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Sklavin aus Liebe


ein orientalisches Märchen

von Ulli Dillis

mit zwei Graphiken von John Willie

und

Jennifer Albrecht

gewidmet

 

- Teil 6 -

 

Als die Sklavin so träumend auf dem Achterdecke stand, gesellte sich ihr Geliebter, der nun ebenfalls erwacht war, zu ihr und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Sie wies heiter auf die ruhige See, sah ihn strahlend an, und darob war er sehr beruhigt. Er ergriff ihre Hand und sprach nun: "Zur Mittagszeit  werden wir Kalabalik erreichen! Dies Städtchen selbst ist nicht sehr groß, doch beherbergt es einen Basar und der ist weithin über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Von nah und fern strömen die Leute hierher, um Waren zu erstehen, um mit den Händlern zu feilschen oder einfach nur an dem Geschehen teilzuhaben. In dieser Stadt werden wir das Nötige besorgen und den Wüstenritt beginnen." 

Da rief sie aus: "Ihr seid ein wahrlich tollkühner Mann! Ihr wollt einen Markt mit mir betreten?!" Sie senkte die Stimme und raunte mit verschwörerischer Stimme: "Ihr habt zu wissen, daß Eurer Falke auf Märkten in einen Rausch gerät, und einer Elster gleich greift er hier zu kostbaren, kostbarsten und allerkostbarsten Waren, und, spricht er gar mit einem Händler, vermag dieser ihm sein gesamtes Lager zu verkaufen, und Ihr habt zu bezahlen! Ihr werdet den Basar als bitterarmer Mann verlassen!" 

Ihr Herr hatte verstanden, rief aus: "Das werde ich zu verhindern wissen!" und sah, wie dabei ein feines Lächeln über ihr Antlitz huschte.

Unterdessen hatten die hünenhaften Männer, denen das Schiff gehörte, ein kräftiges morgendliches Mahl bereitet, und nach dieser schrecklichen Nacht mundete es den Vieren gar vorzüglich.

Als die Sonne bereits hoch am Firmament stand, erreichte man den Hafen der Stadt Kalabalik. Das Gepäck wurde ausgeladen und zu einem Geschäfte am Rande des Basars gebracht, dessen Besitzer Kahraman schon seit Jahren kannte. Kahraman entlohnte die Bärtigen, lobte ihr seemännisches Geschick, und er und seine Gefährtin begaben sich zu dem Geschäfte, in dem ihr Gepäck lagerte. Der Händler wies ihnen ein kleines Gemach zu, von wo man auf den Basar zu blicken vermochte.

Der Basar war voller Leben, und dicht drängten sich dort Käufer und Lieferanten, Neugierige, Alte und Junge, Frauen  und Männer. Greise schoben sich durch die Menge mit ihren weißen Bärten und weißen Mützen und junge Mädchen in hellblauen Kopftüchern, tiefverschleierte alte Frauen vom Lande in weiten Hosen, Mütter, ihre Kinder im Tuche tragend, und junge Burschen, sich im Scherze lärmend schiebend und stoßend.

Kahraman und seine Gefährtin sahen dem Treiben mit Erstaunen zu und die Geliebte rief, zu ihrem Gefährten gewandt: "Was, wenn man sich hier verlöre?"

Er rief zurück: "Auch das werde ich zu verhindern wissen!", zog eine lange Kette aus seinem Gepäck, schloß das eine Ende an die Öse in der Mitte ihres Halsringes und das andere fest um das Gelenk seiner rechten Hand. Da er ein kluger Mann war und nicht bereit, sein Vermögen so rasch zu verlieren, sah er sich nun vor. Um Verkaufgespräche ein für allemal zu unterbinden, legte er ihr das Zaumzeug für den Tag an, und, damit sie keine Waren greifen konnte, schloß er ihre Armreifen eng an die seitlichen Ringe ihres Leibriemens. Dann kleidete er sie in den Schleier und legte ihr einen Umhang aus dunkelblauer Seide um. Schließlich steckte er die Schlüssel zurück in sein Gepäck, und Geliebte und Geliebter, durch die Kette untrennbar verbunden, traten nun in das Getümmel.

Alte Lastenträger in speckglänzender, abgeschabter Kleidung schleppten laute Warnrufe ausstoßend schwere Bündel in hölzernen Gestellen die steil ansteigende Verkaufsstraße hinauf und herab, schwerbeladene störrische Esel wurden von Knaben mit Stöckchen angetrieben, Schuhputzer knieten vor ihrer Kundschaft, und aus ungezählten Garküchen wehten vertraute und fremde Düfte.

