Sklavin aus Liebe


ein orientalisches Märchen

von Ulli Dillis

mit einer Graphik von
Ross Chamberlain

und

Jennifer Albrecht

gewidmet

 

- Teil 9 -

 

 

 

Wunderbare Tage hatten Kahraman und seine Sklavin in der Oase miteinander verbracht, und, als die Reise sie wieder zurück durch die Wüste führte, auf dem schwankendem Kamel, war auch das letzte Stücklein des Plans der Sklavin gereift, wie sie sich Sahtekar, den Betrüger, ein und für allemal vom Halse schaffen konnte.
Denn einmal im Jahr war Markttag am alten Hafen in Antalya, und der Sklavin war wohlbekannt, daß Sahtekar diese Gelegenheit nie verstreichen ließ, seine mindere und doch nicht gerade wohlfeile Ware an den Mann zu bringen.
Und wie sie sich Sahtekars in all seiner Erbärmlichkeit, seiner Gier und Falschheit erinnerte, hatte sie mit einem Male auch dessen schier unermeßlichen Aberglauben vor ihren Augen.

Denn Sahtekar glaubte nicht allein an das Wort des Propheten, wenn er denn überhaupt daran glaubte, nein, von Dschinns, bösen Geistern und Dämonen, fühlte er sich verfolgt, und er ängstigte sich vor Übersinnlichem und vor Zauberei. An keiner Alten, die Karten schlug, und an keiner Zigeunerin, die aus der Hand las, konnte er vorübergehen, und die Zahl der Talismane, die er mit sich führte, überstieg die Zahl der Haare auf seinem Haupte bei weitem. 

Kahraman und seine Sklavin waren dem Ruf eines Freundes, eines Kaufmanns aus Antalya gefolgt, lebten in dessen Hause, und es kam der Tag heran, an dem dort Markttag war. Es war hell geworden über dem alten Hafen in Antalya, und strahlendblauer Himmel und dicke, finstere Wolken wechselten einander ab.

Das Wetter wirkte so an diesem frühen Morgen recht unentschlossen, ganz, als döse es noch sehr schläfrig in seinem nachtwarmen Bette, müde grübelnd hin und her, und wäge recht träge ab, ob es sich denn zu einem heißen Sonnentage hinreißen oder für heute besser den Wolken die Macht über das Firmament gewähren solle.
Um den alten Hafen herum hingegen herrschte bereits reges Treiben: Marktbuden wurden gezimmert, Zelte errichtet, Fuhrwerke entladen, Geschirr, Töpfe und Fässer gestapelt, Tiere getrieben, und so erfüllte Hämmern, Rufen und Eselsgeschrei die Luft.

Eine schmale und gewundene Straße führt vom Steilufer herab zum Hafen von Antalya, und auf dieser Straße schritten zu dieser Stunde ein junger Knabe, eine hölzerne Karre vor sich herschiebend, und, ihm folgend, eine verschleierte Gestalt, gemächlich entlang. Der junge Knabe, hübsch, schwarzhaarig und mit großen dunkelbraunen Augen, war Jussuf, der Sohn eines Kleinkrämers aus der Oberstadt, der sich gerne mit seiner Karre zu Marktbesorgungen verdingte, nicht allein des Verdienstes wegen, vielmehr, um mit all den Händlern der kostbaren Waren ins Gespräch zu kommen, mit denen er, wenn er erwachsen geworden war, Handel zu treiben gedachte.

Jussuf träumte von einem Leben als Kaufmann, von Reisen in ferne Länder, von kostbaren Waren und kunstsinnigen Käufern, die seine Ware zu schätzen wußten. Kahraman war auf ihn aufmerksam geworden und hielt große Stücke auf ihn.

Bei der verschleierten Gestalt, die hinter dem Karren einherschritt, handelte es sich um niemand Geringeren als um Kahramans Sklavin. Um sie herum war ein weiter Umhang aus hellblauer Seide geschlungen, und ihr Haupt war durch einen weißen Schleier verhüllt. Die Sklavin setzte behutsam Schritt vor Schritt, denn, was durch den Umhang niemand wahrzunehmen, und auch der junge Knabe nicht zu erkennen vermochte: die Sklavin trug an diesem Morgen zum ersten Male ihr neues Geschirr, das Kahraman ihr hatte anfertigen lassen.

