng an den Hals zu schließen, und im Schlafe waren ihr Kamele erschienen, die schwerbeladen gemächlich durch die Wüste zogen. Die Welt dort bestand aus Wüstensand und nichts als Wüstensand, die Sonne brannte, und am Horizont flirrte eine Fata Morgana. In diesem Trugbild war die Oase zu sehen, Palmen und Arkadas Haus, doch alles stand kopf, und als sie noch überlegte, wie ein auf dem Dache stehendes Haus zu betreten sei, erwachte sie von dem Lärm, der sich in des Kaufmannssohnes Haus erhoben hatte. 

Denn frühmorgens bereits hatten die Reisevorbereitungen begonnen. Der Kaufmannssohn war bereits viel und weit gereist, und so wußte sein Haus, was zu tun war. Wäsche und Waren waren verschnürt und auf Packesel geladen worden, Reitpferde waren gesattelt worden, und Proviant hatte man bereitet und verpackt.

Als endlich alles in bester Ordnung gewesen war, war man losgezogen. Der Verwalter, der nach einem Gespräch mit seinem Herrn sehr kleinlaut geworden war, hatte einen Esel als Reittier genommen und den Troß seewärts geführt. Nach einem halben Tag hatte man den kleinen Hafen erreicht und sich auf der kleinen Dau eingeschifft.

Zwei riesige Männer führten dieses kleine Schiff, und der eine sah so verwegen und verwittert aus wie der andere. Die See hatte tiefe Furchen in die Häupter dieser beiden gegraben, und mit ihren mächtigen zerzausten Bärten hatten sie wohl schon so manchem Sturme getrotzt. Sie hatte gefragt, wer denn der Kapitän sei, und die Bärtigen hatten über ihre Frage laut gelacht. Der eine, den ein riesiger roter Bart zierte, sprach zu ihr: "Wohl dreißig Jahre sind mein Bruder und ich schon auf der See, und beide sind wir Kapitän, Steuermann, Zimmermann und Koch zugleich!"

Ein kleines, mildes Lüftlein hatte geweht und die Segel gefüllt, als man den Hafen verließ, doch gegen Abend hatte das schwarzbärtige Antlitz des Mannes, der nun am Ruder stand, nichts Gutes verhießen. Er hatte kurz geknurrt: "Sucht Euch einen festen Platz, es wird ein wenig zugig!"

Und in der Tat hatten sich jetzt schwarze Wolken vor die Sonne geschoben und schließlich das gesamte Firmament verdüstert.

Das milde Lüftlein war zu einem brausenden Sturm geworden, der urplötzlich innehielt. Dicke Tropfen plitschten jetzt auf die sich kräuselnden Wellen, als ein gleißender Blitz, begleitet von einem infernalisch krachenden Donner die See in fahles Licht tauchte. Der Sturm setzte wieder ein, der Regen wurde stärker und stärker und die See wilder und wilder.

Der Himmel hatte seine Schleusen vollends geöffnet, und es begann zu prasseln ohne Unterlaß. In der Dunkelheit  war ein kalter, scharfer Wind aufgekommen, Regenwände peitschten über die See, Blitze zuckten, und krachende und grollende Donner wechselten sich ab.

Die Wogen waren angewachsen zu gewaltiger Höhe, und das Schifflein wurde hin- und hergeworfen, doch der Steuermann am Ruder ließ gleichmütig Gischt über Gischt über sich ergehen und sah mit seinem verwitterten Gesicht auf die See mit einer spöttisch überlegenen Miene, darin einem Faustkämpfer gleichend, der sich von Kindern berennen ließ und ihnen die Freude gönnte.

Der Kaufmannssohn und seine Gefährtin hatten sich an ein trockenes Plätzchen geflüchtet, und Kahraman hatte eine wärmende Decke aus seinem Gepäck gezogen und ihr umgelegt. Doch nicht allein die Kälte hatte sie schaudern und erbleichen lassen - nein, das Auf und Ab der kleinen Nußschale war es gewesen, das ihr so schwer zu schaffen machte. Ihr Gefährte hatte einen kleinen ledernen Beutel aus dem Gepäck gezogen, und der war bald gefüllt.

Kahraman hatte den Inhalt über Bord geworfen, und dies war trotz der Finsternis dem Hünen am Ruder nicht entgangen. Der hatte dröhnend gerufen: "Ihr seid ein braver Mann und gebt den Fischen Futter!" Kahraman war sonst um eine gute Antwort nie verlegen, doch hatte er es in Anbetracht der Fluten, die sich unaufhörlich über das Schiff ergossen, vorgezogen, für dieses Mal zu schweigen. Er hatte sich neben seine Geliebte gesetzt, hielt ihr die Hand, und er und das Beutelchen taten, was in dieser Lage zu tun war.

Nach Stunden, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen waren, hatte sich endlich der Sturm gelegt, und ein wenig später war auch die See beruhigt. Kahraman war all diese Zeit neben ihr gesessen und hatte ihr geholfen in der schlimmen Not. Als sie wieder etwas zu sich gekommen war, hatte sie geschluchzt und bittere Tränen dabei vergossen: "Die schönste und stolzeste Sklavin wollte ich sein für Euch, und was bin ich nun? Ein trauriger Klumpen bibbernden Fleisches, zu nichts nütze, als ekles Zeug aus sich herauszuwürgen!"

Kahraman hatte ihr, dabei sehr zart über die feuchten Wangen streichend, entgegnet:: "Das wäre eine schöne Liebe, die zerbricht im ersten Sturm! Geteiltes Leid ist halbes Leid, das wißt Ihr doch so gut wie ich!" Sie hatte ihn mit großen Augen angesehen und gefragt: "Ihr schätzt mich noch?" "Mehr denn je," hatte er gesprochen, und ihr versichert, nichts hebe sein Herz so sehr, als für sie in schwerer Stunde dazusein. Er hatte sie auf die Stirn geküßt, sie schelmisch angesehen und heiter reimend hinzugesetzt: "Ich bin sehr froh, denn ich weiß jetzt genau, Ihr seid ein Menschenkind und keine Meerjungfrau!"

Darob hatte sie lachen müssen und war, als Kahraman mit ihr zu lachen begann, getröstet. Kahraman hatte eine weiche warme Decke ausgebreitet, und engumschlungen waren beide in einen tiefen Schlaf gefallen.

Als sie am nächsten Morgen erwacht war, war es kühl und klar gewesen, doch als die Sonne sich über den Horizont erhoben hatte, wärmte sie nicht allein die Luft und die See, sondern auch ihr Herz. Sie hatte ihren Gefährten unter der Decke ruhen lassen, war aufgestanden, hatte sich an das Achterdeck begeben und stand nun dort, versunken in Erinnerung an das Vergangene und in Erwartung der Abenteuer, die noch ihrer harrten.

ã 2001 by Ulli Dillis

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