Die Gewürzhändler hatten ihre Waren zu kunstvollen bunten Berglein gerichtet, Gebirge aus kupfernen Kesseln wechselten sich ab mit übereinandergestapelten Teppichen und Tuchballen, Schuhhändler nahmen Maß, und Gold- und Silberschmiede stellten ihr Geschmeide in einer blendenden Fülle zur Schau. Durch das Gewimmel schoben sich Teeverkäufer, volle Gläser austeilend und leere sammelnd.

Obst und Gemüse war kunstvoll aufgeschichtet, frisch geschlachtete Hammel hingen an eisernen Haken, und ein Bäcker buk frisches Fladenbrot in einem uralten rotglühenden gußeisernen Ofen. Nun setzte zu allem Überflusse auch noch die Stimme des Müezzins ein, der von einem Minarett oberhalb des Marktes zum Mittagsgebet rief, und sein "Allah u akhbar" vermengte sich mit dem Schreien der Händler, die lautstark ihre Ware anpriesen, dem Rufen der Eselstreiber, dem Plärren der Kinder und dem Lachen der übermütigen jungen Männer.

Eine Weile ließen beide sich treiben in der Menge, der Herr vorneweg, seine demütige Sklavin ihm gehorsam folgend. Man besah die Auslagen der Händler und ließ sich die Vortrefflichkeit und Einzigartigkeit der Waren schildern. Doch als Herr und Sklavin des Schauens überdrüssig geworden waren, besann sich Kahraman seiner Pflicht und beschaffte sich die Dinge, die zu erwerben er sich vorgenommen hatte: ein wenig frische Nahrung und Gastgeschenke für die Gold- und Silberschmiede, zu denen beide reisten.

Nun kehrten beide in ihr kleines Gemach zurück; der Herr ließ hier seine Sklavin auf dem kargen Lager niedersitzen, löste die  lange Kette von ihrem Halsband und seiner Hand und schloß ihr stattdessen die Füße zusammen, damit, wie er hinzufügte, der kleine Falke sich nicht verflöge.

Er verließ das Gemach und suchte Abdullah, den Wüstenführer, auf. Abdullah war ein Mann, der recht karg an Worten war, doch Kahraman wußte, ein erfahrenerer Wüstenführer als Abdullah wäre in dieser Stadt schwerlich zu finden gewesen.

Kahraman kehrte nach geraumer Zeit zu seiner Sklavin zurück, und nach einem kleinen Mahle befreite er ihre Hände von dem Leibriemen und schloß sie zur Nacht an den Halsring, wie es beiden zur lieben Gewohnheit geworden war. Beide legten sich zeitig zur Ruhe, denn bereits im ersten Dämmer des Morgens begab man sich zum Wüstenführer Abdullah.

Fünf Kamele standen dort bereit, zwei trugen die Waren des Kaufmannssohnes und drei dienten Abdullah, Kahraman und seiner Gefährtin als Reittiere. Die Kamele sahen recht hochmütig herab auf die zweibeinigen Wesen, die sich anheischig machten, die Wüste zu betreten, die sich so klug dünkten und dabei doch ohne diese Tiere in dieser unwirtlichen Welt gänzlich verloren wären.

Abdullah ließ zwei Reitkamele niederknien und half dem Kaufmannssohn und seiner Sklavin auf sie hinauf. Die Wüstenschiffe erhoben sich schwankend, doch es war Kahraman bereits zu oft durch die Wüste gezogen und sie zu gut im Sattel, als daß sie ein klägliches Bild abgegeben hätten. Abdullah sah es mit Wohlwollen, schwang sich ebenfalls auf sein Tier, und es ging aus der Stadt hinaus in die unbewachsene Weite.

Stunden um Stunden zog die kleine Karawane nun dahin. Die Stadt war ferner und ferner gerückt, bis sie schließlich in der flirrenden Luft am Horizont verschwunden war. Die Sonne brannte vom tiefblauen Himmel herab, kein Lüftlein ging, und schweigend ging es Schritt um Schritt voran. Schier endlos erschien der Tag, bis die Sonne ein Einsehen hatte und sich zur Ruhe begab, Abdullah anhalten ließ und für sich und seine Gäste ein kleines Zelt für die Nacht errichtete.