Das Geschirr war genau nach ihren Maßen aus Messing gefertigt und bestand aus einem Gürtel und Schellen für die Arm- und Fußgelenke, die durch eherne Ketten fest verbunden waren. Der Gürtel und die Schellen konnten durch Scharniere auf- und zugeklappt werden, wobei beim Zuklappen ein Mechanismus einschnappte; und erst mittels eines Schlüssels, den allein Kahraman besaß, waren Gürtel und Schellen wieder zu öffnen.
Die Schellen um ihre Fußgelenke waren mit einem kurzen Kettchen verbunden, von deren Mitte ein weiteres, langes Kettchen zur vorderen Mitte des Gürtels führte. Das kurze Kettlein sollte ihr nur vornehm kurze Schrittlein zulassen, und das lange verhindern, daß das kurze in den Straßenstaub hing.

An der hinteren Mitte des Gürtels war schließlich ein weiteres Kettlein angebracht, das die Schellen für die Hände verband. Die Sklavin trug also, wie sie so vor sich schritt, die Hände nicht nur hinter dem Rücken zusammengekettet, sondern sie auch eng mit dem Gürtel verbunden, und konnte so ihre Hände also keinesfalls nach Waren ausstrecken oder gar Geldstücke zur Bezahlung reichen.

Deshalb benötigte sie wie alle vornehmen Leute einen Bediensteten, der nach Anweisung die Geschäfte für sie vornahm, und hierfür hatte Kahraman den Knaben Jussuf auserkoren. Jussuf hatte voll Stolz den ledernen Münzbeutel, den Kahraman ihm ausgehändigt hatte, in Empfang genommen, und hütete ihn nun wie seinen Augapfel.
"Pistazien, Salzmandeln, Trockenfrüchte!", rief es plötzlich, nachdem Jussuf die Karre um eine Kehre herumgeschoben hatte. Der Nußhändler, der tagein, tagaus an derselben Stelle seine Ware feilzubieten pflegte, war diesen Morgens des Markttages wegen besonders guter Stimmung und sang beim Anpreisen seiner Ware mehr als er rief.

Jussuf drehte sich fragend zur Sklavin um, und erst, als sie eine zustimmende Bewegung mit dem Kopfe getan hatte, schritt er mit ernsthafter Miene und erhobenen Hauptes zum Nußhändler und handelte und feilschte, als ginge es um Kopf und Kragen. 
Und schlußendlich hatte er nicht nur Pistazien zum Sonderpreis erstanden, sondern auch Salzmandeln, Kürbiskerne, getrocknete Feigen, Rosinen und Datteln in Zucker. Voller Stolz nahm Jussuf den Münzbeutel, bezahlte, empfing seine Ware und legte sie mit äußerster Sorgfalt in seine Karre, zuerst den Pistazienbeutel, darauf die Beutel mit den Salzmandeln, den Kürbiskernen, den Feigen, den Rosinen und zuletzt den mit den Datteln in Zucker.

Die Sklavin wäre dem hübschen Jungen gerne durch das feine schwarze Haar gestrichen, als sie ihn so ernsthaft beschäftigt sah, aber ihr Geschirr, das die Hände hinter dem Rücken fesselte, hinderte sie; und das Geschirr tat recht daran, denn dem jungen Kaufmann, der hier seine ersten Geschäfte tätigte, wäre diese Geste nicht recht zupaß gekommen.

Die kleine Karawane schritt weiter dem Markt am Hafen entgegen, und Jussuf deutete auf eine Menschenmenge, die unterhalb des Weges an einem großen, grauen Zelt auf etwas Großartiges zu warten schien.

An der langen Seite dieses Zeltes war ein hölzernes Podest errichtet, und zwei Männer waren dabei, eine offenbar äußerst schwere Truhe auf dies Podest zu heben. Der erste der Männer stand oben auf dem Podest und zog an einem Griff der Truhe, und der zweite, im Gesichte schon ganz rot, schob unter lautem Rufen von unten an. Endlich war das Werk getan; die beiden Männer zogen die Truhe in die Mitte des Podestes, klopften sich den Staub von den Händen und überließen ihren Platz einem Manne, der soeben auf das Podest gesprungen war. Die Sklavin erkannte ihn sofort: es war Sahtekar. Er trug einen riesigen roten Turban, weiße Pluderhosen und gelbe Schnabelschuhe und trat so vor seine Zuhörer. Sahtekar klatschte mehrmals in die Hände, verbeugte sich, beide Hände weit von sich gestreckt, vor seinem Publikum, räusperte sich und begann mit voller Stimme:

"Ich bin Kaufmann und habe viel zu reisen. Nach Birma und Belutschistan, nach Teheran und Täbris, nach Kabul und nach Kairo führen mich meine Wege und Pfade. Jüngst brachten mich meine Geschäfte nach Persien, um im dortigen Hochlande, wo die prächtigsten und kunstvollsten Teppiche gefertigt werden, Handel zu treiben.
Mit einer Karawane zog ich über viele Tage durchs Zweistromland und über wilde Berge gen Isfahan. Ich trennte mich von dieser Karawane, um ungestört meinen Geschäften nachgehen zu können, und kam so in ein kleines Dorf, das mir von früheren Reisen her wohlvertraut war. Die Bewohner des Dorfes waren stets sehr gastfreundlich und frohsinnig gewesen, doch nun schien es, als erwarteten sie den Untergang der Welt. Ich sprach mir dem Dorfältesten, der ängstlich nach allen Seiten spähte und mir endlich im Flüstertone die Wahrheit gestand."

"Wißt ihr", rief Sahtekar der Menge zu, dir ihm ergriffen lauschte, "wißt ihr, wer das Dörflein so in Angst und Schrecken versetzte?" Er machte eine kurze Pause, während der ein Raunen und Raten durch die Reihen der Zuhörer ging, und rief dann unvermittelt: "Ein Drache! Ein ungeheurer, riesengroßer, grauenhafter Drache!"

Die Menge wiederholte ungläubig, ihn unverwandt anstarrend: "Ein Drache!"

"Ein furchterregender Drache! Der Älteste berichtete mir mit stockender Stimme, wie der Drache alles Vieh der Bauern und alle Brote der Bäcker verschlungen hatte, und nun nach Jungfernblut verlangte, nach Jungfernblut! Ohne sich umzusehen, deutete der Alte hinter sich und sein schlohweißes Haupt und würgte mit ersterbender Stimme heraus: 'Seht den Hügel dort! Da sitzt er.'

Da sah ich auch schon das Ungeheuer, ein schrecklicher Anblick! Sein schuppiger Leib war größer als dies Zelt, und aus diesem Leib wuchs ein Hals, weit höher als ein Minarett. Und am Ende dieses äußerst beweglichen Halses saß das Haupt des Drachen, und dieses Haupt spähte mit zwei riesengroßen roten Augen beständig und unstet nach Beute.

Aus seinen geblähten Nüstern stieg heißer Dampf empor, und aus dem Maul sah ein einziger, langer und spitzer Giftzahn heraus, von dem ab und an ein Tropfen grünes Gift zu Boden fiel."

Sahtekar machte eine Pause und ließ sich sein Publikum recht gruseln, bevor er fortfuhr: "Der Älteste des Dorfes zitterte, nahm meine Hand in seine und sprach: 'All unser Gold, Silber und Geschmeide soll Euer sein, vermögt Ihr es, uns von dem Drachen zu befreien;  Ihr sollt es niemals bereuen!' 

Nun, Gold, Silber und Geschmeide gibt es nicht alle Tage, und so schlug ich ein. Ich rieb mich ein mit Myrrhe, denn, wie man weiß, verschlingt ein Drache nahezu alles, und nur die bittere Myrrhe ist vor ihm sicher. Ich näherte mich so dem Ungeheuer.

Der Himmel über den Bergen und Hügeln hatte sich verfinstert, denn ein Unwetter war im Anzug. Tapfer schritt ich dem Drachen entgegen und rief: 'Drache, was ist Euer Begehr?' 'Jungfernblut', krächzte der Drache mit einer häßlichen Stimme und stieß sein gräßliches Haupt in Blitzeseile zu mir herab, bis die riesigen roten Augen dicht vor meinem Antlitz lagen und böse auf mich starrten.