So unwirtlich heiß es am Tage gewesen, so bitterkalt war die Nacht, und man war froh, als die Sonne sich am Morgen wieder zeigte. Auch der nächste Tag ging so in seiner glutheißen Gleichmäßigkeit dahin und ebenso die ihm folgende kalte Nacht. Endlich, am Morgen des dritten Tagen, wies Abdullah auf den Horizont und sprach mit seiner rauhen Stimme: "Dort liegt unser Ziel!" In der Tat flirrte am Horizont ein Fleck, der smaragdgrün funkelte und so ganz anders war als der gelbliche Boden, den man seit Tagen durchmessen hatte. Doch noch zwei Stündlein hatte man zu ziehen, bis endlich die Oase zum Greifen nahe war.

Palmen mit grünen Fächern umstanden einen kleinen Teich mit dunkelblauem klaren Wasser, die Erde war mit frischem grünem Gras bewachsen, und unter dem Schatten der Palmen schmiegte sich eine Handvoll Häuser eng aneinander, um sich vor der Sonnenglut zu schützen. Die Karawane hielt unter der größten der Palmen, die Reitkamele knieten sich dort auf Abdullahs Geheiß hin, und glücklich stieg die kleine Schar ab. Abdullah zog das Gepäck von den Lasttieren und errichtete sich sein kleines Zelt, um dort die Tage zu verbringen, bis man seiner wieder bedürfe.

Kahraman nahm seine Gefährtin bei der Hand und führte sie zum größten und stattlichsten der Häuser, wies darauf und sprach: "Dies ist Arkadas' Haus !". Er öffnete  die Türe und man schritt ins Innere. Die Mitte des Hauses bildete ein säulenumstandener Innenhof mir einem kleinen Teich, den von oben das Tageslicht beschien, und in den aus dem Munde eines steinernen Ibis stets leise plätschernd frisches kühles Wasser floß. Die Säulen waren umrankt von Blumen, die ihre roten, blauen und veilchenfarbenen Blüten dem Lichte entgegen nach oben streckten, und in dem Umgang, der die Säulen umgab, stand ein kleines Tischlein, auf dem als Gruß des Willkommens süße Früchte, Gebäck und Honig bereitgelegt waren.

Kahraman zeigte ihr das Gemach, das Arkadas ihm zu überlassen pflegte, wenn er bei ihm weilte. Dies Gemach selbst war recht schmucklos und roh gemauert, doch durch das mit geschmiedetem Eisen reichverzierte Fenster in ihm floß ein wundervolles Licht hinein. Einzig eine breite eiserne Bettstatt stand in diesem Gemach, gestaltet wohl von demselben Meister, der auch das Fester verfertigt hatte, und ein kleiner Schemel.

Die Sklavin begann zu träumen in dieser zauberhaften Zelle und rief aus: "Laßt dieses Gemach des Falken Käfig sein! So schützt Ihr ihn vor unbedachten Dingen! Doch des Abends wünscht Euer Falke ein wenig zu fliegen und hofft nichts mehr, als daß Ihr mit ihm fliegt, ihn leitet und begleitet!" Ihr Herr errötete nicht wenig und antwortete, ihr tief in die Augen blickend, mit bebender, doch zarter Stimme: "Ja, am Abend werdet Ihr, mein geliebter Falke, mit mir fliegen, hoch, höher und noch höher, bis hin in Euren Falkenhorst!"

Er zog aus seinem Beutel die miteinander verbundenen Ketten hervor, die er "Birlik" nanne, und legte ihr diese an. Nun trug er den Schemel zu einer Stelle in der Wand des Gemaches, in die ein eiserner Ring eingelassen war, ließ seine Sklavin sich auf den Schemel setzen, drehte ihr behutsam den Halsring nach hinten, schloß sie mit einer kurzen Kette an die Wand und küßte sie voll Leidenschaft.

Sie sprach nun bewegt zu ihm: "Begrüßt jetzt Eure Freunde! Nicht einen einzigen Gedanken werde ich hier verschwenden, der nicht Euch gilt, und ich hoffe sehr, ein wenig denkt Ihr auch an mich. Ihr habt zu wissen, daß in all die Stunden, die ich nun als Gefangene in diesem Falkenkäfig zuzubringen habe, ich immerzu und jederzeit Euch sehnsuchtsvoll erwarte! Geht nun, und kehret wieder!" Er küßte sie und ihren Leib, der im nachmittäglichen Lichte so verführerisch schimmerte, voll Inbrunst und verließ das Haus betäubt von Liebe und Leidenschaft.

 

ã 2001 by Ulli Dillis

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