Das Drachenhaupt schwang in erschreckender Nähe vor mir auf und ab, und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Mit den geblähten Nüstern beroch das Scheusal mich, stieß, als es den Myrrhenduft bemerkte, einen üblen heißen Odem aus und zog sich voll Abscheu ein wenig zurück.

'Drache, höre er!', rief ich aus, 'Er soll sein Jungfernblut bekommen. Doch hier, auf diesem Hügel, auf dem er sitzt, wird es ihm in kurzer Zeit entfließen in tausend Bächlein und Rinnsale.' Das schien dem Untier einzuleuchten und es schwang mit seinem Haupte hin und her. 'Doch, höre er, es gibt einen besseren Platz!' rief ich. Denn unterhalb des Hügels bildet der Bergbach, der an dem Dörflein vorbeifließt, einen kleiner See und den zeigte ich dem Drachen.

Der verstand, und das Maul mit dem Giftzahn verzog sich zu einer zufrieden grinsenden Fratze, die roten Augen schlossen sich im Vorgenuß und feuchtwarme Dämpfe stiegen aus den Nüstern. Der Drache stieg langsam herab, und der Boden erzitterte unter den wuchtigen Schritten des Ungeheuers. Das Untier setzte sich oberhalb des kleinen Sees mit seinem gewaltigen Hinterteil mitten in den Bergbach hinein wie ein kleines Kind, das am Wasser spielen und pritschen will; das Scheusal jedoch saß dort in der Erwartung von Jungfernblut, das den See rot und röter färben und des Drachen Abendtrunk werden solle.

Nun brach - Allah sei Preis und Dank - mit Blitz und Donner aus den finsteren Wolken das Unwetter herab, ein Wolkenbruch jagte den nächsten, Regen prasselte herab, das Wasser strömte zusammen, und winzige Rinnsale wurden zu reißenden Sturzbächen! 

Der Drache saß inmitten des Unwetters auf dem Bergbach und erwartete in Ruhe seinen blutigen Abendtrunk, doch der Bergbach war mittlerweile zu einem reißenden Strom geschwollen und staute sich hinter dem Rücken des Scheusals in einem gewaltigen Trichter, bis er nicht mehr zu bändigen war, das Ungeheuer in die Höhe hob und in seinen Fluten mit sich riß.

Bald hatte der Regen nachgelassen, und, durchnäßt vom Scheitel bis zur Sohle, aber erfüllt von tiefer Glückseligkeit, schritt ich in das Dorf zurück. Man war dort außer sich vor Freude über das Verschwinden des Untiers, tanzte und sang, die Jungfrauen küßten mir die Stirn, und der Älteste übergab mir  feierlich ganz gegen mein heftiges Sträuben diese Truhe, vollgefüllt mit den Schätzen des nun vom Drachen befreiten Ortes, und wünschte mir Glück und Segen damit."

Sahtekar hatte geendet, und tosender Beifall brandete auf. Sahtekar verbeugte sich, wandte sich um und begann, den Deckel der Truhe zu heben. Das Scharnier des Deckels, das recht widerspenstig zu sein schien, knarrte, und das Publikum verharrte in erwartungsvoller Stille. Mit einer plötzlich und entschlossenen Bewegung Sahtekars jedoch schwang der Deckel nach hinten, es öffnete sich die Truhe und gab so den Blick frei auf überquellendes Geschmeide, das gülden und silbern in der frühen Sonne funkelte, glitzerte und blitzte.

"Ah!" und "Oh!"- Rufe entrangen sich der Kehlen der von der Pracht geblendeten Zuschauer, und Sahtekar, den Ehrfürchtigen spielend, hatte sich umgewandt und war vor der Truhe auf die Knie gesunken, vergrub schluchzend die Hände im Schmuck und schien sein Glück nicht fassen zu können. Endlich richtete er sich wieder auf, hob die Hände empor und rief, überglücklich, mit lauter Stimme seinem Publikum zu: "Was für ein Traum, persisches Geschmeide!".

Seine Rechte wies mit großmütiger Geste auf den Schatz, und Sahtekar rief voll Inbrunst: "Ein jeder nehme, was er tragen kann! Er muß es nur bezahlen!"

ã 2005 by Ulli Dillis

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